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WIEN / Burgtheater: DIE LETZTEN TAGE DER MENSCHHEIT

07.09.2014 | Theater

LetzteTage_die zwei
Gregor Bloéb und Dietmar König / Alle Fotos: Burgtheater / Georg Soulek

WIEN / Burgtheater:
DIE LETZTEN TAGE DER MENSCHHEIT von Karl Kraus
Koproduktion mit den Salzburger Festspielen
Wiener Premiere: 5. September 2014
Besucht wurde die zweite Vorstellung am 7. September 2014

„Wia nemma’n ma ihn denn?“ fragt Dienstmann Hans Moser angesichts eines Riesenkoffers, der auf Anhieb nicht zu schultern ist, ja, wenn man es genau nimmt, gar nicht. Genau so geht es Regisseuren, die aus den „Letzten Tagen der Menschheit“, dem Riesen- und Monsterwerk von Karl Kraus, Szenen herausbrechen und zu einem Theaterabend fügen wollen. Welchen Zugang auch immer man wählt, irgendjemandem wird man es nicht recht machen.

Heuer, zum 100. Jahrestag des Ausbruchs des Ersten Weltkriegs sind die „Letzten Tage“, so schaurig verzerrt Kraus den Untergang der Monarchie auch schilderte, das Stück zur Stunde. Ende letzter Spielzeit hat Thomas Schulte-Michels im Volkstheater ein ganz „ theoretisches“ Konzept gezeigt – weiß gekleidete Irrenhaus-Insassen, die quasi durch einige Szenen tanzten und kreischten, lapidar genug, formal einheitlich, aber eigentlich nicht zum Stück vordringend (aber dafür wunderbar kurz).

Dass Georg Schmiedleitner ein besonders schweres Los traf, als er die Produktion der Salzburger Festspiele, die nun auch am Burgtheater herauskam, übernahm, ist bekannt – minimale Vorbereitungszeit für eine Arbeit, die Hartmann zweifellos anders angegangen wäre, allein die dramaturgische Vorbereitung müsste Monate, vielleicht Jahre in Anspruch nehmen.

Nun haben ja in Wien andere Theatergenerationen das Stück fast „unschuldig“ angepackt: Sowohl Leopold Lindtberg, 1964 zu den Festwochen im Theater an der Wien (mit Peter Lühr als Nörgler) wie auch noch Hans Hollmann, 1980 als zwei Abende im Konzerthaus (mit Helmuth Lohner und Peter Weck als Nörlger und Optimisten, diese durchaus als eine Art jüdischer Doppelconference begriffen) inszenierten das Stück vom Untergang der Habsburger Monarchie mit allem Kolorit – der Sirk-Ecke, dem Kaffeehaus, den kakanischen Uniformen, dem kabarettistischen Ansatz und der Preußen-Klamotte.

Das würde sicher nicht unseren Ansprüchen entsprechen, waren aber zumindest ansatzweise „Theaterabende“, die sich weniger um den überzeitlichen Zeigefinger als um das Stückwerk einer realen Geschichte kümmerten, die von einer absterbenden Welt erzählte. Und wenn man sich halbwegs erinnert, haben es Werner Schneyder 1995 in der Josefstadt (mit den Brüdern Paryla) und Hans Gratzer 2000 im Südbahnhotel (da führte Peter Matic quasi als Erzähler durch den Abend) annähernd ähnlich gehalten.

„Milieu“ gibt es bei Georg Schmiedleitner (Bühne: Volker Hintermeier, Kostüme: Tina Kloempken) nicht, und es gibt leider auch relativ wenig „Theater“, erst im zweiten Teil des über vierstündigen (und als sehr, sehr lang empfundenen) Abends wird manchmal ein Gestaltungswille spürbar, der eine „Inszenierung“ verrät. Aber auch dies eher formal als konzeptionell.

