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WIEN / Burgtheater: MUTTER COURAGE UND IHRE KINDER

08.11.2013 | Theater

Burgtheater Mutter Courage Frick_Happel Burgtheater Mutter Courage_MariaHappel
Fotos: Barbara Zeininger

WIEN / Burgtheater:
MUTTER COURAGE UND IHRE KINDER von Bertolt Brecht
Premiere: 8. November 2013

Mit der „Mutter Courage“, einem der effektvollsten Brecht-Stücke, hat Gustav Manker 1963 den von den Kritikern Weigel und Torberg verordneten „Brecht-Boykott“ durchbrochen (den man allerdings auch im historischen Zusammenhang des zu dieser Zeit sehr „Kalten Kriegs“ sehen muss). Damals spielte Dorothea Neff eine legendäre Courage, alt, knorrig, gewaltig, auch optisch auf den Spuren der „Modell-Courage“ Helene Weigel, Brechts österreichischer Frau, die so gar nichts Österreichisches an sich hatte.

Seither war das Stück dreimal am Burgtheater zu sehen, mit Hilde Krahl, Elisabeth Orth und Therese Affolter in der Titelrolle. In Perchtoldsdorf bei den Sommerspielen verkörperte Hilde Sochor die Courage, bei einem Hamburger Gastspiel erlebte man Katharina Thalbach in der Rolle, zuletzt – 2004 im Volkstheater – bescherte Michael Schottenberg eine seiner gegen den Strich gebürsteten Inszenierungen, wo der Dreißigjährige Krieg zum Balkan-Krieg und der Planwagen für Maria Bill zum Auto geworden war…

Nun, 2013 im Burgtheater, haben wir den Planwagen wieder, aber dass die mit etwas über zwei Stunden pausenlos gespielte „Mutter Courage“ nun eine exemplarische oder nötige Aufführung wäre, vermag man nicht zu behaupten. Immer wieder hat man an dem nur scheinbar kurzen Abend (der Dreißigjährige Krieg wird lang und länger…) das dumpfe Gefühl, dem zuletzt (bei Nestroys „Talisman“) so mörderisch unternehmungslustigen Regisseur David Bösch sei zu diesem Stück nicht wirklich etwas eingefallen. Also wird mit einigen Mätzchen gearbeitet.

Gleich zu Beginn wippt sich die Courage im schwarz-flotten Kleidchen musikalisch über die Bühne: Sie hat eine „Band“ von fünf Musikern (unter der Leitung von Bernhard Moshammer), und wenn die melodische Substanz dessen, was gesungen wird, auch noch an das Original von Paul Dessau gemahnt, so rockt und rappt sich das Ganze recht musicalhaft dahin, mit Strampfen und Tanzen, mit viel Hüftwackeln, das Maria Happel – ach, sie singt halt wirklich so vorzüglich – dann von den Songs in die Rolle mitnimmt, mit einigen Scherzchen.

Kurz, die musikalische Untermalung passt halt so gar nicht zu den trüben Kriegsszenen, die sonst gezeigt werden – wenn man natürlich auch nicht vertrüge, die Songs wie anno dazumal als Belehrung frontal ins Gesicht geschleudert zu bekommen. Auch bei diesem Stück wird wieder einmal klar, dass wir es mit Brecht derzeit nicht leicht haben.

Das Lehrstück ist die „Courage“ geblieben, das Stück über den Krieg, übers Überleben im Krieg, aber natürlich auch die Kapitalismus-Kritik die in der Titelfigur steckt. Der Krieg kommt der Mutter Courage, auch wenn sie wahrlich nicht reich dabei wird, ganz recht, weil das Geschäftemachen ihre Natur ist. Und das Geld so wichtig, dass sie dann versagt, wenn es nicht mehr das Wichtigste sein dürfte: Sie „handelt“ zu lange um die Summe, die ihren Sohn vor der Hinrichtung befreien würde. Und dass der Krieg auch noch ihre anderen Kinder frisst… ja, das wirft die ewige Frage angesichts dieser Figur auf: Ist sie ein Monster oder eine arme Haut? Die Inszenierung entscheidet sich nicht, und natürlich ist im Leben nichts schwarz oder weiß. Aber dem Theater tut es ganz gut, wenn man als Zuschauer weiß, wo man dran ist.

