WIEN/ ImPulsTanz: Akram Khan mit „Jungle Book reimagined“ im Burgtheater
Überzeugungen sind es und innere Notwendigkeiten, die den Briten Akram Khan in seine Arbeit und zu seinen Stücken treiben. Seine Thunberg-gleiche Wut über die Ignoranz der Mächtigen und der Ohnmächtigen dieser Welt gegenüber dem Klimawandel und den bereits jetzt, in naher Zukunft jedoch wesentlich massiver noch spürbaren Auswirkungen auf Mensch und Natur erzeugten den Wunsch, über seine Kunst zu diesem Thema maximal viele Menschen auf der Welt in allen Kulturen zu erreichen. Auch Kinder, „die Geschichtenerzähler von heute und morgen“.
Akram Khan „Jungle Book reimagined“ © Ambra Vernuccio
Schon als kleiner Junge spielte er den Mowgli in einer indischen Tanz-Aufführung von Rudyard Kiplings „Jungle book“. Die darin dominierenden Werte, „die Gemeinschaft der Arten, die gegenseitige Abhängigkeit von Mensch, Tier und Natur, die Bedeutung der Familie und das menschliche Bedürfnis, dazu zu gehören“, prägen Khan bis heute (wie er in einem Interview zu diesem Stück bekannte).
In der Neubearbeitung von Kiplings Klassiker verlegt das Künstlerkollektiv, das Akram Khan hierfür versammelte, die Geschichte in eine prognostizierbare Zukunft, in der die Welt vom Wasser, seinem Mangel in einigen Gebieten einerseits und von territorialen und globalen Hochwassern andererseits, bestimmt sein wird. Mowgli ist ein Mädchen, geboren in Südostasien in einem indigenen Stamm, dessen Familie mit tausenden anderen aus ihrer Heimat flieht. Vom Containerschiff gefallen findet sich das Kind allein wieder in einer vom Menschen verlassenen Großstadt, die von der Natur zurück erobert wurde und wird und nun auch von vielen Tieren mit menschlicher Historie bewohnt wird. Der entlaufene Tanzbär Baloo, der weiße Panther Bagheera, Tiere aus Privathaushalten, Zoos und Laboren. Abenteurliche Erlebnisse Mowglis, geraubt und mit List wieder zurück erobert, führen schließlich zur Aufnahme in die Gemeinschaft der Tiere, die in ständiger Angst vor dem unbekannten Jäger, einem Menschen, lebt.
Akram Khan „Jungle Book reimagined“ © Ambra Vernuccio
Akram Khan geht geht mit „Jungle Book reimaged“ neue Wege. In seinem während der Lockdowns entstandenen Konzept versuchte er, das erforderliche Bühnen-Equipment zu reduzieren, um das Touren im Wortsinne „zu erleichtern“. Physisches wurde durch Virtuelles ersetzt. Gleichzeitig eröffnet das völlig neue Möglichkeiten. Das kreative Team von YeastCulture (Director of Animation: Adam Smith, Video Design: Nick Hillel) erschuf ein die Tiefe der Bühne bespielendes dreidimensionales Setting, das per transparenter Leinwand vorn und blickdichter Leinwand hinten im Zusammenspiel mit der dazwischen liegenden Bühne ein faszinierendes Hybrid aus animierten Projektionen und live Getanztem ergibt.
Die Bühne verwandelt sich in Landschaften unterschiedlichsten Charakters. Das Meer, eine verfallende Großstadt, ein Parlament (auch die Demokratie ist nur noch eine Ruine), die Bibliothek, am Ende sogar ein Gotteshaus von außen. Die Animationen machen die Bühne zu einem Schauplatz für den Auftritt der Elefanten, für Vögel, ein Parlament voller blauer Affen und flüchtende Tiere. Zwischen den Leinwänden erscheint die Schlange Kaa als von den TänzerInnen geführte Reihe von kleiner werdenden Papp-Kartons. Der größte ist der Kopf. Mit zwei runden, grün leuchtenden Augen. So wie Kinder überall auf der Welt aus einfachsten Dingen, aber mit so viel Fantasie ihre Spielsachen herstellen.
Akram Khan „Jungle Book reimagined“ © Ambra Vernuccio
Das Lichtdesign von Michael Hulls begleitet das Bühnengeschehen. Unaufdringlich, ja unauffällig, aber äußerst akzentuiert und wirkungsvoll. Wie in allen seinen Produktionen legt Akram Khan auch hier auf die Musik größten Wert. Die Komponistin Jocelyn Pook und der Sounddesigner Gareth Fry
lassen eine Klangkulisse entstehen, die unter die Haut geht. Die Einspielungen der Konversationen der Tiere (Baloo zum Beispiel spricht mit schottischem Akzent) und von Greta Thunbergs berühmtem Appell „How dare you!“ und „Bla bla bla!“ werden teilweise in Übertiteln übersetzt.
Und dann natürlich der Tanz. Die zwölf TänzerInnen der in London lebenden, international zusammengetzten Kompanie agieren auf Weltniveau. Die PerformerInnen sind Tiere. Bär, Panther, Affen, Hunde, Schlange werden höchst professionell in menschliche Physis übertragen. Die Bewegungen der TänzerInnen zu den eingespielten Konversationen sind so wunderbar imaginativ, als würden die Tiere selbst sprechen. Und Baloo, der Tanzbär, spielt nicht nur auf der Bühne, sehr bald schon auch in den Herzen der ZuschauerInnen eine Hauptrolle. Akram Khan ist seinen Wurzeln treu geblieben. In einigen Szenen flicht er den traditionellen indischen Kathak ein. Die eingedrehten Unterschenkel und Füße mit gespreizten Zehen sind unübersehbar unzeitgenössisch, fügen sich jedoch ganz organisch ein in den Fluss der Erzählung.
Akram Khan „Jungle Book reimagined“ © Ambra Vernuccio
Gegen Ende erschießt das böse Raubtier, der Mensch, den Vogel, der die ganze Geschichte lang das Geschehen begleitete. Seine Artgenossen kommen, um ihn aufzuheben und fortzutragen. All das geschieht als Animation auf der vorderen transparenten Leinwand. Hart an der Grenze zum Kitschigen, mag mancher (ver-) urteilen. Aber Betroffenheit und manch ein feuchtes Auge erzeugt Khan damit allemahl. Am Ende trifft Mowgli, auch mit der Erinnerung an seine Mutter, die Entscheidung, zu den Menschen zurückzukehren, „um sie das Zuhören zu lehren“.
Die Uraufführung fand Anfang April 2022 im Curve Leicester in England statt – kurz danach begeisterte das Stück bereits im Festspielhaus St. Pölten – und setzte den Startpunkt für eine drei Jahre lange Welttournee.
Akram Khan „Jungle Book reimagined“ © Ambra Vernuccio
Familientauglich und für Kinder ab zehn, ungemein fantasievoll, poetisch und berührend gestaltet ist das „Jungle Book reimaged“. Mit dem Ziel, Menschen auf der ganzen Welt erreichen zu können. Und sie mit dem Schicksal zukünftiger Generationen und dem der Erde zu bewegen. Damit sie sich bewegen. Endlich!
Rando Hannemann
Akram Khan mit „Jungle Book reimagined“ am 23., 25. und 26. Juli 2022 im Burgtheater Wien im Rahmen von ImPulsTanz.