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WIEN/ FESTWOCHEN: MUSIK UND PERFORMANCES IN DER ERSTEN WOCHE: NACKTE FRAUEN, NACKTE MÄNNER

An den Grenzen der Ausdrucksmöglichkeiten angelangt?

19.05.2019 | Ballett/Tanz

Musik und Performances in der ersten Woche der Wiener Festwochen 2019: Nackte Frauen, nackte Männer – an den Grenzen der Ausdrucksmöglichkeiten angelangt?

Sind nun so die Grenzen der Ausdrucksmöglichkeiten erreicht? Nackt auf der Bühne, an die zwei Stunden lang, total nackt. Eine Tanzperformance mit elf Frauen, intelligent wirkenden, keine ausgewählten Schönheiten. Die Frage stellt sich: Gelenkt von völliger Hingabe in manischer Art zur Darstellung gleichsam unerfüllter Bedürfnisse – oder konträr als Ausdruck von psychischer Souveränität? Vor den Augen: zwei Stunden entblößte Frauenkörper mit sich beständig wiederholenden ganz, ganz einfachen Tanzschritten, Bewegungen, durch die Szene schreitend, laufend oder herum stehend, auch auf Geigen, anderen Instrumenten dilettantisch aufspielend. Angetrieben jedoch von der Kraft von Maurice Ravels eingespieltem „Bolero“ oder Beethoven–Erhabenheit. Oder ist dieses „Ensaio para uma Cartografia“ (Versuch einer Kartografie) der portugiesischen Choreographin Mónica Calle als aktuelles Zeichen einer gewissen Hilflosigkeit anzusehen, um in einer sich wandelnden Kulturszene etwas Aufmerksamkeit zu erregen und um einen Platz am Kunstmarkt – so wie auch die Wiener Festwochen heute anzusehen sind – zu ergattern? Diese Tanzperformance der kleinen Frauengruppe lässt eher an ersteres denken. Weist aber auch auf eine Reduktion in einigen Hinsichten auf künstlerische Schaffenskraft hin. 

Oder, oder, zeitgleich im Museumsquartier, in der größeren Halle zu sehen …..  Frauenkörper hier, dort fünf nackte Männer, diese aber beherrscht von einer Art Domina. Die Spanierin Angélica Liddell kommentiert ihre Performance „The Scarlet Letter“: „Mein Körper ist mein Protest gegen die Gesellschaft“. Da weit diffiziler strukturiert als „Ensaio“, vermag dieses intensive Perversionen-Kampfspiel um Freiheit und Freizügigkeit für die Menschen wie für Kunst auch um einiges stärker zu berühren. Zu arg ist jedoch der Schwede Markus Öhrn in seinen „3 Episodes of Life“ (ein Produktion der Wiener Festwochen im Studio Moliere) ins Ungustiöse abgeglitten. Machtmissbrauch in der Kulturbranche, mit sexueller Unterwerfung und der gegebenen Ausweglosigkeit wird von ihm als provozierende Ekel-Melange vorgeführt.

Überlaute elektronische Musik tut dem Herz nicht gut, doziert der Kardiologie-Professor. Nun, die Anhänger vom geschäftlich cleversten elektronischen „Sound of Vienna“-Macher Christian Fennesz dürften zwar noch keine Herzschwierigkeiten haben, Hörverluste aber wohl. „Agora“ betitelt: Fennesz allein mit seiner Technikmaschinerie auf der dunklen Bühne des Volkstheater, dröhnend fast immer der Sog der Klänge, sehr intensive zwar aber doch sehr gleichförmige. Gelegentlich dann doch interessante abrupte Wendungen. Dazu noch stereotype, nicht erhellende Projektionen. So gar nicht empfehlenswert für Musikfreunde, welche dem alten Wiener Herztöne-Sound des Franz Schubert zu lieben gelernt haben. 

Und weiter mit dem Musik- und Showangebot in der ersten Woche der Wiener Festwochen: Auf die „Die Bakchen“ des Euripides beruft sich Choreographin Marlene Monteiro Freitas in ihren „Bacantes – Prelúdio para uma Purga“ (eine ebenfalls in Portugal eingekaufte Produktion). Es beginnt originell, wie ein kindliches Spiel, über zahlreiche absurde Gags kann geschmunzelt werden. Fünf Trompeter blasen munter recht falsch und auch anfeuernd, stimmungsvoll strömen aus den Boxen saftige Rhythmen. Und die Akteure rackern sich zwei pausenlose Stunden mit lockerem Gehüpfe, zackigen Tanzschritten, drastischem Grimassieren, bisschen Porno und sich wiederholenden skurrilen Actions ab. Für den Zuseher entwickelt sich allerdings keine Bacchanten-Orgie, sondern er wird mit einem übertriebenen Hang zu Nonsen-Glamauk konfrontiert. Eine Stunde Bacantes wäre o.k., die zweite kann zur Qual werden. Zum Abschluss wird auch hier Ravels „Bolero“ als unwiderstehlich markiges Hilfsmittel in Anspruch genommen. So wie zuvor noch nie zu sehen: Mit groteskem Blödeln interpretiert.  

Meinhard Rüdenauer

 

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