WIEN/Casino Baumgarten: Uraufführung der Oper „CINDERELLA“, komponiert von der elfjährigen ALMA DEUTSCHER
(am 29.12.2016 – Karl Masek)
Schlussapplaus. Foto: Andrea Masek
Zubin Mehta hat die Schirmherrschaft über das Werk übernommen, Simon Rattle zeigte sich von dieser Früh- und Hochbegabung überwältigt. Komponisten wie Jörg Widmann, eine Violinistin wie Anne Sophie Mutter, bescheinigen Alma eine Ausnahmebegabung. Bei Widmann soll das Mädchen über Skype Kompositionsunterricht genommen haben. Ja, wir sind im 21. Jahrhundert! Berater sorgen für Public Relation und erfolgreiche Vermarktung eines Wunderkindes, sind sich aber hoffentlich bewusst um die Gefahren, die lauern, wenn diese Wunderkinder dann an der Schwelle zum Erwachsenen-Alter sind. Selbst Mozart, der mit seinem Vater Leopold ja auch einen gewieften „Manager“ hatte, blieb vor Rückschlägen nicht gefeit. Alma Deutscher ist offenkundig so ein Wunderkind. Seit Mozart, so wird verkündet, hat niemand im Alter von 10 Jahren eine abendfüllende Oper komponiert. Medial wird sie herum gereicht, Interviews gibt sie reihenweise, man liest sie in der „Süddeutschen“, in der „Zeit“, am Tag der Uraufführung z.B. auch im „Standard“. Neugier mischt sich mit einer Dosis Skepsis.
Schon mit zwei Jahren begann sie mit Klavierunterricht, kurz darauf folgte die Violine (beide Instrumente spielte sie auch bei dieser Uraufführung im Orchester mit!). Als Solistin trat Alma bereits in Europa, Nord- und Südamerika, Japan und Israel auf. Erste Kompositionen (auch ähnlich wie Mozart) mit sechs Jahren: eine Klaviersonate, eine 12-minütige Mini-Oper für vier Sänger und Streichorchester, „The sweeper of Dreams“, folgte bald darauf. An der Komposition von „Cinderella“ arbeitet sie etwa zwei Jahre.
Das Oh!pera Operntheater – 2013 gegründet – hat sich unter der Leitung von Cathrin Chytil zum Ziel gesetzt, jungen Künstlern der Musikhochschule Wien und der MUK Privatuniversität Wien (vormals „Konservatorium der Stadt Wien“ in der Johannesgasse ) am Ende ihres Studiums eine Plattform zu geben, bei ersten Produktionen weitere Bühnenerfahrung zu sammeln. Es gelang, die Oper für die Uraufführung nach Wien zu holen. Der schmucke Festsaal im Penzinger Casino Baumgarten in der Linzer Straße 297 bot dafür ein ideales Ambiente.
Die Komponistin gibt Autogramme. Foto: Andrea Masek
Alma Deutschers „Cinderella“ spielt in einem Opernhaus. Der Vater ist der Operndirektor, der nach dem Tod der Mutter eine Operndiva heiratet. Auch der Vater stirbt bald, und so wird die böse Stiefmutter Cinderellas die Operndirektorin. Die Stiefschwestern gebärden sich als aufgeblasene, dumm-eitle Primadonnen. Der jungen Komponistin Cinderella fliegen die Melodien nur so zu (natürlich sieht sich Alma als diese Cinderella). Der Prinz aus dem Märchen ist hier Dichter, das „Aschenputtel“, von der Stiefmutter in den Wald gejagt, findet ein Gedicht, schreibt die Musik dazu und findet über einen Maskenball und anschließende Umwege „ihren Prinzen“ und der Poet eine lang gesuchte Braut. Die jungen Primadonnen gehen leer aus…
Alma Deutschers musikalische Vorbilder kommen aus der Wiener Klassik und dem 19.Jahrhundert. Schubert scheint ihr öfter über die Schulter geschaut zu haben. Die Stiefmutter bekommt eine bombastische Arie, und der Vergleich mit einer Königin der Nacht drängt sich fast auf. Operettiges á la Lehár, auch musicalhaft anmutende Passagen (sehr effektvoll instrumentiert) scheinen da „um die Ecke zu blicken“.
