Online Merker Logo

Die internationale Kulturplattform

WIEN/ ImPulsTanz: Eszter Salomon mit „Reappearance & Sommerspiele“ am 12.07.2024 im Österreichischen Filmmuseum Wien, mit „MONUMENT 0.7 M/OTHERS“ am 15.07.2024 im mumok Museum moderner Kunst Stiftung Ludwig Wien und mit „DANCE FOR NOTHING (REVISITED)“ am 16.07.2024 ebenda im Rahmen von ImPulsTanz.

20.07.2024 | Ballett/Performance

WIEN/ ImPulsTanz: Eszter Salomon mit Filmen und Performances

Die in Berlin und Paris lebende gebürtige Ungarin Eszter Salomon, Tänzerin, Choreografin und Filmemacherin, stellt in diesem Jahr drei sehr unterschiedliche Arbeiten bei ImPulsTanz vor. Mit zwei an einem Abend gezeigten Filmen, einem Duett mit ihrer Mutter und einem Solo zeigt sie Ausschnitte aus der großen Bandbreite ihres künstlerischen Schaffens.

Die Filme „Reappearance“ (2022) und „Sommerspiele“ (2023) gehen zurück in die Geschichte des modernen/zeitgenössischen Tanzes. Einer der Wegbereiterinnen des deutschen modernen Tanzes, Valeska Gert, widmet Salomon den ersten der gezeigten Filme. Der sogenannte Grotesktanz der Gert verhandelte Motive wie „Kupplerin“, „Nervosität“, „Wochenschau“ oder „Canaille“ pantomimisch. Salomon arbeitet mit diesem Film und einer der Gert gewidmeten Performance-Reihe, den „The Valeska Gert Monuments“, gegen das Vergessen. Im zweiten Film schaut sie auf die Olympischen Sommerspiele Berlin 1936, deren Eröffnung von Nazi-treuen Choreografinnen und Tänzerinnen mit gestaltet wurde. Andere wurden verdammt, mussten emigrieren oder wurden getötet. „Mit beiden Filmen greift Eszter Salamon in unsere Vorstellung eines historischen Kanons ein.“ So die Ankündigung von ImPulsTanz.

salo1
Eszter Salamon: „Reappearance“ © Marie Zahir

Mit ihrem Duett „MONUMENT 0.7 M/OTHERS“, das sie gemeinsam mit ihrer Mutter, der ungarischen Tanzlehrerin Erzsébet Gyarmati performt, dringt sie ein in die Beziehung zwischen Mutter und Tochter. Es ist kein persönliches Stück. Es geht Salomon ausdrücklich um eine Allgemeingültigkeit der Arbeit, die auf sinnlich-lyrische Weise die Ver- und Entflechtungen zweier tief miteinander verbundener Menschen und hier insbesondere die Qualität der Beziehung, Identität und Vererbung untersucht.

In Stille, ohne jede Musik, bewegen sich die beiden in Schwarz Gekleideten in Slow Motion. Sie stellen im Sitzen, Liegen und Stehen physische Konstellationen her, halten kurz inne, um die Bilder wie Skulpturen einer Betrachtung und vor allem der Untersuchung auf ihren emotionalen Gehalt hin anzubieten. Sie gehen dabei durch Zustände, Befindlichkeiten und Prozesse, die verschiedene Aspekte der individuellen wie der gemeinsamen Existenz beleuchten.

salo2
Eszter Salamon: „MONUMENT 0.7 M/OTHERS“ © Ferenc Salamon

Die Fürsorglichkeit und Intimität dieser Begegnung sind hart erarbeitet, wie Eszter Salomon berichtet. Im Ergebnis war es möglich, eine in ihrer Physikalität fremdartig erscheinende Zweisamkeit auf der Bühne zu erschaffen. In dieser Koexistenz und Kopräsenz gehen sie auf dem weißen Quadrat inmitten des um sie herum sitzenden Publikums mit ungeheurer Zärtlichkeit von einem Bild am Anfang, als würde sie ihre tote Mutter halten in ihren Armen, dann durch Umarmung, Halten, Empfangen, geistige Konfrontation, Spiegelung, eine Existenz um ein gemeinsames Zentrum herum, Schutzbedürfnis und Schutz, Beistand und Unterstützung, Trost und Halt, Verschränkung, die scheinbar unausweichlich notwendige geradlinige Weitergabe eines Erbes, den Widerstand dagegen und die Auflehnung gegen die und das Niederringen der ererbten Prägungen, Vertrautheit, Nähe und Wärme, das Erleben gleicher Persönlichkeitsstrukturen, Entspanntheit, die Akzeptanz der Unterschiedlichkeit, Wettbewerb, den Wettstreit der Überzeugungen und Glaubenssysteme, den Versuch der Befreiung von einem einengenden, schwer lastenden Erbe, sie gehen durch die Bewusstheit über die lange Tradition auch der Weitergabe eines Erbes, die Wertschätzung dessen, durch respektvolle Koexistenz, die unbedingte, nie endende Liebe einer Mutter, das entspannte So-Sein eines jeden, durch beiderseitigen Widerstand und Kampf.

