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WIEN/ ImPulsTanz im Burgtheater: „Dada Masilo’s Hamlet“

27.07.2024 | Ballett/Performance

 

WIEN/ ImPulsTanz im Burgtheater: „Dada Masilo’s Hamlet“

Mit der Bearbeitung von Klassikern der Ballett-Literatur hat Dada Masilo schnell Weltruhm erlangt. Ihre Stücke, das letzte, „Sacrifice“, wurde 2021 bei ImPulsTanz uraufgeführt, lösten weltweit und bei diesem Festival Begeisterungs-Stürme aus. Nun hatte ImPulsTanz die Ehre, die Welt-Uraufführung ihrer neuesten Arbeit „Dada Masilo’s Hamlet“ im Burgtheater präsentieren zu dürfen. Vier Aufführungen inklusive einer zusätzlichen. Der Name Masilo ist ein Sog.

Da hat sie sich was vorgenommen, die so geübte Transformatorin europäischer Ballett-Literatur. Nachdem sie mit ihren Bearbeitungen von häufig gespielten klassischen Balletten, so „Romeo and Julia“ (2008), „Carmen“ (2009), „Schwanensee“ (2010), „Giselle“ (2017), ein glückliches und sehr bald anerkanntes Händchen bewies, wagt sie den Schritt heraus aus inzwischen vertrauten Gefilden hinein ins Theater, zu „Hamlet“, dem 1602 fertiggestellten Shakespeare’schen Drama um die Rache eines Königssohnes. Sie sucht die Herausforderung.

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Dada Masilo/TheDanceFactory: „Dada Masilo’s HAMLE“ © yakoone

In drei Handlungsstränge gegliedert, die eingebettet sind in einen lange währenden politischen Konflikt, und mit den Konstellationen innerhalb dreier Familien und dieser zueinander besitzt das Original eine solche Komplexität, die für eine Umsetzung in ein Handlungsballett eine gewaltige Aufgabe darstellt. Hinzu kommen Ereignisse vor dem Beginn der eigentlichen Handlung, deren Kenntnis notwendig ist für das Verständnis des Stückes.

Wie nun geht die 1985 in Soweto geborene Dada Masilo damit um? Sie erstarrt nicht vor Ehrfurcht, sondern zerlegt das Original, reduziert und vereinfacht es, konzentriert sich auf Kernelemente, mixt die Genres und baut daraus einen eigenen, eben „Dada Masilo’s Hamlet“. SchauspielerInnen, TänzerInnen und MusikerInnen, Text, Tanz, Live-Musik, Gesang, Performance, Fotos, Kostüme und Licht, Theater, Ballett und Konzert wirft sie relativ unbekümmert auf die Bühne, um aus all dem eine andere, ihre, und eine doch wieder erkennbare Geschichte zu schreiben.

Der Zuschauende jedoch ist gefährlich und gefährdet. Als Leser dramatischer Texte oder Rezipient von Theater-Aufführungen des Originals tappt man allzu leicht in die Falle, Masilo’s Hamlet am Text des Originals oder an den vielen gesehenen Interpretationen und Inszenierungen zu messen. Dabei muss Masilo verlieren. Weil es nicht ihr Anspruch war, einen weiteren neben die vielen Hamlets zu stellen. Diesem ihrem Anspruch sollte der Zuschauende seine Erwartungshaltungen anpassen.

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Dada Masilo/TheDanceFactory: „Dada Masilo’s HAMLE“ © yakoone

Dann geht man auch gnädig um mit dem trotzdem mit Verve vorgetragenen Hamlet-Monolog, mit dem das Stück beginnt. „To be or not to be …“ Das in dem Monolog beschriebene Zaudern und Zögern, trotz seines Leidens an der Welt und seiner Einsicht in die Notwendigkeit dennoch zu handeln, Hamlets innere Zerrissenheit also, setzt Masilo um in eine auch auf der Bühne gespaltene Persönlichkeit. Der Schauspieler Aphiwe Dike und der Tänzer Leorate Dibatana sprechen respektive tanzen den Prinzen von Dänemark.

Und die Königin Gertrude, Hamlets Mutter, wird von dem international beschäftigten Schauspieler, Sänger, Tänzer, Choreografen und Performance-Künstler Albert Khoza genderfluid gespielt und getanzt. Er ist auf der Bühne und abseits von ihr eine schillernde Figur. Seine massige Gestalt und die der zarten Masilo, die die Ophelia tanzt, verschmelzen nach Hamlets Mord an ihrem Vater Polonius zu einer solidarischen, sich wiegenden Trauergemeinde. Der Schatten Gertrudes fällt auf die vor ihr schwankende, nackte Ophelia in ihrem beginnenden Wahnsinn.

