WIEN/ DAS OFF THEATER: TANZ IM OFF II (3/4): Bianca Anne Braunesberger
Cie.tauschfühlung: „tanka meja“
Sein Tisch mit viel Technik darauf ist für Stefan Zotter nicht nur sein Arbeitsplatz als Sound-Designer. Die von den beiden TänzerInnnen und ChoreografInnen Bianca Anne Braunesberger und Vito Bintchende immer aggressiver provozierte Un-, besser wohl Um-Ordnung der Dinge wird von Zotter an seinem Beamten-Schreibtisch nicht hingenommen. Das Feste Gefüge duldet keine Störung, keine Veränderung. Auch wenn der Grund für notwendige Anpassungen offensichtlich ist. Denn das Boot aus gefaltetem Papier und zwei Geflüchtete stehen vor ihm.
Mit diesem Boot nämlich kamen vornehmlich unbegleitete minderjährige Flüchtlinge über unruhige Wasser zu uns. Den Themen, mit denen diese dann hier konfrontiert werden, widmen Braunesberger und Bintchende ihr vor eineinhalb Jahren im Rahmen der Plattform „Performing Puzzle“ uraufgeführtes Stück „tanka meja“. Aus dem Slowenischen übersetzt bedeutet der Titel „dünner Rand“, „schmale Grenze“. Diese untersuchen die drei PerformerInnen hier mit unparteiischem Blick.
Cie.tauschfühlung: „tanka meja“ © S. Ekeh
Die durchstandenen Gefahren bei der Überfahrt lassen die jungen Menschen hoffen. Das fragile Boot knistert und kracht. Aber es hat gehalten. Es entfaltet sich zu einem großen weißen Blatt, das vor uns ausgebreitet liegt wie der Neuanfang an neuen Ufern, wie unschuldige Träume und Erwartungen, wie zu beschreiben mit Geschichten von zukünftigen Leben und mit Nachrichten nach Hause. Und wie auszufüllende Formulare, nicht erbrachte Dokumente und ausstehende Zahlungen. Aber auch wie noch nicht erlassene Vorschriften, Gesetze und vor allem erforderliche Korrekturen im bürokratischen und Denk-Apparat. Und das europaweit.
Sie führen uns mit Text und Tanz in die Welt der Neuankömmlinge, die sich vor allem vor immense bürokratische Hindernisse gestellt sehen. Die Anforderungen übersteigen das inhaltlich-formal und finanziell Leistbare, der äußere und innere Druck sprengt ihnen schier die Schädel, Träume sterben, Wut und Aggression bauen sich auf. Der hohe Tonus der beiden TänzerInnen erzählt von der großen seelischen Anspannung der Flüchtlinge.
Stefan Zotter rappt über „seine“ Bürokratie, über Formulare, DNA-Test, Datensammelwut und Kosten. Selbst wenn er wollte: Ihm sind die Hände gebunden. Wie erdrückt davon liegen die Geflüchteten am Boden, entwickeln Aggression gegeneinander. Akrobatischer Tanz, kraftvolle Hebungen und der verbeamtete Feind hinter seinem Schreibtisch. Auf seinen Schultern wütet sie gegen Amtsschimmel und Eigeninteresse. Doch es hilft alles nichts. Papierschnipsel fallen vor uns auf den Boden.
Cie.tauschfühlung: „tanka meja“ © S. Ekeh
Kriege, neokoloniale Ausbeutung, Wohlstandsgefälle, Armut, Perspektivlosigkeit. Fluchtgründe gibt es viele. Und sie kommen, die Menschen. Die damit erzeugten Probleme sind mannigfaltiger Natur. Dass wir die Träume der Geflüchteten ersticken, ist nur ein Aspekt. Wut, Aggression, Kriminalität und vor allem das ungenutzt verdorrende Potential der vornehmlich jungen Menschen sind von uns selbst zu verantwortende Folgen.
Schade, ja dramatisch angesichts der (über-) alternden Bevölkerung hier in Europa, des dadurch entstehenden Arbeitskräfte-Mangels und der schwindenden Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Volkswirtschaften. „tanka meja“, politisch brisant, hart, wahr, voller Empathie, legt Finger in Wunden, zeigt keine Lösung. Für Betroffene erscheint das gut recherchierte und von bitterer Ironie durchzogene Stück wie eine Komödie über Wohlvertrautes, für mitfühlende ÖsterreicherInnen und EuropäerInnen wie eine Tragödie über der Öffentlichkeit weitgehend Vorenthaltenes, Unbekanntes. Die Bilder sind nicht zu missdeuten. Mögen sie gesehen werden.
