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WIEN/ brut: Doris Uhlich mit „Come Back Again“

16.02.2025 | Ballett/Performance

WIEN/ brut: Doris Uhlich mit „Come Back Again“

Nach „Spitze“ 2008 und „Come Back“ 2012 finden sich die einstige Erste Solotänzerin der Wiener Staatsoper, spätere Choreografin und Ballett-Chefin Susanne Kirnbauer-Bundy und die österreichische Choreografin und Tänzerin Doris Uhlich wieder zusammen, um das Alt-Werden und das Alt-Sein Kunstschaffender am Beispiel einer ehemaligen Spitzen-Tänzerin und einer Künstlerin der nachfolgenden Generation zu be-, vor allem zu durchleuchten. Fünf schnell ausverkaufte Vorstellungen im Wiener brut, und die Premiere war lang bejubelt.

Dieses Stück fügt sich in den Kontext des Oeuvres der mehrfach, in 2024 unter anderem mit dem Österreichischen Kunstpreis 2024 des Bundesministeriums für Kunst, Kultur, öffentlichen Dienst und Sport in der Sparte „Darstellende Kunst“ ausgezeichneten Choreografin Doris Uhlich, die auf vielfältige Weise Körper jenseits gesellschaftlicher und künstlerischer Normen und Ideale in den Fokus ihrer Arbeiten stellt und damit Integrationsarbeit in besten Sinne leistet. Voraussetzung dafür: Empathie. Und das in beispielgebendem Ausmaß.

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Doris Uhlich Come Back Again (c) Alexi Pelekanos 

Mit dieser Empathie inszeniert Uhlich unter weit gehender Zurücknahme ihrer selbst die ungebrochene Strahlkraft einer ganz Großen des klassischen Balletts, die nachhaltige Spuren in der Welt des Tanzes hinterlassen hat. Und deren Ringen um ein Weiterleben. Wie lässt sich der Verlust von physischen Fähigkeiten konstruktiv und schöpferisch verarbeiten? Welchen Einfluss hat ein sich vom klassischen Ideal immer weiter entfernender Körper auf ihre, auf die Kunst? Und auf einen Menschen, für den diese ihre Kunst Lebensinhalt und -sinn war und ist?

Es braucht nicht viel, um diesen Stern von der dunklen Bühne strahlen zu lassen. Requisiten und Licht, sparsam, aber effektvoll eingesetzt, und eine nur zeitweise hinzukommende Choreografin geben der Persönlichkeit dieser Tänzerin, ihrer schmerz- und freudvollen Geschichte und Gegenwart, ihrer (existierenden!) Vision von sich und ihrer Zukunft einen Rahmen. Auf einem Stuhl in der Mitte der Bühne sitzend und sich von ihm schließlich, nach wärmenden, lockernden und tastend-testenden Bewegungen erhebend, beginnt sie ihre Reise durch ihr Leben. Performativ und verbal, hin und zurück, herein und heraus.

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Doris Uhlich Come Back Again (c) Alexi Pelekanos 

Ihre sich aus dem Körperlichen zurückziehende Kraft, ihre profunde Erfahrung als Lernende und Lehrende, in Performance, Kreation, Leitung und Administration, ihre manchmal auch gegen sich selbst gerichtete, meist aber hinaus drängende und dort gelenkte Energie, ihre geschulte, zuverlässige Intuition, ihre Disziplin (Pünktlichkeit ist ihr auch heute noch ein hoher Wert), ihr Wille (die Folgen der Hüft-OP im Oktober 2024 waren für den Probenprozess ein schweres, aber überwindbares Hindernis), ihre Ehrlichkeit sich selbst und uns gegenüber, ihre kritische Distanz zu sich selbst, ihrer Kunst und der in sie eingebetteten Industrie und ihr Aufblühen auf der Bühne werden zu den Fundamenten dieses Stückes.

Susanne Kirnbauer-Bundy führt uns durch ihr Leben. Sie zählt bis 82, ihr aktuelles Alter, erzählt von Stationen und Erlebnissen, sie tanzt Emotionen. Ehrliche Selbstanschauung erzeugt Nachdenklichkeit, Melancholie. Der dem klassischen Erbe eigene Habitus, jung, schön, fit und flexibel sein zu müssen, treibt sie in die Verzweiflung. Und in den Willen zum Tanz. Sie nimmt uns mit in Enttäuschung und Frustration, Leidenschaft und Selbstüberwindung, Schmerzen und Entbehrungen, Disziplin und Drill, Freude und Anerkennung.

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Doris Uhlich Come Back Again (c) Alexi Pelekanos 

Mit zwei verschieden langen Ballett-Stangen erzählt sie von ihren enger werdenden Grenzen und ihrer Wut. In einem der kurzen Auftritte von Doris Uhlich tanzen die beiden ein pas de deux. Die Ältere gibt der Jüngeren Kraft und Mut. Denn es ist auch ihr, es ist unser aller Thema. In einem anderen Duett erzählen beide von Erlebnissen und Begebnissen ihrer Leben. Dass die Ältere schon mit 38 zu alt war für Giselle. Und dass die Jüngere sich auf ein Ballettschul-Aufnahmegewicht herunter hungerte. Nur dafür. Dann schnell wieder rauf ins Wohlfühlgewicht. Und mit einem riesigen Tütü um ihre Hüften den mit Latten gestützten Tüll hinter sich hoch aufrichtend scheint Kirnbauer-Bundy zu Hause zu sein im Tanz-Universum, aus dessen Mitte sie mit tiefer Verbeugung Dankbarkeit sendet an Publikum und Leben.