Viele der im Theaterstück verbal ausgetragenen Konflikte übersetzt Masilo in tänzerische Auseinandersetzungen, deren Intensität durch ihre Körperlichkeit umso spürbarer wird. Die elf TänzerInnen ihrer in Johannesburg beheimateten Kompanie „The Dance Factory“ tanzen diesen Hamlet in einer Melange aus klassischem und afrikanischem Tanz, aus Ballett und Zeitgenössischem. Was das Theater versucht mit Worten zu beschreiben, gelingt dem Tanz viel besser: Gefühle. Und die kann die „Dance Faktory“ hervorragend. Wenn auch für unsere Kontrolliertheit ungewohnt. Aber sehr erfrischend. Es wird geschrien und gelacht, gelaufen und gesprungen. Und die Körper werden nicht geschont bei den dynamischen, energiegeladenen Tänzen zwischen den theatralen Parts.

Die zwei Musiker Leroy Mapholo (Geige) und Mpho Mothiba (Percussion, Gesang und ein Schlauch, mit dem er surrende Klänge erzeugt) und die Sängerin sitzen rechts. Die exzellente, klassisch ausgebildete Sopranistin Ann Masina meistert untere Lagen und höchste Höhen bravourös. Mit dem warmen Timbre ihrer Stimme bringt sie ein breites Spektrum an Emotionen zum Klingen. Welch ein Genuss, immer wieder! Auf die rückwärtige Leinwand werden Bilder projiziert. Ein europäisches Schloss, der Schatten eines wie ein gefürchteter Geist erscheinenden Königs, ein Gewässer.

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Dada Masilo/TheDanceFactory: „Dada Masilo’s HAMLE“ © yakoone

Masilo’s Umgang mit dem „Hamlet“ bricht den Aufführungskanon. Sie reißt das Original mit seinen Wurzeln aus dem skandinavischen Boden, aus dem es spross, und pflanzt es in eine universelle Erde, auf der alle allzu Menschlichen zu Hause sind. Den Inhalt des Originals reduziert sie auf ein sympathisch profanes Niveau. Die Handlung und damit das Stück werden auf eine gute Stunde gestrafft und von jedem geistigen Zierrat befreit.

Die Lektüre der im Programmheft abgedruckten Synopsis vor dem Besuch der Vorstellung hilft einem ein wenig, Details zu den Figuren, ihrer Besetzung und der Struktur des Stückes besser zu verstehen. Und damit durch die zügig sich entwickelnde Tragödie. Die aber durchaus auch Spaß macht, wie einige humorvolle Neu-Interpretationen von gar nicht lustigen Elementen vermitteln können.

Wie die Kompanie am Ende, jeder trägt einen Kelch in der Hand, die Verwirrung um den einen ursprünglich vergifteten in einem humorvoll choreografierten Gruppentanz zeigt, und wie sie sich dann alle gegenseitig, jeder prostet jedem zu, in den Tod tanzen, ist amüsant. Die in diese Szene eingebettete spirituelle Botschaft geht fast unter. Das Gift der Gewalt ist in der Welt. Es ist tödlich für uns alle. Übrig bleibt die nackte Ophelia, die Blumen auf die Toten legt. Es ist nicht der erste Kontakt Masilos mit dem Stoff. Bereits 2011 beschäftigte sie sich mit der Figur der Ophelia in ihrem Solo „The Bitter End of Rosemary“.

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Dada Masilo/TheDanceFactory: „Dada Masilo’s HAMLE“ © yakoone

In der Schluss-Szene singt Ann Masina Ophelia, die sich Wasser mit Rosenblättern aus einem Glas über ihr nacktes Haupt träufelt, mit einem Schlaflied in den Tod. Sie schaffen es, hier die Trauer und den ganzen Schmerz dieser Welt mit großer emotionaler Wirkung zu versammeln. Die, die diesen Welten-Schmerz auf eine feministisch-antipatriarchale Lesart reduzieren möchten, heißt Masilo ebenso willkommen.

„Ich habe mein Werk nie als politisch angesehen“, betont sie in einem Interview. „Es wird nur politisch aufgrund dessen, was nicht nur in Südafrika, sondern generell auf der Welt passiert.“ Die Konzentration Masilos auf die Figur der Ophelia erinnert an Florentina Holzingers bildgewaltige Show „Ophelia’s Got Talent“ aus dem vergangenen Jahr. Ganz anders deren Zugang, aber ebenso die Notwendigkeit der Eliminierung der auch im „Hamlet“ so dominanten Frauenfeindlichkeit, wie Masilo konstatierte, aufzeigend.

Ophelia flüchtet in den Wahnsinn, dann in den Freitod. Wie nachvollziehbar bei all der Gewalt und ihrer Ohnmacht. Doch es scheint wie eine Selbst-Opferung zu sein, die mit ihrer Dramatik und der damit einhergehenden emotionalen Wirkung die Welt aufruft zu handeln. Dada Masilo überwindet „Hamlet“. Und sie will, dass auch wir es tun. Jetzt. Endlich.

 

Dada Masilo / The Dance Factory mit „Dada Masilo’s Hamlet“ am 23.07.2024 im Burgtheater Wien im Rahmen von ImPulsTanz.

Rando Hannemann

 

 

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