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Wien/ Festwochen im Theater an der Wien: FIDELIO. Premiere

14.06.2016 | Oper

Wiener Festwochen im Theater an der Wien Fidelio 14.6.2016

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Copyright: Monika Rittershaus

Gespielt wurde die dritte, endgültige Fassung der Oper mit der von Beethoven 1814 geschriebenen vierten, kurzen Fidelio-Ouvertüre. Die musikalische Gattung der „Rettungs- oder Befreiungsoper“ war zum Zeitpunkt der Entstehung des Fidelio en vogue. So entstanden nacheinander 1798 „Léonore ou L’Amour conjugal“ von Pierre Gaveaux (1761-1825), 1804 „“Leonora“ von Ferdinando Paër /1771-1839) und 1805 „L’amor conjugale“ von Johann Simon Mayr /1763-1845). Den Namen „Fidelio“ entnahm Beethoven Shakespeares Romanze „Cymbeline“, in der die Königstochter Imogen in Männerkleidern den Namen Fidelio, in Anspielung auf ihre unerschütterliche Treue (lat. fidelis), annimmt.

Theatermagier Achim Freier setzte für seine Inszenierung zunächst einmal am Text an, indem er die überlangen Dialoge radikal kürzte. Obwohl die schrecklichen politischen wie gesellschaftlichen Ereignisse der Gegenwart genug Anlass dafür geboten hätten, in eine kritische Sichtweise, wie sie einst Christine Mielitz 1989 an der Semperoper Dresden oder Johannes Felsenstein am Anhaltischen Theater Dessau 2008 exemplarisch vorführten, einzufließen, blieb Freyer seinem Figurentheater treu. Und die Hauptakteure der Oper erscheinen nun wie die sich drehenden Figuren des Glockenspiels des Münchner Rathauses. Es sind Typen, die nicht miteinander in Aktion treten. Jede Figur bleibt unverrückbar auf ihrer Position und agiert von hier aus, ohne die anderen in ihr/sein Spiel mit einzubeziehen. Diese Verfremdung wird noch dadurch verstärkt, dass sich die Figuren auf verschiedener Höhe der Bühne befinden, die sich aus einem Kubus artigen Stahlgerüst zusammensetzt. Dieses Gerüst wiederum wird von einem netzartigen Vorhang eingefüllt, wodurch die gesamt Szenerie zum Kerker wird. Fidelio ist in dieser Inszenierung die einzige Figur, die ohne entstellende Maske auftritt. Will heißen: die Handlung der Oper spielt sich im Kopf von Leonore in einer Rückblende ab, in der alle übrigen Protagonisten nur mehr zu unscharf wahrgenommenen Typen verkommen. Die Personen sind ihrem sozialen Stande nach auf dieser Raumbühne angeordnet. Ganz unten sind daher die Gefangenen, ganz oben Don Fernando und Don Pizarro. In der Mitte Rocco, Jaquino, Marzelline und Fidelio in den Signalfarben gelb, rot, blau und grün. Achim Freyer schuf mit dieser Inszenierung wieder einmal ein Gesamtkunstwerk, indem er auch für die Bühne und die Lichtregie, sowie – gemeinsam mit Amanda Freyer – noch für die Gestaltung der kasperlartigen Kostüme verantwortlich zeigte. Man mag diesen typischen „Freyer“-Stil, der allen seinen mir bekannten Inszenierungen anhaftet, nun mögen oder nicht. Unbestritten aber ist, dass Freyer ein wahres optisches Sammelsurium barocken Ausmaßes  liefert, das den Betrachter nur so in Staunen versetzt. Dabei kommt der Humor natürlich nicht zu kurz, wenn etwa Marzelline, in artiger Manier einer braven biederen Tochter, ihre eigenen riesigen Puppenbeine „bügelt“, oder Fidelio gleich einen riesigen Brotwecken in den Kerker mitbringt, um den verhungernden Florestan damit zu stärken. Durch Videoeinspielungen von Jakob Klaffs und Hugo Reis werden dann auch bei der Kerkerszene verschlungene Menschenleiber gezeigt, die entfernt an das Weltgerichts-Triptychon von Hieronymus Bosch erinnern. Während der Gefangenenchores bedient Achim Freyer dann den bereits sattsam erprobten Ausstattungstrick, den Zuschauerraum zu doppeln, sodass der von Erwin Ortner wiederum tadellos einstudierte Arnold Schoenberg Chor sich ergreifend und berührend klangvollendet von drei Ebenen aus im Auditorium verbreitete. Da die Protagonisten aber niemals ihren Platz auf der Bühne verlassen, kam es auch zu keiner unmittelbaren Begegnung zwischen Florestan und Fidelio. Freyer ließ Fidelio durch einen Tänzer (Thales Weilinger) doubeln, der mit einem weißen Flügel drapiert und einen roten Speer in Star Wars-Manier in der Hand schwingend, den bösen Don Pizarro, der ebenfalls von einer Tänzerin (Eva-Maria Schaller) gedoubelt wurde, schließlich tötet, während zahlreiche Flugzeuge über die Köpfe der befreiten Gefangenen ihre Bahnen kreuz und quer ziehen. Schlagworte wie „Sieg“, „Gerechtigkeit“, „Frieden“ und für die heutige Zeit“ „face“ und „blog“, als Medien des Internetzeitalters schlechthin zur Massenkommunikation werden dabei – quasi als ultima ratio – auf den Vorhang projiziert.

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Copyright: Monika Rittershaus

Das französische Orchester Les Musiciens du Louvre lieferte unter der Leitung von Mark Minkowski und unter Verwendung von Originalinstrumenten einen Beethoven Sound, wie man ihn in Wien nicht gewohnt ist. Die Musiker, allen voran die Bläser hatten mit den Noten ihre liebe Not. Der Rhythmus und die Intonation waren dem wenig routiniert spielenden Orchestermusikern, trotz starkem Bemühen des Dirigenten, einfach nicht abzuringen. Michael König überzeugte aus der Versenkung des Souffleurkastens guckend als stimmgewaltiger Florestan mit beeindruckendem Heldentenor. Franz Hawlata bestach als dicker Rocco, der in seinem gelben Hanswurst Kostüm an Sir Falstaff erinnerte. Ileana Tonca gefiel als bügelndes Hausweibchen Marzelline. Jewgeni Nikitin in roter Signalfarbe als Bösewicht Don Pizarro schon rein äußerlich gebrandmarkt, unterstrich den Charakter dieser Rolle noch zusätzlich durch ungeschliffenes Brüllen aus der Höhe. Julien Behr musste den Pförtner Jaquino als einen stotternden Trottel anlegen. Georg Nigl sang schließlich noch den Minister Don Fernando aus luftiger Höhe wenig eindrucksvoll. Und schließlich Christiane Libor als Fidelio. Man hat hier in Wien schon bessere Leonoren erlebt… David Sirka und Marcell Krokovay ergänzten noch stimmlich passabel als erster und zweiter Gefangener.

Das Premierenpublikum beklatschte alle Künstler gleichermaßen, ohne jedoch adelnden Bravorufe für gebotene Leistungen zu verschenken. Davon war auch der Dirigent nicht ausgenommen und etwas Unruhe war auch beim Aufstehen der Orchestermitglieder zu bemerken, die ja wussten, auf welches Wagnis sie sich mit Beethoven eingelassen hatten. Starken Applaus aber erhielt – wider Erwarten – Achim Freyer und sein Regieteam. Offenbar gefiel dem Publikum sein altbewährtes „Zauberkasperltheater“.                                                                                             

Harald Lacina

 

 

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