WIEN/ ImPulsTanz: Alexander Vantournhout / not standing mit „Foreshadow“ im Volkstheater
Als ein Shootingstar angekündigt zu werden weckt hohe Erwartungen. Im letzten Jahr noch mit einem Duett und erstmals bei ImPulsTanz zu Gast, lässt er in diesem Jahr acht AkrobatInnen auf der Bühne des Volkstheaters tanzen. Alexander Vantournhout und seine Kompanie „not standing“ machen in dem Stück „Foreshadow“ die Schwerkraft und die Vertikale zu Co-Performern.
Und sie enttäuschen die Erwartungen nicht.
Alexander Vantournhout / not standing: „Foreshadow“(c) Bart Grietens
Ausgebildet in Zirkuskunst und zeitgenössischem Tanz an der ESAC (Ecole Supérieure des Arts du Cirque) und am P.A.R.T.S. in Brüssel, kreierte der 1989 in Brüssel geborene Alexander Vantournhout vor zehn Jahren sein erstes Stück „Caprices“, ein choreografisches Solo. 2023 debütierte er mit dem 2020 entstandenen Duett „Through the Grapevine“ bei ImPulsTanz.
Die Grenzen des Körpers, seine Kinetik und Tiere sind von Anbeginn inspiratorische Quellen seines künstlerischen Schaffens. Für „Foreshadow“, im Sommer 2023 in Amsterdam uraufgeführt und hier als Österreichische Erstaufführung präsentiert, interessierten ihn auch die besonderen Fähigkeiten von Eidechsen und Geckos, die senkrecht an Wänden und Glas laufen können. Wir Menschen nicht. Die spezifischen physikalischen Eigenschaften der Füße dieser Tiere lassen uns davon träumen.
Es beginnt am Boden und in Stille. Die acht PerformerInnen, drei Frauen und fünf Männer, Vantournhout ist einer von ihnen, zeigen in ständig variierten kreis- und bogenförmigen Formationen und Konstellationen, was man auf kreative Weise miteinander tun kann. Sie halten und schleudern sich, verschränken die Gliedmaßen, spielen schon hier mit der Dualität Horizontale-Vertikale. Und das sehr gewitzt. Sie atmen, klatschen, berühren erstmals die Rückwand, bilden Paare, laufen diagonal, kreuzen die Reihen im Lauf, übernehmen das Prinzip der gegenseitigen Durchdringung auch in die Kreisform und in rollende Körper. Sie greifen ineinander wie die Zahnräder eines menschlichen Getriebes. Sie zeigen interessante Moves und Konstellationen im Stand und in Bewegung. Trotzdem: Die erste halbe Stunde sollte gestrafft werden. Hier wünscht man sich mehr Dichte.
Alexander Vantournhout / not standing: „Foreshadow“(c) Bart Grietens
Erst nach längerer Zeit setzt der Sound ein. Vantournhout wählte als akustische Begleitung Musik der 1976 gegründeten britischen Band „This Heat“, die mit experimenteller Rockmusik, angesiedelt zwischen Post-Punk, Noise, Industrial und elektroakustischer Musik, als wegweisend für den Post-Rock gilt. Die Musik, von Rauschen bis zu rhythmisch-rockigen und elektronischen Parts, rückt die physische Performance in ein ebenso experimentelles Licht.
Was die acht dann an der Wand, der sie sich zögerlich nähern, zeigen, hat man noch nicht gesehen. Alexander Vantournhout verbindet Akrobatik und Tanz auf eine unvergleichliche Weise. Und er stellt die Senkrechte der Wand in Frage. Es ist, als ob er die Dimensionen ineinander fließend lässt. Was horizontal ist und was vertikal, wo sich der Boden, auf den doch eigentlich die Schwerkraft hinarbeitet, gerade befindet, erscheint in dieser Performance als willkürliche Festlegung. Die häufig geändert wird.
Sie liegen an der Wand wie auf dem Boden, nur auf einen Fuß eines Mit-Performenden gestützt. Oder auf die Knie. Es entwickelt sich ein kreatives Spiel mit Illusionen und Irritationen, das Verunsicherung erzeugt und Wahrnehmungs-Muster als solche entlarvt und in Frage stellt. Ist es, wie es scheint? Sie stellen Begriffe wie unten und oben, senkrecht und waagerecht zur Diskussion. Sie bauen faszinierende Skulpturen in die Vertikale und auf den Boden, spielen mit Gewohntem und kontextualisieren es neu.
Alexander Vantournhout / not standing: „Foreshadow“(c) Bart Grietens
Wenn eine Frau mit flachen Händen und gespreizten Fingern kopfüber senkrecht an der Wand klebt, nur auf einen Fuß des unter ihr liegenden Kollegen gestützt, kommt einem der Gecko in den Sinn. Amüsant, vor allem aber artistisch beeindruckend. Den oberen Rand de Wand erklommen, klammern, hängen oder sitzen zwei dort oben und ziehen, halten und schwingen KollegInnen. Viel Kraft und beste Koordination sind dafür von Nöten.
Die Bindungskräfte der Natur übersetzen sie in sichere Ver-Bindungen untereinander. Ihr Spiel mit Gleichgewicht und Balance, Gravitation und menschlicher Gegenkraft, Dynamik und Statik, Kontrolle und Loslassen, Aufstieg und Fall mündet in waghalsige Akrobatik, die einem zuweilen den Atem stocken lässt. Die Kraft-Anstrengung und die ungeheure Körperspannung, die sie für diese Bilder brauchen, werden sichtbar. Der Sound gibt Klangkulisse, mit der sie sich manchmal auch rhythmisch synchronisieren. Skulpturales und Bewegung zeigen die acht parallel.
Alle acht arbeiten äußerst konzentriert, höchst aufmerksam. Sie schauen aufeinander und sichern sich gegenseitig. Stützen, Halten, Vertrauen, Empathie. Das ist die implizite Botschaft des Stückes: Kooperation statt Konkurrenz. So können wir Grenzen überschreiten und scheinbar Unmögliches möglich machen. Das Stück entwickelt eine ganz eigene Poesie mit einer spirituellen Ebene.
Alexander Vantournhout / not standing: „Foreshadow“(c) Bart Grietens
„Foreshadow“ ist sehr intelligent choreografierte Hochleistungs-Akrobatik mit tänzerischen Elementen, die sich eher im Stellungsspiel und in der Dynamik zwischen den skulpturalen Bausteinen des Stückes finden. Die vor allem zu zweit, zu dritt und in größerer Gruppe gezeigten Sequenzen lassen einen staunen ob ihrer bislang nicht gesehenen Ästhetik und der tänzerisch-akrobatischen Umsetzung. Seine Kreativität beim Erfinden von Bewegungsmaterial und die Professionalität seiner Akrobatik machen den vergleichsweise jungen Choreografen, Tänzer und Zirkuskünstler Alexander Vantournhout tatsächlich zu einem Shootingstar. Der sofort einsetzende und lang anhaltende Jubel des euphorisierten Publikums zeigt: Alexander Vantournhout darf mit „Foreshadow“ eine Riesen-Erfolg für sich verbuchen.
Alexander Vantournhout / not standing mit „Foreshadow“ am 25.07.2024 im Volkstheater Wien im Rahmen von ImPulsTanz.
Rando Hannemann