Hermann Leopoldi. Copyright: Österreichische Mediathek
HERMANN LEOPOLDI – Gedenken zum 130. Geburtstag: Eine Lieder-Matinée, weitab von Festspiele-Hotspots und Seitenblicke-Prominenzgetöse
15.8. 2018 – Karl Masek
„Tradition Kunst & Kultur“: Seit 1713 gibt es im Wiener Heurigenvorort Grinzing die Bio Weinbau & Heurigenschank „ZUM BERGER“ in der Himmelstraße Nr.19. Man lud dort zu einer musikalischen Gedenkfeier ein.
Warum das in unserer Internationalen Kulturplattform besprochen wird? Aus mehreren Gründen: Hermann Leopoldi, bürgerlicher Name: Hersch Kohn (15.8. 1888 – 28.6.1959, ein Wiener Kind aus dem 12. Bezirk mit jüdischen Wurzeln), war ein Komponist am Pulsschlag der damaligen Zeit (der zwanziger bis fünfziger Jahre des 20.Jhts), prononciert wienerisch, zugleich stilistisch äußerst vielseitig mit großer Bandbreite seiner Chansons, die mit den damaligen Modetänzen wie Tango, English-Waltz, Foxtrott,… spielten und den Liedern, die von fast schubertisch anmutender Melodienseligkeit bis zu Schlagern mit ironisch-kabarettistischen Texten reichten, welche in manchem Georg Kreisler vorweg nahmen.
Was hat Leopoldi nicht alles komponiert! Hunderte Chansons, Schlager, Wiener Lieder (Der oftmals im Zusammenhang mit ihm kreierte Begriff Klavierhumorist greift da eindeutig zu kurz)! Ja, seine Melodien hatten Ohrwurm-Charakter! Aber sie korrespondierten geradezu genial mit den Texten (und seine Texter Peter Herz, Fritz Löhner-Beda, Robert Waldau,…, lassen das Herz jedes Freundes dieser herrlich-unverwechselbaren Wiener Kaffeehausliteratur-Giganten höher schlagen!).
„Pulsschlag der damaligen Zeit“: Kaum war das Radio erfunden, gab es in den 20er Jahren den Ohrwurm: Die schöne Adrienne … hat eine Hochantenne …. Tschintarassa Radio…“. Und wenn man sich beispielsweise das ironische Liebeslied Leopoldis aus dem Jahr 1934Mein Schatz ist bei der Feuerwehr in Kritzendorf, der freut sich, wenn es brennt, dass er dann spritzen doarf…. anhört, dann ist es nur ein Katzensprung zu EAV (Der „Ersten Allgemeinen Verunsicherung“) der 80er und 90er Jahre, wenn die beim Bodybuilder-Song „An der Copacabana und am Wörther See“ reimten: Nur am Schotterteich von Mistelbach wird vielleicht noch die Christel schwach …
Und dann aber die Lieder , die einem die Kehle zuschnüren: Das Buchenwald-Lied von 1939 (mit dem Text des Leidensgenossen Fritz Löhner-Beda und der Textstelle „…O Buchenwald, wir jammern nicht und klagen, und was auch unser Schicksal sei, wir wollen trotzdem ja zum Leben sagen, denn einmal kommt der Tag: dann sind wir frei!“). Für Leopoldi kam dieser Tag dank einer Bürgschaftserklärung von seinen damaligen Schwiegereltern aus Amerika, für Fritz Löhner-Beda, dem Co-Autor zu Operetten Lehárs („Friederike“, „Das Land des Lächelns“) und Paul Abrahams („Victoria und ihr Husar“, „Die Blume von Hawaii“,…) kam er nicht. Er kam 1942 im KZ Ausschwitz um. Oder aber Leopoldis Lied aus der Spätzeit von 1956:Es ist Zeit zum Händereichen, geschrieben mitten in der Zeit weltpolitischer Krisen (Ungarn, Korea, Kuba,…).
Über den unmittelbaren Gedenkanlass hinaus: Ein verwirklichter Herzenswunsch, den nach Israel geflüchteten Exil-Österreichern die Musik ihrer Kindheit und Jugend wieder zu bringen und gleichzeitig die Werke jener Künstler zu spielen, die ebenso Betroffene des NS-Terrors waren und deren Musik verboten war. Spätestens jetzt ist es Zeit, Ronald Leopoldi, den jüngsten Sohn des Komponisten und Judith Weinmann-Stern, die beiden Initiatoren der Kulturinitiative Wien – Tel Aviv, ins Spiel zu bringen. In den Österreichischen Kulturtagen in Tel Aviv brachten sie z.B. 2013 beim Start des Projektes Schauspielerinnen wie Volkstheaterstar Andrea Eckert oder Sänger wie Staatsopernliebling Heinz Zednik mit Wienerischem nach Israel und sorgten bei den aus Österreich Vertriebenen (mittlerweile hochbetagt!) für Rührung und Ergriffenheit.
