WIEN / Hofburgkapelle: FRIEDENSMESSE von Johanna Doderer
3. November 2024
Von Manfred A. Schmid
Johanna Doderers Messe, das erste an eine Komponistin vergebenes Auftragswerk in der 525-jährigen Geschichte der Hofmusikkapelle, wurde hierorts bereits im April uraufgeführt und ist nun im Rahmen von wien modern erneut in der Hofburgkapelle zu erleben. Eigentlich ist ja jede katholische Messe eine Friedensmesse: Im „Gloria“ wird der „Frieden auf Erden den Menschen seiner Gnade“ verkündet, und das abschließenden „Agnus Dei“ endet mit der an das Lamm Gottes gerichteten Bitte „gib uns deinen Frieden“. Da sich Doderer bei ihrer Vertonung streng an den lateinischen Text der Liturgie hält, fügt sie ihrer Messe nichts hinzu, was sie als postulierte Friedensmesse von anderen Messen abheben würde. Außer vielleicht der Umstand, dass sie in Zeiten bedrohlicher kriegerischer Auseinandersetzungen in Osteuropa sowie im Nahen Osten entstanden ist. Aber war das in Zeiten eines Joseph Haydn, Franz Schubert oder Anton Heiller jemals anders? Dennoch ist es natürlich verständlich und legitim, eine Mess-Komposition mit dem Wunsch nach Frieden zu verknüpfen. Auf die Frage, ob Musik etwas zum Frieden beitragen könne, hat Johanna Doderer eine eindeutige Antwort: Ja, denn „Musik kann das Unausgesprochene sagen und Wahrnehmungen schärfen, berühren, die Menschen ,seelisch öffnen‘, die Kraft und den Mut fördern, um zu einem friedlichen Miteinanders zu stehen,“ wie sie im Pressetext des Veranstalters zitiert wird. Ihr Wort in Gottes Ohr, vor allem aber in die Ohren der Zuhörerinnen und Zuhörer, ob es sich dabei nun um Gläubige oder nur Touristen handelt, die bei einem Wienbesuch in der Hofmusikkapelle vorbeischauen und von der Macht der Musik erfasst oder wenigstens gestreift werden. Musikalisch steht dem tatsächlich kaum etwas im Wege. Doderers Messe ist fast zur Gänze tonal an den spätromantischen wie auch klassizistischen Traditionen der Kirchenmusik ausgerichtet und überfordert das Publikum nicht mit dissonanten, schwer erträglichen Klängen. Die Musik ist so raffiniert bekömmlich, dass man sich sogar fragen möchte, was das alles mit wien modern zu tun haben soll. – Viel, denn dieses Festival versteht sich heute längst „als offene Plattform für gern widersprüchliche Ästhetiken und Formaten, im bunten Mit- und Nebeneinander unterschiedlichster Szenen und Generationen“. In der Vielfalt des Anything Goes ist zum Glück auch Platz für diese bemerkenswerte Messe, die hinsichtlich der musikalischen Stilistik vielleicht wenig Neues zu bieten hat, in der Herangehensweise an die liturgischen Eckpfeiler aber doch neue Wege geht.
Das „Kyrie“ ist nicht so flehentlich bittend angelegt wie üblich, sondern Doderer scheint darin auch dem Umstand Platz einzuräumen, dass der Kyrie-Ruf zu den ältesten Bestandteilen der Liturgie gehört und ursprünglich als Jubelruf auf Gott den König gedacht war. Auffällig ist auch, dass das „Gloria“ wie auch das „Sanctus“ den Herrn zwar verherrlichen, aber doch auch nachdenklich gestimmt wirken, vielleicht angesichts des Zustands, in dem sich seine Schöpfung derzeit präsentiert. Stark rhythmisch, fast stampfend die Dringlichkeit einfordernd, wird das Sanctus Dominus über und über wiederholt, während das Hosanna in dem mit den meisten Dissonanzen angereicherten „Benedictus“ und der Friedenswunsch im „Agnus Die“ keinesfalls als ausgemachte Selbstverständlichkeiten daherkommen, sondern wie heiß ersehnte, kostbare, fragile Geschenke. Gewissheit und Sicherheit strahlt da nur das mit Paukenschlägen gehämmerte „Credo“ aus. Tonangebend in dieser Messe ist der Chor, die solistischen Einsätze von Wiener Sängerknaben, Sopran und Alt fallen nicht so sehr ins Gewicht.
Die Aufführung durch Mitglieder des Orchesters und des Herrenchors der Wiener Staatsoper und der Wiener Sängerknaben unter der Leitung von Johannes Ebenbauer ist von exzellenter Qualität. Eine weitere Aufführung der Friedensmesse von Johanna Doderer gibt es am 17.11.2024.