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WIEN / Burgtheater: BEI EINBRUCH DER DUNKELHEIT

14.11.2014 | Theater

Dunkelheit_78s Szene am Tisch
Copyright: Burgtheater / Georg Soulek

WIEN / Burgtheater:
BEI EINBRUCH DER DUNKELHEIT von Peter Turrini
Premiere: 13. November 2014

Muss schon schön sein, sich als ein nationales Gut fühlen zu dürfen! Die Beweise häufen sich – alle Wiener Bühnen stellen sich zu Peter Turrinis 70er ein. Die Josefstadt hat im September sein jüngstes Buch „C’est la vie“ nicht ohne Mühe, aber doch auf die Bühne gebracht, das Volkstheater wird nächste Woche seinen unumstrittenen Klassiker „Josef und Maria“ spielen, und das Burgtheater griff nun – es ermangelt eines neuen Stücks – auf „Bei Einbruch der Dunkelheit“ zurück, 2006 im Stadttheater Klagenfurt uraufgeführt, für die Burgtheater-Aufführung mit zusätzlichen Notizen des Autors angereichert, wie man liest.

Wie das nun mal so ist im Alter, rückt die Jugend näher, und Dichter nähren sich ja überhaupt vom eigenen Leben und dem Rückblick darauf. Wenn da „ein Junge aus dem Dorf, Alois Mitteregger“ zu Philippe (bitte französisch auszusprechen) und Claire eingeladen wird, dort wo der Komponist und seine schöngeistige Gattin auf Kosten der reichen, unliebenswürdigen Schwiegermutter in Kärnten Hof halten, dann wird der reale Hintergrund gar nicht geleugnet: Lampersberg! Tonhof! Maria Saal! Thomas Bernhard…

Und wer es miterlebt hat, fühlt sich in aufregendere Zeiten vor genau 30 Jahren zurück versetzt, damals 1984, als man zu den Lieblingskunden seines Buchhändlers gehören musste, der versicherte, „Ich hab’ Ihnen ein Exemplar von ‚Holzfällen’ zurückgelegt“ und dieses mittlerweile verbotene Buch „unter der Budel“ hervorzauberte… Damals, als Thomas Bernhard vom Ehepaar Maja und Georg Lampersberg geklagt wurde, die gekränkt von seinem schnöden Undank nicht recht begriffen, warum er sie in diesem Roman dermaßen zerlegt hatte…

Nun, vergleichen mit dem, wie Turrini – er war nämlich der dicke Junge aus dem Dorf, der dort am Tonhof aufgenommen wurde – mit seinen Erinnerungen umgeht, ist Bernhard das wahre „Waserl“ (aus unserer Sicht), denn auf der Bühne des Burgtheaters gibt es den wahren Vernichtungs-Rundumschlag – aber nicht als solcher gemeint, wie im Programmheft immer wieder versichert wird. Nein, nein, die Figuren seien nicht echt, versichert Turrini (obwohl es jetzt egal ist, die Lampersbergs sind – 2002 er, 2004 sie – nacheinander gestorben, sie könnten nicht mehr klagen, sich nicht einmal kränken). Er will nur – und nun gibt es das übliche geschwollene Programmheft-Klug-Geschwätz.

Tatsächlich wollte er wohl eines seiner üblichen Stücke schreiben, die bewährte Mischung aus Fäkalem und Genitalem, wobei Nazi-Ideologien immer noch effektvoll darunter gemischt werden können. Und Künstler werden auf die Schaufel genommen – nicht nur der lustlose Komponist Philippe, der sich ununterbrochen in Szene setzen muss, aber eigentlich nicht arbeiten will, sondern auch die Schmarotzer, ob angeblicher Dichter, ob Maler (Medienkünstler), zu dem Turrini rein gar nichts eingefallen ist.