Was man wirklich verblüfft wahrnimmt, ist, dass die Komponistin wunderbar verschiedene (Seelen)stimmungen einfangen kann. Die traurige Ballade der Cinderella, die leitmotivisch immer wiederkehrt, die Verzweiflung des weltfremden Prinzen-Poeten, der an der Staatsführung so überhaupt kein Interesse zeigt, die Bösartigkeit des Damen-Trios: Alles wird kongenial in Musik gegossen. Wirklich inspiriert hört sich das alles an – und auch in der Instrumentation so, als wüsste die Künstlerin immer genau, was sie wie umsetzen will. Da ist nichts willkürlich oder dem Zufall überlassen.
Regisseur Dominik Am Zehnhoff-Söns gelingt mit einfachen Mitteln – drei Sessel genügen als Requisiten – , aber einer effektvollen Lichtregie (Bernhard Hitzenhammer) und wunderbaren Videoanreicherungen (Evelyn Fey) eine Inszenierung voll Theatermagie. Königsschloss, Wald, der Dachboden, in den Cinderella nach dem für die Stiefschwestern so erfolglosen Ball eingesperrt wird: Alles da. Kinder und Erwachsene können eintauchen in eine zauberhafte Märchenwelt. Ja, auch Prise Kitsch inbegriffen. Üppig die Kostüme (Celia Sotomayor , die überhaupt als Produktionsleiterin fungiert), gekonnt die Personenführung.
Der junge Sängernachwuchs besticht, überzeugt, bezaubert mit bemerkenswerten Leistungen: Theresa Krügl ist mit höhenexpansivem Sopran eine ideale Cinderella nach Alma Deutschers Willen. Da könnte eine sehr interessante Mozartsängerin heranwachsen. Figaro-Susanna und Pamina würde man ihr jetzt schon abnehmen. Aparte, mädchenhafte Bühnenerscheinung, ausdrucksvolle Stimmgebung stellt man erfreut fest.
Lorin Wey beglaubigt mit sozusagen bildhübschem Tenor, intensivem Spiel von frustriert, tief verzweifelt bis strahlend glücklich, in Optik und Bühnenpräsenz einen Bilderbuch-Prinzen. Er ist unglaublich wandelbar auf der Bühne, war noch vor wenigen Wochen in Kreneks „Pallas Athene weint“ (Neue Oper Wien) ein zum Fürchten böser Populist, Karrierist und skrupelloser Mörder. Gespannt ist man auf seine kommende Aufgabe („Teatro Barocco“ im Schloss Laxenburg: Ferrando in Mozarts „Cosi“)!
Mit ausladendem Spiel und scharfer Stimmprofilierung (ein bisschen Outrage darf da schon sein!) war Catarina Coresi die lustvoll karikierte Stiefmutter mit Ljuba-Welitsch-hafter Primadonnen-Allüre und dem dazugehörigen Akzent, der ebenfalls an die Unvergessliche erinnerte.
Die australisch-deutsche Koloratursopranistin Anna Voshege ist als Stieftochter Griselda eine quirlige, urkomische „Bühnentussi“ mit toller Stimme. Desgleichen Kathrin Koch als ihre Schwester Zibaldona mit üppigem Mezzosopran. Die beiden lieferten sich zwerchfellerschütternde Streitszenen.
Gregor Einspieler war mit etwas trockenem Bariton (und schon durch seine Körpergröße von schätzungsweise zwei Meter plus) ein bühnenbeherrschender König, Florian Stanek, Absolvent der MUK Universität Wien, Abteilung Unterhaltungstheater, war in einer Sprechrolle der witzige, geplagte Minister am Königshof.
Veronika Dünser, Schülerin von Marjana Lipovšek, rundete mit satter Altstimme als Emeline und Gute Fee die erfreuliche Besetzung trefflich ab.
Dirigent Vinicius Kattah war der souveräne musikalische Leiter dieses Unternehmens, sehr motiviert das Oh!pera-Orchester.
Große Begeisterung im Publikum, Gratulation an die Ausnahmekönnerin Alma Deutscher, man gönnt ihr weitere Erfolge. Ihre Zukunft sollte man mit Neugier weiter verfolgen. Man möge sie jedoch in Ruhe reifen lassen und vor medialer Ausbeutung schützen!
Karl Masek