Manchmal sprechen sie. In der Halle des mumok jedoch sind die Texte wegen der von sehr viel Hall stark beeinträchtigten akustischen Bedingungen kaum verständlich. Unsere individuelle Weltsicht und ihre Ursachen („wie jeder alles tut“) thematisieren sie. Wie zwei Gewinner ein und des selben Kampfes strecken sie sich gegenseitig eine Hand in den Himmel. Und bedecken sich dann gegenseitig die Augen. „Nichts ändert sich von Generation zu Generation. Außer der Komposition.“

salo3
Eszter Salamon: „MONUMENT 0.7 M/OTHERS“ © Ferenc Salamon

Viele Bilder für verschiedenste Zustände, Haltungen, Einstellungen, Stati und Wahrnehmungen mit der finalen Feststellung, dass die psychischen Ingredienzien immer die gleichen bleiben, deren Mischungsverhältnis jedoch (und damit ihr Ausdruck in der physischen Welt) variiert.

Diese Arbeit berührt eine Reihe fundamentaler Fragen. Sind wir überhaupt fähig zu unterscheiden zwischen uns selbst und unserem seelischen Erbe? Ist es überhaupt notwendig? Ist die Gewalt, mit der weitergegeben wird und mit der das Ererbte in uns wirkt, vermeidbar? Ist die (fehlinterpretierte) Liebe, die als (Ab-) Grund für das Zwängen in Korsette herhalten muss, überwindbar?

Es geht zudem um die Frage der friedlichen Koexistenz, nicht nur die der verschiedenen Erben-Generationen, sondern auch um die der verschiedenen, vielfach ererbten Aspekte in uns selbst.

Das Bereichernde zu erkennen und zu unterscheiden von dem, was uns sabotiert und von uns selbst entfernt, was uns verformt statt uns zu weiten, ist eine der Hauptaufgaben unseres Lebens. Wohlan denn! „MONUMENT 0.7 M/OTHERS“ ist eine stille, formal unspektakuläre, kluge, tiefe, wertvolle und berührende Arbeit.

„DANCE FOR NOTHING (REVISITED)“ ist eine überarbeitete Version der bereits 2010 entstandenen Auseinandersetzung mit dem von John Cage 1949 verfassten Text „Lecture on nothing“. In dieser Performance hört sich Eszter Salomon eine eigene vorherige Performance an und untersucht die Aspekte Interpretation und Übertragung. Das allerdings ganz für sich. Das Publikum bekommt davon nichts mit.

Nur ein Stuhl, ein Mikrofon und die Salomon im schwarzen Kapuzenshirt. Und mit einem Knopf im Ohr. Sie rezitiert den Text und bewegt sich dazu. Die Herausforderung ist, wie sie im anschließenden Künstlergespräch mit Tom Engels, dem Kurator und Leiter des Grazer Kunstvereins gestand, das gleichzeitige Performen zweier „Choreografien“. Cages Text ist inhaltlich, rhythmisch und klanglich eine eigene, in Kapitel geordnete Choreografie, ihre Bewegung eine andere. Sie versucht, beide vollkommen zu entkoppeln, kommentiert oder illustriert den Text nicht und setzt ihm auch nichts entgegen. Weder rhythmisch noch semantisch. Die Parallelität der beiden Stränge zwingt zur Konzentration auf beide, was die Wirkung beider noch einmal verstärkt.