Und gegen die Juristen hat er auch einiges, und gegen den Adel sowieso, wobei ihm die alte Gräfin noch am ehesten gelungen ist – diese Figur hat manchmal, aber auch nur ganz manchmal, dann wirklich Thomas Bernhard-Schärfe. Ha, und der kleine dicke Junge aus dem Dorf, aus dem später der Peter Turrini wird und der damals – dank der Gönnerhaftigkeit von Philippe – seine schlechten Gedichte vorlesen darf, schreibt heftig mit bei allem, was er da an verrücktem, bösem, blödem Gehabe sieht. Damit er sich zu seinem 70er im Burgtheater für diese Jugenderinnerung feiern lassen kann…

Na, ganz so arg war’s nicht, der Applaus war freundlich, aber nicht stürmisch, mehr Pflicht als Neigung – angesichts dessen, was man sich da ansehen musste. Dabei hat man das Gefühl, dass trotz aller exzessiven, lustvollen Ordinärheiten da ein nur ganz kraftloses Stück dahinter steckt – hätte Regisseur Christian Stückl nicht dafür gesorgt, dass die Regie alles überdeckt. Und wie! Ob Ausstatter Stefan Hageneier auch für die Gestaltung, sprich: Entstellung der Menschen auf der Bühne zuständig war? Das allerdings ist sicher Konzept, dass in der Monströsitäten-Schau, die sich hier entfaltet, Groteskfiguren herumwanken, die schon durch ihre Optik als solche und nicht als Realmenschen kenntlich gemacht werden.

Das geht nicht mit jedem Schauspieler, aber das Burgtheater hat einige, die zu allen grenzüberschreitenden Exzessen bereit sind, und die fanden sich hier unter Stückls grell-wahnwitziger Regiehand ein. Wobei – nicht zum ersten Mal, wenn sie loslegt – Barbara Petritsch als durch und durch bösartige alte Gräfin den Vogel abschoß, nicht weniger als ein Grand Guignol-Monster. Aber auch Markus Meyer in immer neuen Verkleidungen (am Ende in einem Sarg den Freund der Gattin vergewaltigend) ist atemberaubend in seiner schamlosen Wüstheit. Absolut köstlich, wie Dorothee Hartinger einerseits eine „Gut-Menschin“ sein will, aber immer wieder mit schrillen Tönen die unduldsame, verlogene, bösartige reale Frau heraushängen lässt.

Dunkelheit_48s Motorrad

Unter dem Nebenfiguren ist Elisabeth Augustin als Haushälterin am köstlichsten, die sture Naivität der Dummen vor sich hertragend, wenn auch ihr „Kärntnerisch“ nicht mehr als einen Versuch darstellt. Fast einem bösen Märchen entsprungen wirkt der Anwalt des Falk Rockstroh mit grotesk weißem Elbenhaar. Von Sven Dolinski, der sein Talent schon oft unter Beweis gestellt hat, würde man sich angesichts seines optisch (ein Gesicht voll Eiterpusteln) und ideologisch unappetitlichen Dichters wünschen, dass er ein besserer Sprecher wäre. Laurence Rupp als Maler litt nicht nur an des Autors Schwäche, ihm keine Kontur gegeben zu haben, sondern auch an Persönlichkeitsmanko. Der tumbe Junge in Lederhosen (die „Stutzen“ wirkten eher bayerisch als kärntnerisch, aber was weiß man schon) war entweder mit Matthias Hecht oder Sebastian Kranner besetzt, beide stehen im Programmheft, man kann es sich aussuchen. Jedenfalls darf der junge Mann im gelben Motorrad auf der Bühne herumbrettern, das ist doch ein Spaß – ebenso wie der Einsatz von Gesang und Tanz, ländlich lustig, das hat am Ende noch den Applaus ein bisschen hochgetrieben, wenn man zur „Musi’“ (verantwortlich: Tom Wörndl) im Takt mitklatschen kann!

Wie weit es das Stück in die Nähe einer Aufführung gebracht hätte, hieße der Autor nicht Turrini, wagt man nicht zu entscheiden. Er ließ sich neben seinem deftigen Regisseur, der so viel Schreckliches (und dabei Theater-Gutes) für ihn getan hat, und den Darstellern feiern – mit schüchternem Lächeln. Ein so lieber alter Herr und ein so grausliches Stück, na geh!

Renate Wagner

 

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