WIEN/ brut: Georg Blaschke & Daniel Zimmermann mit „black“ – am 12.1.2024
Inspiriert von der Höhlenforschung einerseits, ihr Besuch der Hermannshöhle beeindruckte sie nachhaltig, und andererseits von der Millennium-Simulation, die per Computer die Entwicklung des Universums nachvollzog und antizipierte, gestalten Georg Blaschke und Daniel Zimmermann mit „black“, der Name beschreibt das zu Erlebende trefflich, eine bildnerisch aufwändige und äußerst assoziative performative Reise in Stille und Dunkelheit durch die Enge einer Höhle in die Weite des Raumes.
brut Wien: Blaschke Zimmermann: „black“ © Christine Miess 1
Es braucht seine Zeit, bis sich die Augen an die Dunkelheit und die Ohren an die Stille gewöhnt haben. Man sieht die sehr anspruchsvolle, von Daniel Zimmermann und Victor Duran Monate lang entwickelte technische Installation über dem Bühnenraum hängen, einen großen quadratischen Rahmen, der zwei Meter über dem Boden schwebt und als Rahmen dient für ein darin eingespanntes Tuch. Die vier PerformerInnen Georg Blaschke, Alina Bertha, Masoumeh Jalalieh und Rotraud Kern scheinen vornehmlich als Bühnentechniker zu agieren. Sie bedienen die Installation mit vielen Seilen.
Mit äußerster, physisch ungemein fordernder Langsamkeit nähern sie sich von den vier Ecken aus dem Zentrum des den Raum verengenden, herabhängenden Trichters aus Stoff, in dem es, dort angekommen, irrlichtert, unscharf sichtbar durch das halbtransparente Tuch. Die Biolumineszenz von in Höhlen lebenden Insekten-Larven, die dort mit langen, klebrigen, herabhängenden Fäden ihre Nahrung fangen, mag Pate gestanden haben. Das Tuch bewegt sich nach oben, der Trichter kehrt sich um. Sie stehen auf der anderen Seite, ausgegossen in einen offenen Raum. Das silbrige Tuch, den Raum, wie in einem Ritus gefaltet, konzentrieren sie schließlich in einem Ring, der am Ende lange schwebt.
brut Wien: Blaschke Zimmermann: „black“ © Christine Miess 2
Der Sound von Christian Müller ist wie das pulsierende Rauschen des Blutes in den Ohren oder wie das Hintergrund-Rauschen der Materie oder wie der vielstimmige Chor der durch das zurückgeworfen Sein auf sich selbst wahrnehmbaren so leisen Stimmen aus den Tiefen des Unbewussten. Rauschen ist physikalisch die Summe aller Frequenzen, metaphorisch ein wundervolles Bild für die Gesamtheit der psychischen Aspekte unseres Selbst. Das Rauschen ist ein Bild für das Eine und das Alles in uns, für dessen Gewahrwerden dem, der es sucht, äußere Reizlosigkeit, Stille und Dunkelheit Gelegenheit geben. Nach und nach klingen klarer vernehmbare Stimmen, klopfen an die Pforten des Bewusstseins.
Der Mut der Höhlenforscher, die in engste, dunkle, unbekannte Räume vorstoßen, um Neues zu entdecken, ist der selbe, den es braucht, um in sein Innerstes vorzudringen, sich dem Dunklen in sich zu nähern, sich zu konfrontieren mit den tief eingegrabenen unbewussten Aspekten seiner selbst. Irrlichterndes, Fremdartiges in unserem Innern wartet lang darauf, angeschaut, akzeptiert und integriert zu werden. Dieser Mut wird belohnt.
brut Wien: Blaschke Zimmermann: „black“ © Christine Miess 3
Die Minimierung von Reizen für die Sinne und deren gezielte, sehr behutsame Ansprache mit Sound und in der Dunkelheit kaum wahrnehmbarem, entschleunigtem performativem Geschehen werfen die Zuschauenden zurück auf sich selbst. Wer es, also sich, erträgt, reist mit den vier PerformerInnen in seinen Kern und von dort in eine unendliche Weite, in deren Mitte das Portal in eine andere Welt wartet, der Muttermund, durch den geboren zu werden heißt, einer vollständigen, befreiten Seele Leben zu schenken. Der Prozess führt heraus aus der Enge in eine stille, kosmische Weite.
Das Tuch ist wie ein von einer großen Masse gekrümmter Raum, wie ein Trichter, der das Alles im Einen konzentriert. Sie kehren diesen Trichter um, lassen auf einer anderen Seite aus dem Einen das Alles sich ergießen. Das lange gehaltene Schlussbild dieser Uraufführung wirkt wie ein riesiger schwebender Schließmuskel, der durch Bereitschaft Loslassen, Geburt, Durchgang und Hinüberwechseln möglich macht. Ein Portal zur Transition und Transformation, ins Leben und über es hinaus.
brut Wien: Blaschke Zimmermann: „black“ © Christine Miess 4
Das Publikum ist fokussiert und konzentriert. Das Zeitgefühl verändert sich. Die gute Stunde erscheint einem kürzer. Georg Blaschke und Daniel Zimmermann gelingt mit „black“ ein herausragendes Werk, das mit seiner grandiosen Bildsprache die größte, schwerste und die schönste Aufgabe, vor die wir Menschen mit unserem Leben gestellt werden, formuliert: Die Integration all unserer unbewussten psychischen Inhalte in unser Bewusstsein. Gleich der Vision Erich Fromms in seinem Buch „Ihr werdet sein wie Gott“.
Georg Blaschke & Daniel Zimmermann mit „black“ am 12.01.2024 im brut Wien.
Rando Hannemann