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WIEN / Burgtheater: DANTONS TOD

24.10.2014 | Theater

Danton JoachimMeyerhoff stehend ganzDanton JoachimMeyerhoff Popanz
Fotos: Barbara Zeininger

WIEN / Burgtheater:
DANTONS TOD von Georg Büchner
Premiere: 24. Oktober 2014

Man wird nie begreifen, wie ein 23jähriger so viel über die Welt und die Menschen wissen konnte. In diesem Alter schrieb Georg Büchner 1835 sein Stück „Dantons Tod“ (und starb zwei Jahre später). Es handelt sich um eines der großartigsten Werke der deutschsprachigen Dramatik, gleicherweise in der Psychologie der Figuren wie in der Durchleuchtung einer konkreten politischen Situation – nämlich als die Französische Revolution anfing, ihre Kinder zu fressen. Nicht, dass man in der neuen Burgtheater-Produktion etwas davon zu sehen bekäme, o nein. Wie schon in der „Möwe“, letzte Saison im Akademietheater, bietet Regisseur Jan Bosse vom originalen Werk bestenfalls Textbrocken an.

Wobei bei „Dantons Tod“ das Inszenierungs-Motto: „Form erschlägt Inhalt“, noch weit stärker ausgebreitet ist. Nicht, dass man die riesige Drehbühne, die Stéphane Laimé hingestellt hat, nicht ehrlich bewunderte (was sie gekostet haben muss, will man lieber nicht überlegen). Es ist zweifellos eine „Bühne“, auch mit Bühnenrahmen (in dem dann allerdings weniger gespielt wird, als dass Videos laufen), als solche gemeint, man findet einen Schminktisch, zahllose Kostüme liegen am Boden herum (quer durch den Gemüsegarten entworfen von Kathrin Plath), und wie unauffällig sich die Gestänge-Konstruktion verwandeln kann, ist auch durchaus bemerkenswert.

Diese Drehbühne dreht sich mit ganz wenigen Ausnahme so gut wie immer, den ganzen Abend lang, mal schneller, mal langsamer, und der Regisseur hat dem Hauptdarsteller abverlangt, immer wieder rundherum zu laufen, so dass man sich wundert, dass er noch „Puste“ für die Rolle hat. Na ja, sie fällt ja auch nicht allzu groß aus.

Denn es stellt sich heraus, dass die Drehbühnenkonstruktion das Regiekonzept ist. Anfangs, wenn der Darsteller des Danton – der real unterforderte Joachim Meyerhoff, der sicher ein faszinierender „echter“ Danton sein könnte – sich ausführlich mit irgendeiner dicken, weißen Schmiere eincremt, die dann im Lauf des Abends eintrocknet und abbröckelt, dann glaubt man zu Beginn, sich vor einer Theatervorstellung zu befinden, so beiläufig werfen einander die Darsteller ihren Text zu, fast wie eine Probensituation…

Aber die wahre Verfremdung der Danton-Geschichte durch eine gewissermaßen Brecht’sche, lehrstückhaft gezeigte Theateraufführung stellt sich nicht ein. Wenn man Danton, den müden Revolutionär, nur in Schlafrock, Unterhosen oder, vor Gericht als lächerlichen Popanz sieht, fragt man sich, wie diese Figur im Zusammenhang mit dieser Interpretation (?) eigentlich gemeint ist? Ganz selten darf er zu Büchner’schen Kernsätzen so vordringen, dass sie auch aufhorchen lassen.

Aber auch andere Fragen werden nicht beantwortet, weil es die Geschichte als solche, als greifbare Handlung nicht gibt. Wo ist Gegenspieler Robespierre? Teilweise kommt er überhaupt von der Leinwand, und wenn Michael Maertens live auftritt, tatsächlich in einer Art Priestergewand, hört man von ihm das Eine oder Andere Salbungsvolle, aber nicht mehr. Wo ist der blutrünstige Fanatiker? Und wo ist St. Just? Wenn er seine berühmte Rede hält („Es scheint in dieser Versammlung einige empfindliche Ohren zu geben, die das Wort ‚Blut’ nicht wohl vertragen können“), dann muss Fabian Krüger dies in dermaßen uninteressiertem Parlando heruntersagen, dass man sich fragt, welche Funktion er in diesem Stück ausübt.

Regisseur und Dramaturgie haben das Personen-Personal und den Text des Werks brutal auf zweieinviertel pausenlose Stunden zusammen gehackt, das „Volk“ ist ein Kinderchor, der nach einer piepsigen Marseilleise von Stehplatz her gesungen, die Bühne stürmen darf und sich teilweise „tot“ hinlegt. Dafür, dass es Wesentliches an Text nicht gibt, erzählt Ignaz Kirchner (schwer zu sagen, in welcher seiner Funktionen), die Geschichte vom „Armen Kind“, die eigentlich in den „Woyzeck“ gehört. Warum? Das gehört zu den Dingen, die man in dieser Inszenierung nicht fragen darf. Dabei möchte man ununterbrochen „Warum?“ rufen.

Canton lJeschMeyerhoffSchwarKnaack

In einer Welt, wo es keine realen Räume gibt und jegliche „Handlung“ nur von dem begriffen werden kann, der das Stück gut kennt, schmelzen auch die Figuren weg: Nein, Peter Knaack als Camille Desmoulins und Daniel Jesch als Lacroix sind ohne den geringsten Aufmerksamkeitswert, obwohl sie an sich so guten Text hätten und mit Danton im Gefängnis hier an einer Art von Turnsaal-Ringen hängen dürfen – das alles ist vermutlich symbolisch, metaphorisch gemeint und bedeutet doch nichts.

Jasna Fritzi Bauer (einzige Eigenschaft: Perücke), Aenne Schwarz (der man als Lucile das berühmte Ende des Stücks genommen hat, wenn sie sich mit einem „Es lebe der König!“ bewusst den Tod herbeiholt) und Adina Vetter als Dantons Gattin Julie gehen, wie alle anderen, in einer Inszenierung unter, die sich vor allem – dreht.

Aber um was herum? Sicher nicht um Büchner und sein geniales Stück, das so viel von Lebensmüdigkeit und Politikverdruss, vom Sterbenmüssen und dem gnadenlosen Malstrom der Gewalt erzählt. Nicht hier, wie gesagt. Ganz abgesehen davon, dass eine Handvoll erster Schauspieler (zumindest Meyerhoff, Maertens und Krüger) glatt weggeworfen wird. Aber nicht das kleinste Unmutszeichen mischte sich in den Applaus, auch nicht, als der Regisseur erschien.

Renate Wagner

 

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