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WIEN / Burgtheater: Festwochen-Spektakel BAROCCO

Angesichts schrecklicher Zustände - Zuflucht in der Barockmusik

21.05.2024 | Oper in Österreich
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Victoria Trauttmansdorff, Nadezhda Pavlova und Svetlana Mamresheva. Alle Fotos: Wiener Festwochen / Fabian Hammerl

WIEN / Burgtheater: Kirill Serebrennikovs Festwochen-Spektakel BAROCCO

2. Aufführung (Premiere 19. Mai 2024)

20. Mai 2024

Von Manfred A. Schmid

Kirill Serebrennikovs im deutschen Exil komplettiertes „Manifest für eine künstlerische Revolte gegen eine Welt, die an ihren gesellschaftlichen Zwängen zu ersticken droht“ ist eine Art musikalische Revue, die, kreuz und quer durch die Jahrhunderte springend, zeigt, wie gegen politische Unterdrückung protestiert und gekämpft wurde und bis heute wird. Im Mittelpunkt steht das Feuer als Fanal des Aufstands, das immer wieder in gleißenden Videoinstallationen, aber auch auf der Bühne, tatsächlich entfacht und brennend, zu sehen ist. Berichtet wird u.a. von Fällen politisch motivierter Selbstverbrennungen, wobei sich vor allem die medial weltweit beachteten Aktion Jan Pallachs, 1969 in Prag, wie ein rotglühender Faden durch die Fülle der assoziativen Beiträge zieht. Damit das alles ab er nicht allzu weh tut, erklingt dazu ausdrucksstark gesungene Live-Musik: Glanznummern aus der Barockzeit, begleitet auf dem Keyboard, auf der E-Gitarre, wie auch auf der Trompete, einer Melodica oder von einem Streichquartett: Trost durch Schönheit, Zuflucht in der Welt barocker Töne, in der Lebenslust und Todesahnung, Liebe und Schmerz, Glück und Verzweiflung wundersam und herzergreifend amalgamiert werden. Da geht es dann, zumindest musikalisch, zuweilen recht pathetisch zu. Das erfordert Mut zum Kitsch, den man dem russischen Theatermann und Filmregisseur, der in seiner Heimat selbst der Verfolgung ausgesetzt war und eine Zeitlang Regiearbeiten im Westen nur vom Hausarrest aus leiten konnte, schwerlich zugetraut hätte. Doch er steht dazu: „Proletarier aller Länder, vergnügt euch!“ heißt es einmal. Und das erreicht man wohl am besten mit elektronisch aufgepeppter Barockmusik, von Monteverdi über Händel und Telemann bis Rameau und Purcell, aber auch mit einem Musikclown, der über die Bühne, vor allem aber durch die Zuschauerreihen fegt und sich in einem für eine Varieté-Bühne idealen kabarettistischen Medley über musikalische Klischees lustig macht und das Publikum – erfolgreich – zum Mitsingen und Mitklatschen auffordert.

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Daniil Orlov, musikalischer Leiter, bei seinem spektakulären Auftritt am Klavier.

Für den magisch wirkenden musikalischen Teil zuständig ist Daniil Orlov, der vom Keyboard aus leitet und erst gegen Ende spektakulär in Erscheinung tritt, wenn er, mit der rechten Hand an einen Polizisten angekettet, zum Flügel geht und mit der linken Hand Bachs Chaconne virtuos zum Besten gibt. Ein beeindruckender Beitrag zur ausgegebenen Devise: „Die Überwindung der Langeweile wird endgültig sein oder gar nicht!“ Langweilig wird einem bei all dem so kunstvoll Dargebotenen tatsächlich nicht.

Arien, Tänze und Videoprojektionen machen den Hauptteil des Programms aus, dazwischen eingestreut sind politische und historische Exkurse über Beispiele politischer Unterdrückung und Auflehnung. Aus den jeweiligen Kopfbedeckungen und Kleidungen der auftretenden Akteure lässt sich schließen, ob es sich um Episoden aus 68er Bewegung (Pullover) oder etwa der 90er Jahre (glänzendes Outfit) handelt. Auch ein aus Brasilien stammender Straßensänger, den Serebrennikov in Hamburg, entdeckt hat, ist Teil der Show. Jovey, so sein Name, wärmt sich seine Hände am Feuer einer Mülltonne, singt und erzählt ein wenig aus seinem Leben und deutet an, warum er emigrieren musste. Wärmendes Feuer als kleiner Hoffnungsschimmer in einer ansonsten gar nicht schönen neuen Welt, wenn in Videoeinspielungen Häuser en masse gesprengt werden und in Flammen aufgehen. Da bleibt dann doch wieder nur die Musik als Trostspender übrig. Das erinnert an die Operettenseligkeit vor dem 1. Weltkrieg und in der Zwischenkriegszeit, nur dass man bei Serebrennikov nicht räumlich in exotische Länder ausweicht (wie etwa in Die Blume von Hawaii) sondern in der zeitlich noch entlegeneren Barockmusik Zuflucht sucht und  sie dort – wie es der begeisterte Schussapplaus nahelegt – offenbar auch dankenswerterweise zu finden glaubt. (Dem Szenenfoto ganz oben ist übrigens zu entnehmen, dass auch der Exotik-Faktor hier stellenweise durchaus zur Geltung kommt.)

Serebrennikovs „Manifest“ entpuppt sich als eine Revue und Show, die zwar auf krasse Missstände hindeutet, gleichzeitig aber die Musik als probates Mittel zur Sedierung und Beruhigung einsetzt. Immerhin nicht als Schlaftablette.

 

 

 

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