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WIEN/ ImPulsTanz/Finale: NACKT … schon so ziemlich normal?

09.08.2022 | Ballett/Tanz

ImPulsTanz: NACKT … schon so ziemlich normal? (8.8. 2022)

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Tanz Hotel. Copyright: Laurent Ziegler

Die Performancer-Parade zum Ausklang der sommerlichen ImPulsTanz-Wochen: Seemänner aus Wien, Voguing aus Zürich. Und zwei splitternackte Brasilianer dazu. Über die Ausdrucksmöglichkeiten des Körpers und psychische Probleme und manch heikle Themen, nicht aber über Schönheit, ist zu lernen gewesen …. für ein überwiegend jugendliches Publikum, welches sich in diese eigene Welt der derzeitigen Körpersprache-Moderichtung einzuleben vermag.

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Tanz Hotel. Copyright: Laurent Ziegler

Die kleine Matrosen-Crew des Bert Gstettner hat sich im Odeon gegen Wasser & Wind recht gut zu behaupten vermögen. Gstettners Wiener TANZ*HOTEL aus den 90er Jahren hatte damals in den Aufbruchsjahren der heimischen Tanzszene wegen der anspruchsvollen Gestaltung viel Interesse gefunden. Die Reminiszenzen seiner Reihe Time*Sailors –  nun Auflage Nr. IV „The Return“ – haben doch daran denken lassen, dass dem Choreographen mit seinen Kreativ-Qualitäten kein wirklicher Durchbruch gelungen ist. Dies ist aber ein typisches Manko heutiger Wiener Kulturpflege …. so hilfreich für künstlerische Entwicklungen, vor allem mit einigem poesievollen Geist, steht man hier nicht bei. Gäste sind bei den Festwochen, in Volkstheater, Tanzquartier, den Vereinigten Bühnen um so einiges willkommener als schöpferischer Eigenbau.

Aus der Schweiz in das Volkstheater angereist ist das Dance Ensemble des Schauspielhauses Zürich. Der Afroamerikaner Trajan Harrell hat mit sechs PerformerInnen auf sehr intensive und äußerst ausdrucksstarke Weise Voguing vorgeführt. Voguing ist hierzulande kein gängiger Begriff. Dieser Performance-Stil kommt aus der US-Subkultur der Homosexuellen aus den 70er Jahren. Harrell führt dies gemeinsam mit starken Typen in absolut ruhiger Atmosphäre mit Gelassenheit doch völlig hingebungsvoll vor: Tänzerische Armbewegungen der auf Stühlen Sitzenden, Körpersprache, äußerst sensible, Ego & Ego. Die Männer mutieren mehr und mehr zu weiblichen Geschöpfen. Sinnlichkeit, LGBT-Sexualität, frauliche Grazie wie jedoch auch bedrückende Schwermut, existenzielle Trauer oder versuchte Überwindung menschlicher Distanzierung werden hier beschworen. Mit verführerischen Posen, nicht aufdringlich lockenden, und einer Art Catwalk im kleinen Rund zu Keith Jarretts ‚The Köln Concert‘ wird das so eingestimmte Publikum entlassen.

Und noch einmal nackte Menschen in einem kahlen Ausstellungsraum des Museums moderner Kunst. „Wir setzen auf eine alternative underground Genealogie zur Selbstverteidigung“ haben Davi Pontes & Wallace Ferreira aus Rio de Janeiro zu ihrem ‚Repertório N2′ geschrieben. Dies war nicht mehr als eine halbe Stunde ein im engen Duo abgestimmtes Stapfen und Tappen mit kraftvollen Trittbewegungen inmitten der die nackten Körper betrachtenden Zuseher. Gelegentlich haben starre Posen, Pin-up-Attitüden auf menschliches Aufbegehren (eher doch Hilflosigkeit?) hingewiesen. Als Essenz in den Aussagen nicht weniger dieser zahlreichen knappen Performance-Episoden mag vielleicht anzusehen sein: der heutige Mensch in seiner Nacktheit, je nach seinen Möglichkeiten bemüht um künstlerische Darstellung. Kein Ballettprinz ist ins Auge gestochen, kein beglücktes Dornröschen. Nicht allzu oft ist Poesie zu oder mit Untermalungs-Sound verströmt. Einzelne Ideen werden ausgelotet, ohne Anspruch auf eine vielschichtige Erzählung. Vielschichtig ja: die vorgeführte Psyche. Das kann in die Tiefe gehen. Das derzeitige Modewort Gender ist dabei in irgend einer Weise stets durch die Räume geflirrt. Und das ImPulsTanz-Gefolge hat sich dabei wohl gefühlt.

Meinhard Rüdenauer

 

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