Kasija Vbranac & Bianca Anne Braunesberger: „Metaforms“
Auch Bianca Anne Braunesberger zeigt bei diesem Festival zwei Stücke. Das gemeinsam mit der in Wien ansässigen Kroatin Kasija Vbranac erarbeitete und hier uraufgeführte Stück „Metaforms“ untertiteln die zwei Tänzerinnen und Choreografinnen mit „Exploring the Divine Feminine“. Sie tauchen ein in die Welt der weiblichen Menstruation und ent-decken neben Schmerz und Schmutz weitere, nämlich Meta-Ebenen dieses vordergründig rein physiologischen Phänomens.
Der Klang des in den Adern rauschenden und pochenden Blutes (Bianca Anne Braunesberger erweist sich als versierte Sound-Designerin) begleitet uns durch die ganze etwa 40-minütige Performance. Zuweilen bricht ein Krachen ein in diesen stetigen Fluss. Es ist der Sound der Monatsblutung.
Kasija Vbranac & Bianca Anne Braunesberger: „Metaforms“ © B&K images
Ein roter Eimer, der Bianca von Kasija zu Anfang auf ihren Bauch gestellt wird, lastet wie ein ungeheurer Druck auf ihr. Sie wälzt sich unter diesem Gewicht am Boden, von den solidarisch-fürsorglichen Blicken und Gesten ihrer Geschlechts- und Leidens-Genossin begleitet. Aus dem dann abgestellten Gefäß entnehmen sie je eine wassergefüllte Glasschale, in die sie etwas vom Hals Gezupftes, rot Färbendes tun, balancieren sie auf dem Handrücken, stellen sie ab, putzen anfangs noch jede Spur vom Boden, kneten und schwenken ein um den Bauch gebundenes Leinensackerl, tanzen, kleiden einen Arm in weißes Tuch, das sie dann in ihre Schale legen und entnehmen dem Eimer einen weiteren Napf. Der Kreislauf ist geschlossen.
Beide sind sehr präsent, gestalten kleine Unterschiede im Charakter eines jeden Zyklus tänzerisch-performativ nuanciert und bringen durch Reflexion und Konfrontation die Andere als geliebt-gehasstes Eben-, Feind- und Spiegelbild in Stellung. Die Zyklen variieren, sie scheinen an Ausprägung und Auswirkung zuzunehmen, sie sind immer schwerer hinzunehmen. Der Widerstand nimmt zu. Ausbrüche von Auto- und Fremd-Aggression.
Doch dann gräbt Bianca einen Piccolo aus den Tiefen des Eimers, prostet Kasija zu, die nippt an ihrem Blut, und genießt den ersten Schluck des prickelnden, belebenden Getränkes. Mit dieser Geste formulieren die beiden Frauen die Botschaft dieses Stückes an die Hälfte der Menschheit: Trotz aller Schmerzen und Beeinträchtigungen die Menstruation als ein machtvolles Geschenk der Natur willkommen zu heißen, die damit verbundene Fähigkeit, gleichzeitig zu erneuern und zu bewahren zu umarmen und in der Menstruation ein spirituelles Gleichnis für den ewigen Kreislaufes des Lebens, auch des individuell menschlichen, zu erkennen. Und zu lieben.
Kasija Vbranac & Bianca Anne Braunesberger: „Metaforms“ © B&K images
„Metaforms“ ist eine atmosphärisch fein gearbeitete, in schönen Symboliken und Bildern erzählte Studie über ein ins Individuell-Private verbanntes und doch so manifestes körperliches Ereignis. An der Übergangsstelle zwischen Tod und Leben und Leben und Tod angesiedelt wird die Fähigkeit der Frau, Leben zu schenken, vom Manne seit Urzeiten oft mit Missgunst betrachtet. Er, statt dessen, erschafft Großes. Brücken und Kriege. Sie transzendiert sich durch Geburt, er durch Konstruktion oder Destruktion. Der Gebär-Neid des Mannes macht die Verdrängung der Menstruation aus dem kollektiven Bewusstsein zu einem festen Bestandteil der patriarchal geprägten Un-Kultur. „Metaforms“ ist ein fein umgesetztes, wichtiges und not-wendiges Stück feministischer Selbstermächtigung. Ein heilender Auf- und Weckruf. An Frau UND Mann.
Cie.tauschfühlung mit „tanka meja“ und Kasija Vbranac & Bianca Anne Braunesberger mit „Metaforms“ am 09. und 11.12.2024 im Rahmen von „TANZ IM OFF II“ im OFF THEATER Wien.
Rando Hannemann