WIEN/ brut: Saison-Eröffnung mit „LOW“ von Karin Pauer
Das brut Wien eröffnete die neue Spielzeit und mit dieser auch die elfte und letzte unter der künstlerischen Leitung von Kira Kirsch, prominent besucht und eingeleitet mit Gruß- und gleichzeitig Abschiedsworten bezüglich Intendanz und in dieser Saison letztmalig zur Verfügung stehender, nach nomadischen Jahren vorübergehende Heimstatt gewordener Spielstätte brut nordwest. Das Zentrum des mit einer Eröffnungsparty ausklingenden Abends markierte Karin Pauer mit der bejubelten Uraufführung ihrer Arbeit „LOW“.
Karin Pauer LOW (c) Hanna Fasching
Es ist nicht die erste Arbeit, mit der Karin Pauer den Menschen in den Kontext einer globalen ökologischen Krise und ihren Auswirkungen stellt. Im Rahmen ihres Arbeitszyklus „practices for potential futures“ führte sie uns in Solo-Arbeiten durch Betrachtungen des Universums und des Planeten und mit ihrem Solo „AVA“, das im Dezember des letzten Jahres an gleicher Stelle gezeigt wurde, in die Verbindung von menschlichen und Wasser-Körpern und die Auflösung der Grenzen zwischen terrestrischen und aquatischen Lebensräumen.
Mit „LOW“ nun taucht sie gemeinsam mit den TänzerInnen Hugo Le Brigand und Ixchel Mendoza Hernández ab in die submarine Welt. Ein riesiges Netz wird zum zentralen Requisit (Space: Eva Engelbert). Wie Luft atmende Meeresbewohner verstricken sie sich im Treibnetz, wie mit Kapuzen vermummte Aktivisten kämpfen sie mit dem Netz aus menschlichem Bedarf und Bedürfnis, aus Kapital-Interessen und zerstörerischer Ausbeutung der belebten und unbelebten maritimen Natur. Sveta Schwin setzt mit ihrem Lichtdesign die drei PerformerInnen und ihre Bühnen-Wasserwelt in eindrucksvolle Szene.
Karin Pauer LOW (c) Hanna Fasching
Deren Geräuschkulisse erzeugte die schon in „AVA“ tätige Pianistin, Komponistin und Sounddesignerin Rozi Mákó live. Mit Synthesizern und ihrer Stimme holt sie nicht nur den vom Menschen und seinen Maschinen, Booten, Schiffen, Förder- und Industrie-Anlagen erzeugten Unterwasser-Lärm ins brut. Sie dringt einem mit dem An-Klage-Gesang ihrer verhallten Stimme bis ins Mark. Vor allem aber treiben ihre Rhythmen das Trio durch menschlich-tierisch-pflanzliche Metamorphosen und durch Leben und Leid all dieser Kreaturen. Bis in den Tod. Ihre Musik ist ein Sog aus Klang und Rhythmus, von handwerklicher Brillanz und souverän performt.
Sie wiegen sich langsam wie Seegras in schwacher Dünung, mutieren zu Delphinen und Aktivisten, sie eskalieren Protest und Widerstand, sie performen die tranceartige Perpetuierung von selbstzentriertem Lebensstil und den diesen rechtfertigenden unerbittlichen Ideologien, sie tanzen ekstatisch die Narkotisierung von Wahrnehmung, Verantwortung und Mitschuld, sie demonstrieren mit ihrer Fragilität gegen den Untergang, sie schreien mit Gestik und Mimik das Leid der stummen Kreaturen einer unbarmherzigen, gnadenlosen Menschheit ins Gesicht. Das Leid, das die akustische Verschmutzung der Meere deren Bewohnern zufügt, machen sie fühlbar.
Karin Pauer LOW (c) Hanna Fasching
Ihr Tanz eint die Elemente der Schöpfung, führt Grenzen in Hirnen und Herzen ad absurdum, dringt vor zu Vergessenem und Ignoriertem und rührt an eine fast ausgestorbene ethische Kategorie: ans Gewissen. Die alle Vorstellungen von Richtig und Falsch pervertierenden Wertesysteme des Westens und all seiner Anhänger zeitigen Konsequenzen, deren Verdrängung zu einer Kernfunktion gesellschaftlicher und individueller (Über-) Lebensstrategien geworden ist.
„LOW“ begibt sich in eben jenes Verdrängte, seinem Wesen nach physisch und psychisch unsichtbar. Die Arbeit ist trotz ihres frontalen Settings im besten Sinne immersiv. Sie greift insbesondere nach einem Aspekt eben jenes Verdrängten in uns: Nach unserer Schuld. Das Stück ist Widerspruch und Widerstand gegen den Widersinn einer destruktiven Nutzung der Meere, die mit der Überfischung erst ihren Anfang erlebt. Bodenschätze auf und unter dem Meeresgrund verheißen dem Kapital Rentabilität und der Menschheit die Linderung von manchem, dem westlichen Lebensstil jenseits jeder Nachhaltigkeit geschuldeten Mangel.
Karin Pauer LOW (c) Hanna Fasching
Das KünstlerInnen-Kollektiv auf und hinter der Bühne, allen voran die für künstlerische Leitung und Choreografie verantwortlich zeichnende Tänzerin und Choreografin Karin Pauer, zeichnen das Bild einer apokalyptischen Wirklichkeit, die die drei TänzerInnen schließlich wie zuckende Polypen auf bleichenden Riffen dem Tod entgegen sendet. Ihr Sterben ist das Sterben der Fundamente des Lebens auf diesem Planeten. Es sind die Sorge um das Schicksal des Planeten Erde und all seiner Bewohner und die Überzeugung von einer dringend notwendigen Empathie mit allem Sein, die das Kollektiv mit „LOW“ von der Bühne sendet. Die Kraft, die Ehrlichkeit und die tief empfundene Fürsorglichkeit des Stückes bewegen und begeistern.
Karin Pauer mit „LOW“ am 08.10.2025 im brut Wien.
Rando Hannemann