WIEN / Belvedere: Der Wiener Opernsommer startet mit DON GIOVANNI
1. Juli 2024 – Premiere
Von Manfred A. Schmid
Für im Sommer Dargebotenes gelten eigene Gesetze. So wird Wein in Wien gerne als „Gespritzter“ verabreicht, je zur Hälfte Wein und Mineralwasser. Eine beliebte Version ist der „Sommergspritzte“ mit viel Wasser und Luft (Kohlensäure) und wenig Wein. In diese Kategorie fällt auch die Inszenierung von Mozarts Don Giovanni, mit dem der Wiener Opernsommer Belvedere erstmals in Erscheinung tritt: Leichte, bekömmliche Sommerunterhaltung und damit wohl auch das, was sich die meisten Besucherinnen und Besucher erwartet haben dürften. Die Aufführung vor der imposanten Kulisse des Oberen Belvedere ist allerdings, wie bei ersten Auftritten oft der Fall, mit einigen Mängeln behaftet, die man beseitigen sollte, falls dieses neue kulturelle Angebot tatsächlich, wie intendiert, zu einer Wiener Dauerinstitution werden möchte. Dazu gehört vor allem die Erkenntnis, dass regietheaterliche Gepflogenheiten möglichst zu vermeiden wären. Eine Erfahrung, wie sie etwa auch Oper-im-Steinbruch-Intendant Daniel Serafin im Vorjahr mit seiner ersten Opernproduktion Carmen machen musste, wo die Handlung infolge der parallel ablaufenden Aufnahmen zu einem Hollywood-Film Geduld und Aufmerksamkeit des Publikums deutlich überstrapaziert hat. Für viele ist der sommerliche Opernausflug das einzige Opern-Erlebnis des Jahres, zu dem sie oft mit Bussen aus ganz Österreich herangekarrt werden, oder es handelt sich um urlaubsbedingt und somit vorübergehend kulturell angeregte Touristen. Sie alle wollen sich in erster Linie prächtig unterhalten und vor allem nicht damit behelligt werden, was dem Herrn Regisseur so eingefallen sein mag. Im vorliegenden Fall ist es der Einfall Dominik am Zehnhoff-Söns, den gleich zu Beginn von Don Giovanni getöteten Komtur in weiterer Folge als weißgeschminkten Zombie unablässig herumgeistern zu lassen. Er ist fast immer auf der Bühne, beobachtet und kommentiert das Geschehen mit undifferenzierten, erregten Bemerkungen. Dass sich gerade dieser traditionsbewusste Commendatore als Verfechter der Frauenrechte zu erkennen gibt, ist geradezu absurd. Er fragt sich selbst einmal, was er hier eigentlich mache. Das frage ich mich auch. Dass Don Ottavio nicht der richtige Mann für das Rächen der Untat Don Giovannis ist, erkennt das Publikum auch ohne die nervenden Klagen des lästigen Wiedergängers. Außerdem kann man auf dem Handy Zusammenfassung des jeweiligen Geschehens online mitlesen.
Auf der anmutig-barocken Bühne von Manfred Waba, die als ein von beiden Seiten zu betretender, geschwungener Treppenaufgang zum dahinter stehenden Schloss Prinz Eugens konzipiert ist und wie dieses mit wechselnden Projektionen farbig und dekorativ erweitert wird, lässt der Regisseur eine sehr wienerische Version des Don Giovanni von Mozart/Da Ponte ablaufen. Don Giovanni ist kein Graf, sondern ein Vorstadt-Casanova, genauer gesagt: ein Vorstadt Strizzi aus Ottakring oder Kaisermühlen. Ein Blender, Angeber und windiger Geselle, angeblich im Immobilienbusiness tätig, der sich in breitem Wiener Dialekt, jedenfalls nicht in Schönbrunner-Deutsch, mit seinem ihm ergebenen Spezi Leporello unterhält, der ihn bewundert, wohl auch beneidet, sich von ihm aber auch ausgenützt vorkommt und etwas Abstand gewinnen will. Gesungen wird auf Italienisch, die Rezitative werden allerdings nicht gesungen, sondern mehr oder weniger auf Deutsch gesprochen. Und zwar nach Texten, die eigens von Florian Stanek und dem Regisseur verfasst wurden. Manche Dialoge sind recht lustig. Es gibt sogar Anspielungen auf Aktuelles, wenn es einmal heißt, dass der Palast eines gewissen Don René kürzlich konfisziert worden sei. Tschauner-Bühne-Niveau. Manchen gefällts.
