WIEN/ Ankerbrot- Expedithalle: GILGAMESCH von René Clemencic (22. – 29.5. 2015)
Foto: Andreas Friess / sirene
Vom 22. – 29. Mai fanden in der Expedithalle der alten Ankerbrotfabrik im 10. Bezirk szenische Aufführungen des Oratoriums „Gilgamesch“ von René Clemencic statt. Die Aufführungen selbst wurden jedes Mal durch einen Vortrag zu unterschiedlichen Themen eingeleitet; bei der Premiere am 22. Mai sprach Prof. Burghart Schmidt über das Gilgamesch Epos, das älteste bekannte Epos der Menschheit, das erst vor rund 100 Jahren wiederentdeckt wurde und trotz beträchtlicher Textlücken heute im wesentlichen rekonstruiert werden kann. Die Themen, die in diesem Epos behandelt werden, haben nichts an Gültigkeit verloren: die Frage, was einen guten Herrscher ausmacht, die Gegensätze zwischen Nomaden und sesshaften Ackerbauern, Feindschaft, die sich in Freundschaft wandeln kann, und das Unfassbare des Todes und die Suche nach Unsterblichkeit, die scheitern muß bzw. nur durch das Weiterleben in den Erzählungen möglich ist. Im Fall von Gilgamesch war dieses Weiterleben in den Erzählungen mehr als 2000 Jahre unterbrochen. Auch die Geschichte der Sintflut und von Noah, der hier Utanapischti heißt, und der Arche findet sich wieder.
Das Stück wird als Oratorium bezeichnet, ist aber sowohl musikalisch als auch textlich sehr dramatisch aufgebaut. René Clemencic schreibt im sehr lesenswerten Programmheft zu der Musik: „So ist in diesem Werk Melodisches weitgehend durch Tonbuchstaben des Textes, Rythmisches durch Zahlensymbolik bestimmt. Auch das Instrumentarium ist zahlensymbolisch geprägt. Es gliedert sich in drei fünfergruppen: fünf Streicher, fünf Bläser, fünf Schlagzeuger.“ Das Ergebnis dieses mathematischen Aufbaus ist eine ungemein farbige und vielfältige Musik, die sehr eindringlich die so unterschiedlichen Themen interpretiert und begleitet. Das Textbuch ist von Kristine Tornquist, die auch Regie führte. Der Text des Epos ist natürlich wesentlich gekürzt (die Aufführung dauert rund 90 Minuten), sprachlich deutlich vereinfacht und konzentriert sich auf einige wesentliche Themen, die auch in dem einführenden Vortrag angesprochen wurden.
Die Aufführung zeigt mit einfachsten Mitteln sehr aufregendes Theater mit projizierten, scherenschnittartigen Schattenspielen und präzise einstudierten szenischen Abläufen, vor allem in den Kampfszenen. Alle Mitwirkenden konnten sowohl stimmlich als auch darstellerisch überzeugen, einige wenige unsichere Intonationen und scharfe Höhen störten kaum. Der Countertenor Nicholas Spanos sang und spielte Gilgamesch, der Tenor Gernot Heinrich seinen Gegenspieler, der zum Freund wird, Enkidu, beide sowohl stimmlich als auch darstellerisch überzeugend. Die vier Sänger der Götter hatten jeweils zwei unterschiedliche Gottheiten darzustellen, das Programm enthält auch Kurzinfomationen zu der sumerischen Götterwelt. Sie wurden von Apostal Milenkov angeführt, der mit seinem schönen Bass und stattlicher Gestalt ein sehr eindrucksvoller oberster Gott Enlil/Anu war. Die Göttin Ischtar, Göttin der Liebe und der Fruchtbarkeit, aber auch des Krieges wurde von Lisa Rombach mit kräftigem, in den Höhen manchmal etwas schrillem Sopran gesungen. Ingrid Habermann sang Aruru/Ninsun mit schöner, warmer Stimme, David Jagodic die Götter Schamasch/Ea. Ea ist der Gott, der Utanapischti vor der Sintflut warnt.
Das „Rote Orchester“ unter der Leitung von François-Pierre Descamps arbeitete die vielfältigen Elemente der Partitur sorgfältig heraus, ebenso muss die ausgezeichnete Koordination zwischen Bühne und Orchester erwähnt werden.
Es war eine sehr interessante und schöne Aufführung. Ich würde mich freuen, dieses neue Oratorium wiederzusehen und zu hören.
Margund Klug