Und das ist an diesem Abend, dem Patrick Bannwart auf der Drehbühne eine zwar sehr einförmige, aber starke Ästhetik gibt, nicht der Fall. Der Krieg (zumindest der Planwagen sagt, dass es der Dreißigjährige sein soll, wie vorgesehen, die Kostüme sind von allem ein bisschen) wird in seiner Gnadenlosigkeit nicht ausgespielt. Und man weiß längst, dass die „Courage“ von der Handlung her nicht sehr reichhaltig bestückt ist – die drei Kinder, ihre vagen Beziehungen zu dem Koch und dem Feldprediger, die Figur der Lagerhure Yvette. An jedem hängt ein Stückchen Handlung, aber nicht übertrieben viel. Es ist die Titelfigur, die alles zusammenhalten und das Geschehen vorantreiben muss.

Maria Happel, die fast immer so Großartige, ist eine Courage, bei der man nicht wirklich weiß, wie man bei ihr dran ist (außer dass sie zum Showstar und Musicalstar mühelos geeignet wäre). Eine noch junge, vitale Frau, die weder für das Geschäft noch für ihre Kinder brennt. Sie macht nicht viel Theater, geht durch ihr Schicksal. Wenn sie auf ihren toten Sohn schauen muss und ihn nicht erkennen darf, hält man nicht den Atem an. Wenn ihre Tochter mit zerschlagenem Gesicht kommt, reißt es sie nicht wirklich. Die Dame ist cool. Es dürfte ein bisschen mehr sein. Intensität muss nicht Pathos werden (von dem es ohnedies immer wieder genügend gibt). Die Happel könnte es ohne weiteres „richtig“. Der Regisseur hätte sich den Umriss seiner Courage genauer überlegen müssen.

Wie immer bei David Bösch ist Sarah Viktoria Frick dabei, die eigentlich nur ein anderer Regisseur (Hartmann in „Onkel Wanja“) einmal von ihrer üblichen Hascherlhaftigkeit befreit hat. Hier ist die stumme Tochter, in kurzen Höschen, mit Struppelhaarschnitt, fast ein kleiner Clown. Macht, wie die Mutter nicht viel her. Die beiden lassen Schicksal über sich ergehen, statt uns zu zeigen, dass sie es erleben. Am Ende hängt die erschossene Kattrin (sie hat bekanntlich durch Trommelwirbel eine Stadt auf das Nahen des Feindes aufmerksam gemacht) von Seilen gehalten in der Luft. Baumelt. Die Mutter bricht zusammen, die Musik rauscht auf, als spielte man „Les Miserables“, und dann müsste die Courage laut Brecht weiterziehen, und nur das ist das logische Ende.

Nicht so bei David Bösch, zu dessen kleinen Regieideen zählt, dass man sich auf der Bühne kollektiv die Zähne putzt oder Kattrin mit einem Stück Schokolade im Mund vom Koch einen Kuss erzwingt (!!!): Der Regisseur lässt am Ende eine Art Bombe hochgehen. Die Courage bleibt am Boden. Erlöst. Eine doch eher seltsame Lösung…

Burgtheater Mutter Courage Rockstroh_Nest Burgtheater, Mutter Courage_ReginaFritsch

Gerade an den Schauspielern ermisst man, dass David Bösch stilistisch nicht wirklich weiß, was er wollte. Die beiden Männer, die sich um die Courage bemühen, erst der Koch, dann der Feldprediger, bekommen von Tilo Nest und Falk Rockstroh nicht nur Substanz, sondern auch etwas von Menschenwirklichkeit: ja, so könnten sie sein. Eine grauenvoll verschminkte, grauenvoll outrierende Regina Fritsch als Yvette hingegen ist eine Parodie – auf was? Am Ende muss sie noch eine Bauernfrau, die von Soldaten bedroht wird, in schauerlich österreichischem Dialekt veralbern. Warum? Was ist an dieser Szene lustig? Auch Hermann Scheidleder ist eher zu Seltsamkeit angehalten, während Dirk Nocker und Stefan Wieland ihre Soldatenfiguren unterspielen. Seltsam unauffällig sind auch die Courage-Söhne André Meyer (Eilif) und Tino Hillebrand (Schweizerkas). Im Ganzen steht die Aufführung sicher nicht im Goldenen Buch der großen Darstellerleistungen des Burgtheaters.

Der Beifall war heftig und einhellig. Ein bisschen Musical-Schmiss putzt eben ungeheuer auf.

Renate Wagner

 

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