salo4
Eszter Salamon: „Dance for Nothing (revisited)“ © Sebastian Reiser

Was hören wir? Cage verhandelt in seinem Text eine Fülle von Aspekten in ihrer Gegensätzlichkeit respektive Polarität. Er geht über die Dissoziation in die Auflösung derselben. „Ich habe nichts zu sagen, und ich sage es.“ Begriffe wie Besitz/Verlust („Unsere Freude liegt im Nicht-Besitzen von Nichts.“), Struktur („Ohne Leben ist sie Tod.“ und „Sie ist eine Brücke zwischen zwei Nichts“), Material (Musik und Komposition, Bach, Tonalität, „Bach nahm die Trennung von Geist und Ohr vorweg.“), Geräusche („Stille zu spielen ist überwältigend.“), Fragen/Antworten, Ort/Nirgendwo („Wir haben das Gefühl, dass wir nirgend wo hin gehen. Das ist irritierend.“), Zwölftonmusik, das Brauchen von Besitz. Textpassagen wiederholen sich. Der Text endet strukturell im Nichts, aus dem er kam.

Und was sehen wir? Ihr Tanz entsteht aus stillem Sitzen, langsam sich steigernd, dann verlässt sie den Stuhl. Liegend und stehend, irgendwann auch die Kapuze abgestreift, intensiviert sie die Gesten, um am Ende wieder in die Stille zu fließen. Das Unbestimmte, Grund- und Ziellose ihrer Gesten, ohne Anlass, ohne Intention, werden zu fassbarem Ausdruck. Der Impuls für eine Geste kommt aus der vorherigen. Es fließt. Es hat keinen Anfang und kein Ende. Keinen Sinn als den, zu sein in einer Kontinuität, die aus dem Nichts entstand und in es zurückführt. Die Bedeutungslosigkeit der Gesten verleiht ihnen ihren Sinn. Konkretheit entlarvt sie als sinnlos mit ihrem Bewegungsmaterial. Es scheint wie ein Ausschnitt aus der Ewigkeit, wie eine Sequenz des Nichts.

In den Phasen der Stille, wenn der Text nur Zeit (oder das Nichts) erfahren lassen will, wird ihre Bewegung besonders eindringlich. Sie liegt auf der Seite und hält Kopf und Bein in der Schwebe. Hier scheint sie schon zu illustrieren. Die Spannung im Raum. Sie wiegt sich, schwingt vor und zurück, pendelt zwischen unsichtbaren Polen, um das herum, was dazwischen liegt. Ein Nichts. Und zugleich ein Alles.

salo5
Eszter Salamon: „Dance for Nothing (revisited)“ © Sebastian Reiser

Die klassisch ausgebildete Eszter Salomon will in „Dance for Nothing“ den Tanz leeren, uns befreien von Vorstellungen vom Körper, dessen Möglichkeiten und vom Gefühl. Sie will „ihre Ideologie dekonstruieren“, wie sie im Artist Talk erläuterte. Es geht um Aufmerksamkeit und den ästhetischen Wert der Bewegung. Ziel erreicht. Durch die Entkopplung von Text und Tanz intensiviert sie die Erfahrung von beidem. Deren Bedeutungsebenen werden durch die kontrapunktische Komposition des Stückes verstärkt respektive überhaupt sichtbar.

John Cage beschrieb die Kernaussage seines Stückes so: „Lecture on Nothing ist, dass du durch die Reduktion von Allem zu Nichts zu verstehen beginnst, dass Kunst die Erfahrung des Momentes ist, dass alles, was zählt, jetzt ist. Du kannst Kunst niemals besitzen.“

Am Ende klopft sie sich einen Rhythmus auf die Brust. „Kapitalismus … Kommunismus“. „Ich denke manchmal, dass ich was weiß.“ Parallele, nicht harmonisierte und nicht synchronisierte Metriken werden hier zum poetischen Pulsschlag des Nichts. Cage und Salomon formulieren in ihren hier verschränkten Arbeiten Kunst als Antithese zum und Fundamentalkritik am Kapitalismus, der mit seinem Fokus auf den Besitz das Leben und die Kunst des Eigentlichen, der Erfahrung des und der selben, beraubt.

Eszter Salomon mit „Reappearance & Sommerspiele“ am 12.07.2024 im Österreichischen Filmmuseum Wien, mit „MONUMENT 0.7 M/OTHERS“ am 15.07.2024 im mumok Museum moderner Kunst Stiftung Ludwig Wien und mit „DANCE FOR NOTHING (REVISITED)“ am 16.07.2024 ebenda im Rahmen von ImPulsTanz.

Rando Hannemann

 

 

Diese Seite drucken