Die Kostüme von Gera Graf sind an barocke Vorbilder angelehnt, wenn auch nicht sehr farbig, sondern eher dunkel gehalten. Es gibt auch zwei Balletteinlagen, ebenfalls eher düsterer Art (Choreographie Jessica Wurzer). Warum das Personal beim Festmahl am Schluss des 2. Akts ausgerechnet aus Kellnern und Serviererinnen mit Hexenschussbeschwerden besteht, bleibt rätselhaft. Spaß auf Kosten von Gebrechlichkeit im Alter?
Musikalisch werden solide Leistungen geboten. Intendant und musikalischer Leiter der Aufführung ist Joji Hattori, erfolgreicher Gastronom und Dirigent, der zuletzt vor allem bei den Operettenaufführungen auf Schloss Kittsee in Erscheinung getreten ist. Dass der Dirigent und das Wiener KammerOrchester gut 100 Meter entfernt und unsichtbar untergebracht sind, lässt, lässt Karaoke-Befürchtungen hochsteigen. Die akustischen Tonübertragungen klappen aber gut, was auch für die Kommunikation via Bildschirmen gilt, auf denen die Sängerinnen und Sänger den Dirigenten sehen können. Das Ergebnis ist befriedigend, wenn auch alles andere als ideal. Wunder darf man sich jedenfalls keine erwarten.
Die Sängerinnen und Sänger sind mit Headsets (Mikrofonen) ausgestattet, auch da funktioniert die Übertragung klaglos. Gesanglich sind die Rollen recht ansprechend besetzt, wobei lobenswerterweise vor allem interessante Nachwuchs-Hoffnungen zum Zug kommen. Der Don Giovanni des österreichischen Bassbaritons Thomas Tatzl, ein ausgewiesener Mozart-Sänger, hat damit zu kämpfen, dass sein Image als erfolgreicher Verführer an Strahlkraft eingebüßt hat. Sein intensives Werben um das ganz und gar nicht standesgemäße Bauernmädchen Zerlina (Juliette Khalil, komödiantisch und stimmlich ein Knaller) ist in diesem Fall nicht einfach eine weitere Eroberung, sondern beinahe eine Frage auf Leben oder Tod: der Beweis dafür, dass mit ihm noch zu rechnen ist. Der aus der Schweiz stammende Bariton Alexandre Beuchat, der an der Volksoper Wien in Martin Schläpfers Ballett-Version des Deutschen Requiems von Johannes Brahms zu erleben war, tritt als spielfreudiger Leporello in lebhafte Erscheinung.
Von den beiden Damen der Gesellschaft ist die noch junge Wiener Sopranistin Martina Neubauer, Siegerin des Wettbewerbs Musica Juventutis 2023, eine erfreulich souverän agierende, ihrer Mission bewusste Donna Elvira. In der Rolle der unschlüssigen, hin und her gerissenen Donna Anna macht die dominikanische Sängerin Nathalie Pena-Comas, die über einen ausdrucksstarken Sopran verfügt, auch auf ihre schauspielerische Begabung aufmerksam.
Der Wiener Bass Felix Pacher , der 2022 an der Staatsoper in der Titelrolle der Jugendoper Tschick debütierte, ist ein etwas tollpatschiger, aber liebenswerter Masetto, Johannes Bamberger aus Tirol mit seinem hellen, fein klingenden Tenor ein beachtlicher Don Ottavio. Für den Komtur fehlt es dem soliden Bass von Andreas Hörl an der erwarteten, irgendwie schaurigen Klangfarbe in der Stimme, was in diesem Fall aber auch daran liegen mag, dass er ohnehin die ganze Zeit da und (nur für das Publikum) zu hören ist, so dass ihm von der Regie der Effekt, am Schluss als Stimme aus dem Jenseits für Schauern zu sorgen, gar nicht erst eingeräumt worden ist.
Das Publikum – es gibt einige unbesetzte Plätze in den Sesselreihen – zeigt sich zufrieden und spart nicht mit Applaus. Ein Anfang ist gemacht. Damit daraus ein Erfolgsprojekt wird, muss noch Vieles bedacht werden. Zuzutrauen und zu wünschen wäre ein fixer „Wiener Opernsommer Belvedere“ dem Herrn Intendanten, seinem Team und der Stadt schon!