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WIEN/ Festwochen: MUSIKTHEATER IM ERSTEN TEIL DER WIENER FESTWOCHEN – LEBEN & ÜBERLEBEN IN OST UND WEST

23.05.2016 | Konzert/Liederabende

Musiktheater im ersten Teil der Wiener Festwochen: LEBEN & ÜBERLEBEN IN OST UND WEST 

Am Beginn der heurigen Wiener Festwochen standen drei Musiktheater-Gastspiele, welche auf eine doch wesentliche Diskrepanz  bezüglich geistigen Aussagebedürfnissen und Kreativität zwischen West- und Osteuropa  hinweisen. Aus dem Westen: Choreograph Jan Fabre, der belgische Vermarktungskünstler – nein, ein Star dieser Branche – lieferte in seinem 24stündigen getanzten, gesungenen, gekreischten Spektakel „Mount Olympus. To Glorify the Cult of Tragedy“ eine mit zeitgeistigen Manierismen überladene Eventperfomance ab, ein ’24-Stunden-Theater-Marathon‘ mit einem recht stark auf Abartigkeiten, Fetischismen und verführerisches Fleisch getrimmten Ensemble. Wie ein Gaukler, ein gestandener Schmähtandler wirkt Fabre mit seinem sexy Monstrum gegenüber den famosen Musikerinnen der Dakh Daughters Band aus Kiew, welche, ihrem Regisseur Vlad Troitskyi folgend, weit tiefgründiger, sensibler, geschmackvoller von einem geistigen Überlebenskampf in ihrer Heimat erzählen, dabei berührend wie geistreich unterhalten. Und dass „Die Passagierin“, die KZ-Oper des Polen Mieczysław Weinberg, einen nachhaltigen Eindruck zu vermitteln vermag, konnte die Frankfurter Oper mit ihrer seriösen Produktion bei diesem Kurzgastspiel im Theater an der Wien nun auch einigen heimischen wissbegierigen Opernfreunden bestätigen.

Überrascht hat jedenfalls die in jeder Hinsicht absolut perfekte und ästethische Gestaltung dieser als Freak-Kabarett angebotenen „Roses“-Show der Dakh Daugthers Band. Ein faszinierender Abend in raffinierter optischer Gestaltung mit wechselnden Projektionen, dabei so ganz ohne Song Contest-Primitivitäten. Die weiß geschminkten Damen aus der Ukraine tauchten das Publikum in ein Poesiebad ein, in welchem sie zwar mit einigen ähnlichen Ingredienzien, doch so ganz anders als sich die westlichen popigen Verführungsshows verkaufen mit schmissigen Songs extrem feinfühlig und intelligent all die Wunden, Abartigkeiten, Betrügereien in politischem Leben, Denken und Umfeld karikierten.

Ihren Überlebenskampf hatte sie gewonnen, das KZ konnte sie überleben, Marta, die mysteriöse Passagierin auf dem Überseedampfer, wie es Autorin Zofia Posmysz in ihrem gleichnamigen Roman beklemmend erzählt. Komponist Mieczysław Weinberg – 1919 in Warschau geboren, vor der Hitler-Armee nach Moskau geflüchtet, dort, gerade noch geduldet, 1996 gestorben – vollendet zwar 1968 die auf Empfehlung seines Lehrers und Freundes Dmitri Schostakowitsch erfolgte heikle Vertonung dieses dramatischen Vision. Obwohl damals bereits im Bolschoi-Theater einstudiert, wurde die Aufführung dieser Human-Tragödie mit der späteren Begegnung von Opfer und Peinigerin verboten, da den Sowjet-Bossen die Assoziationen zwischen KZ und Gulag allzu klar waren. In einer konzertanten Uraufführung wurde das Werk erstmals 2006 in Moskau gespielt, die szenische Uraufführung folgte während der Bregenzer Festspiele 2010. 

Weinberg ist alles andere als ein geborener Musikdramatiker. Ohne durchgehende zügige Linie, meist kurzatmig und gestoppelt mit den unterschiedlichsten Kompositionsstilen untermalt er die Rückblicke auf das menschenunwürdige Geschehen im Konzentrationslager Auschwitz. Doch vor allem im zweiten Teil, wenn er die lyrischen Sequenzen sensibel und melancholisch ausspinnt, erzielt er eine beeindruckende Tiefe der Aussage und verinnerlichter Schönheit. Alles unaufdringlich überzeugend vermittelt in der Frankfurter Produktion: Regisseur Anselm Weber, Dirigent Christoph Gerschold, Sara Jakubiak und Ariane Baumgartner als unmittelbar vom Tod bedrohte Inhaftierte und ihre die Erinnerung verdrängende Aufseherin.

Dagegen nimmt sich der Kampf um Leben und  Überleben in der westlichen Szene wie ein groß aufgebauschtes Getändel aus. Auf artifizielle Event-Kultur hinzielend. Aus welchen Gründen mag man wohl ein pausenloseses 24stündiges Spektakel kreieren? Aus spektulativen Überlegungen, aus Sensationsucht und um Aufmerksamkeit zu erregen? Jan Fabre ist in seiner Machart jedenfalls ein Könner. „Mount Olympus. To Glorify the Cult of Tragedy“ ist überlegt konzipiert, komplex gestaltet und gibt sich als ‘Traumdeutung schlafwandlerischer Nächte, gespeist von Bildern der griechischen Mythologie‘ aus. Je nach Denkungsart: Pro und Kontra …. und doch einschläfernd. Locker getötet wird auch hier – klar, wie es sich zur griechischen Antike nun einmal gehört. Mit Penetranz sollen dem Publikum Extase und Rausch, Müdigkeit, Entrückung, Lust und Libido und manch anderes ins Gemüt eingeimpft werden. Zahllose Wiederholungen, gekünstelter Tanz in Reih und Glied, Texte, Geplärr und stereotypes Sexgetue wollen ein Art verstörendes Theater bieten. Man kann dieses Angebot mit all seinen Repetitionen durchaus annehmen – als Musterbeispiel des derzeitig dominierenden Manierismus in unserer europäischen Kultur. 

Meinhard Rüdenauer

 

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