Das Humorvolle in der ironischen Überhöhung dieses Bildes findet sich auch in der intern „Pink Pomp“ genannten Szene. Hier stolziert sie als pelzbemäntelte Diva über einen pinkfarbenen, nicht roten Teppich. Gedimmtes Licht mit trotzdem kalter Farbe wünschte sie sich für diesen Auftritt. Eine besondere Herausforderung für die Lichtdesignerin Leticia Skrycky. Mit ihren weißen Haaren und sehr heller Haut gelang das Bild einer fast unnahbaren, dem Irdischen enthobenen, trotzdem so irdisch narzisstischen Lichtgestalt des Kunstbetriebes. Nicht nur diese Szene schlägt mit ihrer mehrdeutigen Unschärfe zwischen Selbstreflexion und Systemkritik eine differenzierte Lesart dieses Stückes vor.

Boris Kopeinig dient mit seinem elektronischen Sound und seiner Musik-Auswahl eben jenem, auf die Hauptdarstellerin dieses Abends fokussierten Sujet. Herzschlag, Klang-Flächen und Popsongs kommentieren das Bühnengeschehen, manchmal auch bissig, machen Gedanken, Wünsche und Träume hörbar, manchmal auch ironisch.

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Doris Uhlich Come Back Again (c) Alexi Pelekanos 

Man muss „Come Back Again“ (auch) lesen als Reflexion über den Wertekanon und Kritik an diesem, der in der Welt des klassischen Balletts als Repräsentant eines gesamtgesellschaftlichen Phänomens sichtbar wird. Die Diskriminierung und Exklusion alternder und alter ehemaliger „Leistungsträger“ durch eine Gesellschaft, die Leistung und Jugend und Jugendlichkeit als ihr insbesondere für Frauen propagiertes Leitbild setzt, wird zum Sinnbild für die zunehmende Spaltung, sich vertiefende Gräben und wachsende Menschenfeindlichkeit des Spätkapitalismus.

Die Arroganz der Kraft entwertet die Erfahrung. Damit müssen wir alle umgehen.

Sich also ein weiteres Mal zu transformieren, um als Mensch und KünstlerIn weiter- und über-leben zu können, erscheint unumgänglich. Welche Strahlkraft Reife und Weisheit entwickeln können, in welche künstlerischen Dimensionen eine Kollaboration von einstmals klassisch getrimmter Schwerelosigkeit und zeitgenössisch verwurzelter Bodennähe und Erdigkeit, verbunden durch Respekt und Offenheit füreinander und freundschaftlich-artistisches Interesse, führen kann, zeigen die beiden Frauen auf begeisternde Weise.

Das Stück schaut auf die Protagonistin und deren Welt aus mindestens sechs teilweise diametral entgegengesetzten Perspektiven: aus der der Ballett-Schülerin/-Studentin, der Tänzerin, der Choreografin, der Ballett-Chefin, der als Mensch und der als Frau. Hieraus bezieht es seine Komplexität und die reizvolle Mehrdeutigkeit vieler darstellerischer und verbaler Bilder.

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Doris Uhlich Come Back Again (c) Alexi Pelekanos 

In „Come Back Again“ wachsen die Persönlichkeit der „Alten Dame“ und deren Performance, Musik, Licht, Bühne, Requisiten und natürlich Doris Uhlich selbst zusammen zu einem feinsinnigen Spiel von ineinander verschränkten Erinnerungen, Gedanken, Emotionen, Assoziationen und Visionen. Das Stück ist wichtig. Es rüttelt an den ideologischen Grundfesten eines kapitalisierten Kunstbetriebes. Es ist Sinnbild für die existenziellen Nöte einer alternden Gesellschaft. Es ist Leitbild für den Umgang mit ihnen.

Hier sichtbar gemachte Transformationsprozesse mit all ihren physischen und psychischen Ursachen und Auswirkungen sind Ergebnisse eines grundsätzlich positiven Selbst- und Weltbildes.

Dankbarkeit, Mut, Lebens- und Schaffenswille ermöglichen Veränderung. Es beginnt immer bei uns selbst. Sie zählt zwei Mal an diesem Abend. Am Ende rückwärts. Von 82 bis 1. Wie ein „Zurück auf Start“ erscheint es, wie der Countdown, den die Vergänglichkeit uns zählt für immer wieder Anfang, für neues, das nächste Leben. „Auf dass uns auch die Todesstunde noch neuen Räumen jung entgegen sende.“

Doris Uhlich mit „Come Back Again“ am 12.02.2025 im brut Wien. Weitere 4 Vorstellungen am 14., 15. und 16.02.2025.

Rando Hannemann

 

 

 

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