Viele der oben genannten Lieder (von elegisch-lyrisch bis ironisch-witzig) wurden bei dieser Gedenkmatinée zu Gehör gebracht.
Weit entfernt von sommerlichen Festspiel-Hotspots und Seitenblicken-Prominenzgetöse gab es für 120 Zuhörer/innen im schattigen Heurigengarten einen lustigen, berührenden, vergnüglichen Hermann-Leopoldi-Querschnitt mit großem Wiedererkennungs-Wert.
Schön ist so ein Ringelspiel, Das kleine Café in Hernals, A Wienerlied muss im Mund wie a Zuckerl zergehn, Das große Wunder, das man Liebe nennt, A guater Tropfen, so dreimal täglich, Schnucki, ach Schnucki, fahr‘ ma nach Kentucky,…, alles kam vor.
Herzlich akklamiert wurden vom Auditorium (der Garten war rappelvoll!) alle Mitwirkenden.
Gruppenfoto: Fritz Brucker, Der singende Ober, „Herr Leopold“, Andreas Hirsch, Anita Tauber, Maria Lukasovsky, Manami Okazaki, Ronald Leopoldi C: Andrea Masek
Manami Okazaki (junge japanische Koloratursopranistin aus Tokyo & mittlerweile WAHLWIENERIN) begeisterte mit hinreißendem Charme, überbordender Bühnenpräsenz, blitzsauberer Stimmgebung und perfekter Textbehandlung („Ringlspü“, „kost‘ net vü“ kamen mit einem Wienerisch, wie man es selbst von einheimischen Native-speaker-Sängern nicht immer zu hören bekommt, inklusive einem apart-dezentem Meidlinger „l“ bei: „… sich ein Vergnügen lleisten kann…“). Gemeinsam mit dem „Sioux-Indianer“ (dem „Singenden Ober, Herrn Leopold“ aus dem Café Schwarzenberg) legte sie „Schnucki, ach Schnucki“ aufs Parkett, dass es schier zum „Zerwuzeln“ (für jenseits der sprachlichen Weißwurst-Linie: „Zum Totlachen“) war. Umwerfend komisch das (mir bisher unbekannte) Kellnerlied: Der Kalbsbraten ist aus, der Schweinsbraten ist aus, das Kalbsgulasch, das Rindsgulasch, das Schweinsgulasch ist aus,…. Zum Glück, dass a Maronibrater is‘ vorm Haus!“, mit authentisch grantigem Alt-Wiener-„Obersprech“ vom Herrn Leopold vorgetragen.
Anita Tauber erwies sich vor allem mit ihrem Liebeslied an den Feuerwerker aus Kritzendorf ebenfalls als stimmlich exzellente Komikerin, die pointensicher die Lacher auf ihrer Seite hatte.
Marika Lukasovsky sang mit schönen, innigen Mezzosoprantönen die elegischen, „schubertnahen“ Nummern und Andreas Hirsch (eigentlich Jurist und Ministerialbeamter, aber als Sänger am Wiener Konservatorium Schüler des weltbekannten russischen Bassisten Jewgenij Nesterenko) imponierte mit klangvollem, dunklem Bass sowohl bei der launigen wienerisch – medizinischen Empfehlung A guater Tropfen, so dreimal täglich (da erinnerte er mich an den erdig-jovialen Kammersänger Oskar Czerwenka (natürlich mehr Wienerisch als Vöcklabruckerisch!), als auch beim tief empfundenen Es ist Zeit zum Händereichen, damit Liebe nicht länger im Exil bleibt.
Sonderapplaus schließlich für Prof. Fritz Brucker. Seit 1999 Chorleiter des Wiener Schubertbundes und weithin geschätzter Sängerbegleiter bei Operetten- und Wienerlieder-Konzerten, war er mit all seiner musikalischen Erfahrung und mit seiner eleganten, dezent-humorvollen Moderation Kraftzentrum dieser Matinée.
Ronald Leopoldi und die zahlreich erschienene Familie (samt Enkel und Urenkel) erlebten eine denkwürdige Hommage an einen ganz Großen.
Karl Masek