Im übrigen war man vor allem so damit beschäftigt, das „Stück“ überhaupt auf die Bühne zu bringen, dass die meisten Szenen einfach heruntergespielt werden. Die „klassischen“, die immer dazu gehören, sind natürlich dabei – Conrad von Hötzendorf auf seiner Italien-Karte, der Lehrer, das Ehepaar Schwarzgelber, Kaiser Wilhelm und hier auch Franz Joseph, Ganghofer und der Viktualienhändler (Urvater aller Wiener Urviecher gefährlichen Zuschnitts) – und natürlich immer wieder die Schalek. Ja, und im Gegensatz zum Volkstheater muss man hier auf „Nörgler“ und „Optimisten“ nicht verzichten.

Oder, ehrlich gesagt, doch. Denn Dietmar König ist nicht der Schauspieler, die vor Wortbrillanz blubbernden Karl-Kraus’schen Vernichtungstiraden gegen Habsburg und seine Welt wirklich überzeugend an das Publikum zu bringen, und Gregor Bloéb mit seiner unfrei-gutturalen Sprache (er klingt wie ein Dauerschnupfen) ist als Optimist auch kein Gegen-Diskutierer und Stichwortbringer „in aller Unschuld“. Am stärksten ist er, wenn man ihm die Schlussszene gibt – den Mann aus der Steiermark, der so stolz darauf ist, wie viele nicht nur der Gegner, sondern auch der eigenen Leute er eigenhändig erledigt hat. Da stimmt er auf einmal, und da verbreitet er auch das Grauen…

LetzteTage_Schalek
Dörte Lyssewski und Sven Dolinski

Die Kritiken für Dörte Lyssewski in der Rolle der Alice Schalek, die Kraus so hasste, dass er sie wohl am liebsten vernichtet hätte (er tut es in ihren Szenen indirekt), waren hymnisch – nicht ganz begreiflich angesichts des moderaten Einheitstones, den sie sich für die Rolle zulegt. Sollte damit bewiesen werden, dass die gute Frau (schlimm genug) alles glaubte, was sie tat und sagte, so fehlt damit doch das Element der lüsternen Geilheit, mit der sie Krieg, Tod und ihre eigene aufgeblasene Rolle als die berühmte „Berichterstatterin“ genoß… Da fehlt vieles.

Im übrigen hat das Burgtheater die Damenriege Petra Morzé und Stefanie Dvorak aufgeboten, die beide in vielen Szenen wirklich brillieren (wenngleich man nicht einsieht, warum die Dvorak die Männerrollen des Predigers und des Oberstleutnant Demmer von Drahtverhau spielen muss, es gibt ja genügend Männer in der Besetzung), dazu Alexandra Henkel (vor allem für „Piefke“-Damen) und Elisabeth Orth, der man Männerrollen ohne weiteres abnimmt, sieht sie doch von der Ferne aus wie weiland ihr Vater Attila Hörbiger…

Als Gast vom Volkstheater hat Christoph Krutzler vor allem die Rolle des Chramosta nach Herzenslust ausgekostet, das macht ihm nicht so schnell einer nach, Peter Matić als „Zniachterl“ von Franz Joseph und Bernd Birkhahn als nicht sehr auffallender Wilhelm II. haben jedenfalls Rollen, die man sich merkt, Sven Dolinski setzt den einen oder anderen Akzent, von Thomas Reisinger und Laurence Rupp kann man das weniger sagen.

Nicht mitgebracht aus Salzburg hat man die Blasmusikkapelle, in Wien sind es die Herren der Post und Telekom Musik Wien, die lautstark aufspielen. Und wenn man sich nach über vier Stunden lahm aus seinem Sitz erhebt, in dem man sich nicht selten gelangweilt hat, überlegt man, ob man den „Letzten Tagen“ (an denen ja nicht alles gleichmäßig gut ist) nicht in zweieinhalb prägnanten Stunden und mit ein paar anderen Besetzungen überzeugender hätte beikommen können.

Renate Wagner

 

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