30.03.2022: OPERNABEND THOMAS WEINHAPPEL
Der niederösterreichische Bariton Thomas Weinhappel kann die Coronakrise getrost als ein Glück für sich bezeichnen, denn sie gab ihm Zeit und Ruhe, vom lyrischen ins dramatische Fach zu wechseln. Das ist erstaunlich gelungen, wovon sich viele schon im September überzeugen konnten, als er – Klaus Billand berichtete für den „Merker“ darüber – auf der Donaubühne in Tulln kürzestfristig für Günther Groissböck als Wotan einsprang.
Im Unterschied zu diesem (Landsmann im engsten Sinn) hat er einen echten Bariton, was man bei einem Soloabend, den er im Bank Austria Salon des Alten Rathauses in der Wiener Wipplingerstraße gab, nun erneut hören konnte: Die hohe Lage, auch die f, die in den ausgewählten Stücken nicht wie in Basspartien Ausnahmen, sondern fast Legion sind, klingen bei Weinhappel nicht hochgezogen, sondern wohlzentriert, weil keine lagenfremden Farbwerte mitschwingen. Los geht es mit der dunkel dräuenden Holländer-Arie, deren Rezitativ („Die Frist ist um“) bis zum g absteigt und die dreimal ein schmetterndes und gehaltenes hohes f verlangt. Weinhappels Fähigkeit zum Bau dramatischer Bögen besticht, und in seiner Stimme vereinigen sich heldische Höhen, eine flexibel deklamierende Mittellage und die nötige Schwärze in der Tiefe: So klingt er, wenn er sich an den „Engel Gottes“ wendet, kurz flehentlich hell („War ich Unsel’ger Spielwerk deines Spottes“), um sogleich wieder schattig zu resignieren („als die Erlösung du mir zeigtest an“).
Mit dem zehnminütigen Stück ist das Spektrum im Groben bereits ausgeschritten, vertikal wie horizontal, vom sotto voce zum vollen spiegato, vom g bis zum f knapp zwei Oktaven höher. Weitere Kostproben des bemerkenswerten Könnens folgten: ein heldisch-selbstgewisser Gruß Wotans an seine Burg („Abendlich strahlt der Sonne Auge“) und ein großmütiger Abschied von der Tochter („Leb’ wohl, du kühnes, herrliches Kind“), der nur im Tempo etwas gestrafft war und wo die Herbeirufung Loges fehlte, die Weinhappel sicher bezwingend gesungen hätte. Im zweiten Teil bestärkten einen die Jochanaan-Passagen aus „Salome“ („Wo ist er, dessen Sündenbecher jetzt voll ist?“ und „Wird dir nicht bange, Tochter der Herodias?“), mehr noch aber Weinhappels robuster, gleichwohl eleganter Mandryka aus „Arabella“ („Wenn aber das die Folge wär’ gewesen“ und „Ich habe eine Frau gehabt“), dessen gehäufte Höhen wahrlich kein Bass stemmen könnte, darin, dass man es hier mit einem starken Kavalier zu tun hat, der alle Eigenschaften eines dramatischen Baritons besitzt. Gewiss, ein paar wesentliche Wotan-Interpreten des 20. Jahrhunderts, so Michael Bohnen und Theo Adam, begannen als Bässe und nicht als lyrische Baritone, doch allein die Dramaturgie der Stimmen verlangt es eigentlich, dass der Holländer anders klingt als Daland, Wotan anders als Fafner, Sachs anders als Pogner (auch: Pizarro anders als Rocco); denn ein Bass ist in der Regel entweder altväterlich-gutmütig, komisch bis ins Groteske oder aber nachtschwarz – jene Zwischenwelten aus fesselndem Charisma, dunkler Glut und fahler Verruchtheit, die Wagner mit dem Holländer und Wotan erst erschloss, brauchen eine andere Stimme.
© Weinhappel
Falls man an Weinhappels Gesang manchmal etwas vermisste, war es Weichheit: Freilich, ein Saal wie der gegebene, mit nur wenig über hundert Plätzen, lässt Dinge hören, die im Opernhaus dankbar untergehen; aber gerade in so intimem Rahmen hätte Weinhappel gewisse Passagen doch ganz piano halten können, und sie hätten das Publikum zweifellos trotzdem erreicht. Hierüber zu urteilen, ist jedoch heikel und verbietet sich fast, bevor man den Sänger auf großer Bühne gehört hat, wo die Gewichte ihr intendiertes Verhältnis einnehmen. Ähnliches gilt für Weinhappels Tendenz, auch weiche Konsonanten (z. B. „ward“, „Bangen“) hart zu artikulieren: Sie fällt auf, aber wohl stärker, als es der Fall wäre, wenn ihn das Orchester umspülte.
Frank Bornemann, der im zweiten Teil zur ,Auflockerung‘ mit uneitlem Gefühl und ohne Schmachterei Schuberts herrliches Ges-Dur-Impromptu (D 899/3) spielte, war Weinhappel am Klavier ein sensibel horchender Partner, dessen pedal- und basslastiges Spiel zwar etwas auf Kosten der Deutlichkeit orchestraler Stimmen ging, dem Sänger jedoch zugutekam. Um im Duo die Königsklasse zu erreichen, könnten die beiden versuchen, noch ein bisschen mehr dialogisch zu agieren, was sicher möglich wäre, ohne dass Weinhappels mächtiger Gesang die Oberhand riskierte.
Gregor Schima