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WIEN / Belvedere: HAGENBUND

10.10.2014 | Ausstellungen

Belvedere Hagenbund Plakat~1A
Alle Fotos: Heiner Wesemann

WIEN / Unteres Belvedere:
HAGENBUND
Ein europäisches Netzwerk der Moderne (1900 bis 1938)
Vom 11.Oktober 2014 bis zum 01.Februar .2015

Sammelbecken der Stile

Jeder, der sich mit Kunst befasst, kennt die „Secession“, auch das „Künstlerhaus“ ist vermutlich den meisten Kunstfreunden ein Begriff, aber mit der posthumen Popularität des „Hagenbunds“ sieht es schon weniger gut aus. Dabei hat dieser knapp vier Jahrzehnte lang von Wien aus als europäisches „Netzwerk“ der jeweiligen Moderne gewirkt und das damalige zeitgenössische Publikum mit zahlreichen Ausstellungen über neue Strömungen informiert. Nun tritt das Belvedere gleichzeitig mit einer Großausstellung und einem bedeutenden wissenschaftlichen Projekt zum Thema hervor.

Von Heiner Wesemann

Von 1900 bis 1938 Wer in Wien um 1900 als bildender Künstler kein Historist und kein Secessionist war, wo gehörte er hin? Er fand im 1900 gegründeten „Hagenbund“ Unterschlupf, der zwar zu Beginn viele Spät-Impressionisten beheimatete, aber im Gegensatz zu den anderen Künstlervereinigungen keinerlei Stil-Vorgabe hatte. Im Gegenteil – im Lauf der doch fast 40 Jahre, in denen der „Hagenbund“ existierte, wurde er zum Sammelbecken der jeweiligen Stile der Zeit und konnte in seinen Ausstellungen, da man eben nicht nur Mitglieder, sondern auch andere Künstler präsentierte, hier den Wienern jede Menge Novitäten zeigen. Während die anderen Gruppierungen – die Secession ebenso wie das Künstlerhaus – zerfielen (in einer politischen Entwicklung, die von Habsburg über das Rote Wien und den Ständestaat direkt in den Nationalsozialismus führte), konnte sich der „Hagenbund“ durch stets neue, junge Mitglieder und Offenheit für alle Stilrichtungen bis zur Machtübernahme in Österreich halten, wenngleich es auch da Gruppenbildungen und Spannungen gab.

Netzwerken als Nebenzweck Dass gerade bildende Kunst, die – ebenso wie die Musik – die Sprache nicht benötigt, in ihrem Wesen international ist, hat man im „Hagenbund“ von Anfang an begriffen, der in vieler Hinsicht ebenso eine „Interessensgemeinschaft“ wie ein Künstlerbund war. Über den eigenen Tellerrand hinaus zu blicken, war Konzept: Zuerst bezog man, als die Monarchie noch existierte, Künstler aus Ungarn, der Tschechoslowakei, aus Polen, dann auch aus Deutschland in den „Pool“ ein, und Ausstellungen der anderen Nationalitäten in Wien zogen wieder Ausstellungen für die Wiener anderswo nach sich – Prag, München, Budapest, Lemberg, Bratislava, Krakau oder Triest wurden solcherart zu Bezugspunkten der Wiener Hagenbündler. In der Ausstellung im Belvedere gibt es viele ebenso eindrucksvolle wie letztlich unübersichtliche Graphiken, die mit Angaben über Personen, Orte und Ausstellungen ein Netzwerk kreuz und quer durch Europa ziehen.

Belvedere Hagenbund Ausstellungsbroschüren~2
Ausstellungskatalog, Broschüren, Kritiken, andere Materialien aufgearbeitet

Die neue Galerie kaufte Da der „Hagenbund“ nun ebenso Gegenstand eines breit gefächerten wissenschaftlichen Projekts ist, erfährt man auch über geschickte Verkaufsstrategien, die für Künstler ja von hoher Wichtigkeit sind. Offenbar haben auch die Hagenbund-Künstler großen Einfluß auf die Errichtung der „Modernen Galerie“ genommen, die 1903 im Unteren Belvedere (also dort, wo heute wieder ausgestellt wird) eröffnet wurde. Und in der Folge haben die Kuratoren der „öffentlichen Hand“ auch sukzessive bei den überaus zahlreichen Hagenbund-Ausstellungen Bilder für das Museum gekauft, was das heutige Belvedere diesbezüglich so „reich“ macht: Man zeigt 182 Werke, davon 51 Objekte aus dem eigenen Bestand.

