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WIEN / Halle E: Premiere von Milo Raus LA CLEMENZA DI TITO

Und das Ganze nennt sich dann "eine Hommage an Wien"!

21.05.2024 | Oper in Österreich
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Ensemble. Alle Fotos: Wiener Festwochen / Nurith Wagner-Strauss

WIEN / Museumsquartier: LA CLEMENZA DI TITO

21. Mai 2024 – Premiere

Von Manfred A. Schmid

Milo Rau entlarvt, wie er sagt,  in seiner Inszenierung der Mozartoper den milden, aufgeklärten, humanistischen Herrscher Tito als einen „Gutmenschen“, dessen großmütige Taten, wie zu Beispiel seine Zuwendungen für die vom jüngsten Vesuv-Ausbruch betroffenen Menschen, nur dazu dienen, die herrschenden Machtverhältnisse aufrechtzuerhalten. Titos Toleranz ist das, was Herbert Marcuse, der philosophische Leitstern der 68er-Bewegung, als „repressive Toleranz“ gebrandmarkt hat. Für den studierten Soziologe Milo Rau ist auch Mozarts La Clemenza di Tito ein Beispiel für repressive Toleranz im Kunstbereich, wie seinen Ausführungen im knappen Programmheftchen zu entnehmen ist: In dieser Oper, drei Jahre nach dem Ende der Französischen Revolution als Auftragswerk anlässlich der Krönung Kaiser Leopolds II. zum König von Böhmen entstanden und in Prag uraufgeführt, haben demnach Mozart und sein Librettist die Realität der gewalttätigen französischen Revolution so dramatisiert und ästhetisiert, dass dadurch „die Authentizität dieser Wirklichkeit geschwächt und auf Distanz gehalten wird“. Die Oper konzentriere sich auf „Machtspiele der Elite, die zu Staatsstreichen führen können, während das Volk Roms unter der Gewalt leidet und ihre Stadt in Flammen steht“. Damit hätten sie die Französische Revolution künstlerisch „domestiziert“. Rau will „das Werk aus seiner opernhaften Utopie herauslösen und wieder real machen, die Realität in die Kunst bringen. Das ist die Aufgabe der Kunstschaffenden, auf diese Weise kann Kunst die Welt verändern.“

„Kunst ist Macht“ ist immer wieder zu lesen. Ein bemerkenswerter Ansatz. Ob Rau mit seiner Inszenierung tatsächlich die Welt verändern wird, bleibt abzuwarten. Er hat dieses Konzept schon 2021 an der Genfer Oper in die Tat umgesetzt, Corona bedingt allerdings nur gestreamt. Antwerpen folgte 2023, und nun ist Wien an der Reihe. Was vor allem interessiert, ist die Umsetzung dieses Konzepts und der Gewinn daraus, den der Zuschauer und Zuhörer daraus ziehen kann. Der herrschenden Klasse, die sich um den Künstler-König schart und ihm huldigt, stellt Rau die Deklassierten gegenüber. Menschen, die am Rande der Gesellschaft in einem Flüchtlingslager leben. Die Bühne von Anton Lukas ist daher zweigeteilt. Die Vorderseite ist ein Museum, der Ort, wo sich die Elite einfindet und die überkommenen Rituale pflegt. Ein künstlicher, utopischer, ästhetisierter Raum. Mit einem Wort: Die Oper. Die Rückseite der Drehbühne zeigt die reale Welt rund um das Opernhaus. „Nicht Schauspieler:innen, sondern Menschen, die auf der Suche nach einer besseren Zukunft gestandet sind, bevölkern den Ort.“ Die Geschichten dieser Menschen werden in Videoeinspielungen, aber auch live erzählt. Woher sie kommen, warum sie nach Wien gekommen sind, was sie machen, was sie bewegt. Einblicke in den Migranten-Alltag. Das Schicki-Micki-Treiben rund um den Bobo-König Tito bleibt eher im Hintergrund, da Tito in dieser Inszenierung schon am Beginn bei einem tätlichen Angriff außer Gefecht gesetzt wird und dann per Videoeinspielung zu sehen ist, wie er in einer Bruchbude von einer Schamanin mit Salben geheilt wird. Ein klarer Fall von Ausbeutung armer Leute. Man erlebt zwei Hinrichtungen von Immigranten, die gehenkt werden, einem „letzten echten Wiener“ wird das Herz aus dem Leib gerissen und fortan wandert dieses goldrote Wienerherz von Hand zu Hand.

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Justin Hopkins (Publio) und Jeremy Ovenden (Tito)

Was eindeutig viel zu kurz kommt, ist die Musik. Wenn die schönste und längste Arie der Vitellia (Anna Malesza-Kutny) im letzten Akt dazu dient, per Video eine Anzahl von Mitwirkenden in Nebenrollen bis hin zur Statisterie vorzustellen und man das mitverfolgen will, weil das ja wohl das Einzigartige an dieser Inszenierung repräsentiert, dann wird Mozart zur Hintergrundmusik degradiert. Leider sind auch die meisten Stimmen zu schwach für die nicht gerade einfachen akustischen Verhältnisse in der Halle E des MuseumsQuartiers wie auch für die musikalischen Herausforderungen Mozarts. Jeremy Ovenden ist ein kläglich singender Tito, die Mezzosopranistin Anna Goryachova in der ursprünglich für einen Kastraten geschriebenen Partei des wankelmütigen Sesto noch an ehesten mit einer halbwegs annehmbaren Leistung.

Die Camerata Salzburg, der Arnold Schönberg Chor und Thomas Hengelbrock als musikalischer Leiter sind bewährte Größen, geben ihr Bestes und verleihen der Aufführung so etwas wie Anstand, sind aber nicht zu beneiden. Nur als musikalischer Hintergrund herhalten zu müssen, ist gewiss keine angenehme Erfahrung.

Wie aber geht der so für Freiheit und Gerechtigkeit eintretende Milo Rau in der Ankündigung dieser Produktion vor? Im sechs Textseiten umfassenden Programmheftchen sind die Sängerinnen und Sänger nur per Namen angeführt, ohne irgendwelche biografisch-künstlerische Angaben, immerhin aber sind auch alle 19 Beteiligten an der Komparserie namentlich erwähnt. Nur Milo Rau und Thomas Hegelbrock sind so ausführlich beschrieben, dass sich gerade noch ein paar Zeilen für die Camerata Salzburg ausgehen. Der Arnold Schönberg Chor fällt aus Platzgründen allerdings schon wieder aus. Aber auch diesbezüglich hat sich der findige Rau im Vorhinein abgesichert: „Auf diese Weise wird La Clemenza di Tito zu einer Form der Selbstkritik des engagierten Kunstschaffender. Bin ich als Theatermacher nicht auch ein wenig wie Titus, ein Gutmensch, der die kalte Welt in einem komfortablen Raum abbildet, sie ästhetisiert und sogar noch davon lebt?“ Gewiss doch. Und er weiß es.

Es gibt viel Beifall und doch auch Buhruf für diese „Hommage an die Menschen Wíens“. Danke. Zu liebeswürdig.

 

 

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