WIEN/ ImPulsTanz: Jan Lauwers‘ Needcompany mit „Billy’s Joy“
Die KünstlerInnen Lan Lauwers und Grace Ellen Barkey, die 1986 die belgische Needcompany gründeten, nahmen 2001 Maarten Seghers in ihr Kernteam auf, um das herum sie internationale KünstlerInnen für ihre multidisziplinären Arbeiten engagieren. Das Werk des britischen Dramatikers William Shakespeare prüfen sie in ihren beiden Stücken „Billy’s Joy“, hier bei ImPulsTanz uraufgeführt, und „Billy’s Violence“ von 2021, beide im Wiener Akademietheater gezeigt, auf seinen Gehalt und seine Aktualität.
Den zehn Komödien und den zehn Dramen des zu seinen Zeiten und immer noch umstrittenen Autors widmete sich der Sohn des führenden Kopfes der Kompanie, Victor Afung Lauwers, mit dem überraschenden, ja schockierenden Ergebnis, dass Shakespeares Komödien nicht lustig sind.
Um trotzdem eine Komödie aus Shakespeares Komödien zu destillieren, verlegt er die Szenerie des Stückes „Billy’s Joy“ in ein Märchenland. Jedoch: „Es ist was faul im Märchenland!“
Needcompany: Billy’s Joy (c) Wonge Bergmann
Gleich zu Anfang entführen sie die Zuschauenden in eben dieses Märchenland. Die schrille Hexe Sycorax, die Menge schreit und tanzt hüpfend, der Bär Pourquoi zeigt sich als lüsterner Geselle und sucht jemanden, der kein Nostalgiker ist. Fluido mit Esel-Handpuppe, mit den Kopf umhüllender Maske und elisabethanischer Halskrause, erscheint: „Das Narrativ ist Fluido geworden.“ Aus dem Fluss des Textes tauchen Namen von Shakespeare-Stücken auf: „Der Widerspenstigen Zähmung 1594“, „Der Sturm 1611“ und so weiter und so fort, alles ins Deutsche, und, wenn katalan gesprochen wird, auch ins Englische übersetzt an die Rückwand projiziert.
In fünf Akten, die teils in mehrere Szenen gegliedert sind, stellen sie sich der Herausforderung, „eine große Geschichte zu erzählen“. „Billy’s Joy“ ist eine eigene Geschichte, gewebt aus einer Unzahl von Verweisen auf Shakespeare, Grimms Märchen, frühere Arbeiten der Needcompany und subtilen bis drastischen Kommentaren aktueller gesellschaftlicher, sozialer und individueller Gegebenheiten. „Du stehst auf der Bühne, sprichst zum Publikum und fragst dich: Was ist ein Mensch?“ Die Ereignisse überschlagen sich.
Needcompany: Billy’s Joy (c) Wonge Bergmann
Sie thematisieren heute gelebte Sexualität, erzählen von erlebtem Klimawandel. Sie bringen mit einem schwarzen Schneewittchen, Meron in Jungenkleidung, dass sich beim Blick zwischen seine Beine doch als Mädchen herausstellt, den Diskurs um kulturelle Aneignung und strukturellen Rassismus aufs Tableau. Die aktuellen Debatten um Gender und um fluide, zuweilen intentiöse (und vermeidende) Identitätskonstrukte poppen mehrfach auf. Die Flüssigkeit der Rollen: Julia modernisiert sich zu Eden, Martha zum Beispiel spielt sich selbst als Schauspielerin, eine, die Caliban spielt, Sycorax ist Hexe, Feenkönigin, Oberons Frau und Romeos Mutter.
Heimgesucht ist die Figur Romeos, der die Liebe sucht und sie nicht fassen kann, der mit psychisch ungelenken Versuchen vor allem nach körperlicher Liebe trachtet. Romeos Verzweiflung darüber, dass er die Liebe nicht finden kann, vor allem die zu sich selbst, spricht von einer die heutige Gesellschaft prägenden Tragik. Am Ende übergibt er seine Krone, die ihm seine Mutation zu Richard II. einbrachte, an König Oberon, der dem devoten, deprimierten Romeo noch Öl in seine Feuer gießt. Die Zuschauenden werden durch viele theatrale Welten gejagt, werden mit tragischen wie komischen Momenten konfrontiert, spüren am Ende Leid, das mit einer Illusion von Glück versucht wird zu übertünchen.
Needcompany: Billy’s Joy (c) Wonge Bergmann
Versöhnung kann nicht ohne Liebe stattfinden, konstatiert Victor Afung Lauwers. Und weil nicht liebesfähige Menschen somit unversöhnlich dem Leben gegenüber stehen, wird das Stück doch zu einer Tragödie, aber gemäß dem Shakespeareschen Paradox „Verlieren, um zu finden“ mit einem Funken Hoffnung. „Wir sind in einer Komödie. Wir brauchen ein Happy-End!“ Und im Regen der Gardena-Handbrause singen sie davon, dass es besser sei, nett, freundlich, intelligent, anständig und sympathisch zu sein. Nackt, auf sich selbst zurück geworfen, sehnsüchteln sie mit ironischem Unterton einer Gesellschaft entgegen, die Shakespeare nicht kannte und die heute nicht existiert.
Needcompany: Billy’s Joy (c) Wonge Bergmann
Aus dem inhaltlich bunten Allerlei, gegossen in ein knapp zwei Stunden währendes Bühnen-Ereignis voller witziger und aberwitziger Ideen, versetzt mit Humor, Tragik, Sarkasmus und Ironie, Liebe und Verzweiflung, Gewalt, Sex und autobiographischen Einflüssen, heftig umgerührt mit wachem Blick auf (Kunst-) Geschichte und Gegenwart, ungemein viel, den elisabethanischen mit dem heutigen Sprachduktus verschmelzendem Text, Tanz, Theater, Gesang, einem, wie immer bei der Needcompany, lebendig-dynamischen Bühnensetting, es wird auch gekocht und füllt den Saal mit dem Duft katalanischer Küche, schräg-schrillen, öfter einmal gewechselten Kostümen, tragendem, handgemachte und elektronische Musik organisch verbindendem Sound (von Maarten Seghers), flockt ein Potpourri aus, das letztlich wie eine die Kulturgeschichte adaptierende, verfremdende und selektiv lesende, das Jetzt beleuchtende, äußerst komplexe, bedeutungsgeladene, absurd-skurrile Revue daherkommt. Ein herausragendes Theater-Tanz-Spektakel!
Rando Hannemann