Belvedere Hagenbund Raumansicht 2~1
Raumansicht mit Arbeitsflächen, wo man Materialien einsehen kann

Werk und Wissenschaft nebeneinander Es ist den Ausstellungsarchitekten Andreas Vass und Erich Hubmann gelungen, beide Aspekte des Belvedere-Hagenbund-Projekts anschaulich zu machen. Es gibt, großzügig gehängt, die Bilder an den Wänden, vereinzelte Skulpturen stehen im Raum, und immer wieder sind Arbeitsflächen eingebaut, Tische, auf denen vor allem historisches Material in Kopie angeboten wird, vor allem Kataloge von einst, Zeitungsausschnitte (der „Hagenbund“ war in der Presse teilweise heiß umkämpft), anderes Dokumentarisches. Das, zusammen mit einem digitalen Pool, der im letzten Raum eine „Netzwerkanalyse“ auf Knopfdruck anbietet (leider nur im Wort, nicht auch im Bild), macht die Ausstellung zu mehr als einem Schauerlebnis, obwohl sie natürlich in erster Linie ein solches ist.

Belvedere Hagenbund Kaiser Franz Joseph~1
Franz Joseph-Büste zur Jubiläumsausstellung 1908

Vom Kaiser bis zum Exil In einzelnen Räumen werden chronologisch die Schwerpunkte des „Hagenbundes“ gesetzt, dessen Name übrigens keinesfalls auf den Hagen von Tronje der Nibelungensage zurückgeht: Vielmehr fanden die ersten Treffen im Gasthaus des Wirts Josef Hagen statt. Und als Architekt Josef Urban die Zedlitz-Hallen im Ersten Bezirk (sie wurden in den sechziger Jahren abgerissen) umbaute, bekam die Gruppe ihr eigenes Ausstellungsareal, das während des Ersten Weltkriegs verloren ging, danach wieder eine zeitlang revitalisiert werden konnte. Die Ausstellung im Unteren Belvedere beginnt im Jahre 1908, als auch der „Hagenbund“ sich zum Kaiserjubiläum einstellte und wo eine mächtige Büste von Kaiser Franz Joseph, geschaffen von Franz Barwig d.Ä., aus Privatbesitz herbeigeschafft, nicht zu übersehen ist. Die weiteren Schwerpunkte gelten Ausstellungen von 1918, wo man durch Fürsprache von Adolf Loos bei der Secession „unterschlüpfte“, 1925 (das war bereits die 50. Ausstellung der Vereinigung!), wo die Neue Sachlichkeit schon grüßen ließ, für die sich das Wiener Publikum nie erwärmte. Weiters 1930, wo man der Gruppe bestätigte, ihre „Gegenwart ist immer wieder Zukunft“, während dann bei 1938 unter den drohenden Schatten des Nationalsozialismus schon die Abwanderung der jüdischen Mitglieder begann und andere sich zwar den Nazis zuwandten, aber – wie im Fall von Leopold Blauensteiner – manches Werk ihrer Kollegen davor retteten, als „entartet“ vernichtet zu werden.

Belvedere Hagenbund Neue Sachlichkeit~1
Als die „Neue Sachlichkeit modern wurde

Das Problem des „Hagenbundes“ Die Nachwelt sieht das Problem des „Hagenbundes“ genau: Zu seiner Zeit von enormer Wichtigkeit, kann er heute mit keiner Persönlichkeit aufwarten, die sich mit einem Klimt, mit Schiele oder Kokoschka (beide wurden vom „Hagenbund“ ausgestellt) oder auch auf der anderen Seite mit Makart oder Alt messen kann. Man geht durch die Räume, wird von einzelnen Bildern des Ludwig Ferdinand Graf (etwa ein spätimpressionistisches „Schwimmbad“) gefesselt, von jenen Carry Hausers, man sieht wieder einmal Oskar Laskes Lueger-Begräbnis (eines der wenigen Hagenbund-Bilder des Belvedere, die immer wieder einmal gezeigt werden), aber es fehlen die singulären Gestalten, die in der allerersten Reihe der Kunstgeschichte stehen. Etwa zehn Prozent der Mitglieder waren Frauen (während Secession und Künstlerhaus sich ja als Herren-Clubs gebärdeten), und das geradezu pfiffige Porträt, das Lilly Steiner 1927 von Lilian Gaertner malte, ziert wirkungsvoll Plakat und Katalog.

Katalog – ein Wissenskompendium Auf 448 großformatigen Seiten sammelt der Hirmer Verlag im Katalog zur Ausstellung nicht nur die gezeigten Werke, sondern auch das gesammelte Wissen, das die Kuratoren Harald Krejci und Matthias Boeckl mit Hilfe zahlreicher Mitarbeiter zusammen getragen hat, was auch lange Listen mit Ausstellungen ergibt und eindrucksvolle Graphiken über Strukturen und Verbindungen aller Art. Da haben die Computer große Arbeit geleistet. Sich dabei als Laie bei diesen Konstruktionen auszukennen, steht auf einem anderen Blatt… Aber die Übersicht dankt man schließlich der Ausstellung selbst.

Unteres Belvedere.
Bis 1. Februar 2015, täglich von 10 bis 18 Uhr, Mittwoch bis 21 Uhr

 

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