WIEN / Albertina:
GOTTFRIED HELNWEIN. Retrospektive
Vom 25. Mai 2013 bis zum 13. Oktober 2013
Der Weltstar des Tabus
Gottfried Helnwein, geboren am 8. Oktober 1948 in Wien, bekommt zum 65. Geburtstag von der Albertina die bisher größte Retrospektive, die sein ganzes Werk von den Anfängen bis heute umfasst. Es hat sich auf den Schauplätzen seines Lebens – Wien, Deutschland, derzeit abwechselnd in Irland und den USA – vielleicht stilistisch verändert, aber nicht im Inhalt: Es gibt faktisch kein Helnwein-Werk, ob Fotografie, Aquarell, Zeichnung, Öl oder Acryl (alle Formen in der Albertina vertreten), das nicht Schockpotential in sich trägt. Rund 200 teils sehr großformatige Werke, großzügig gehängt in den Kahn Galleries unter dem Dach des Hauses, springen dem Betrachter entgegen.
Von Renate Wagner
Die „Marke“ Gottfried Helnwein Er ist unverkennbar erkennbar: Ein buntes Tuch um die Stirn geschlungen, auch in geschlossenen Räumen mit Sonnenbrille, Gottfried Helnwein ist als Person und als Künstler eine „Marke“, und das schadet ja nichts, wenn es um Medien und Märkte geht. Dass weniger erfolgreiche Kollegen oder Kritiker, die immer das Interesse nach vorne richten, an ihm manches auszusetzen haben, ist er gewohnt und stört ihn nicht. Vor allem nicht, wenn man ihm vorwirft, immer dasselbe zu machen und gar nicht zeitgeistig zu sein (also etwa „realistisch“, wenn die Mode auf abstrakt ausgerichtet ist): Man solle Technik und Stil nicht überbewerten, sagte er bei der Pressekonferenz zu seiner Ausstellung in der Albertina. Der „Foto- und Hyper-Realismus“, den man ihm „vorwirft“, interessiere ihn nicht an sich, er habe sich nur als richtige Form für seine Aussagen erwiesen. Moden, was jeweils „in“ ist, würden in der Kunstwelt beschlossen, und das sei Unsinn. Am wohlsten könne sich ein Künstler in unserer Zeit fühlen, wo alles möglich, alles erlaubt ist und jeder machen kann, was er will. Was Gottfried Helnwein übrigens immer schon getan hat.
Bandagen und Verletzungen Helnweins zentrales Thema ist das Kind, aber man wird auch „Erwachsene“ in seinem Werk aufspüren, schließlich ist er ja nicht zuletzt mit einem Selbstporträt weltberühmt geworden: 1982 errang er damit internationalen Ruhm, weil die deutsche Rock-Gruppe „Scorpions“ es für das Cover ihres Albums „Blackout“ benützte – abgesehen davon, dass es vom ZEIT-Magazin angefangen auf zahllosen Zeitungstitelseiten erschien. Ganz offenbar hat Helnwein, der sich hier mit verbundenem Kopf, verklammerten Augen und schreiend darstellt, damit eine gültige Metapher für den leidenden Menschen unserer Zeit gefunden. Schon die ersten fotografischen Selbstbildnisse des 22jährigen haben die „Bandagen“ als sein charakteristisches Accessoir benützt (wie viele verhüllte Kinderköpfe hat er seither gestaltet), und schon bei seinen frühen Aktionen wurden schmerzhaft Klammern in die Gesichter eingefügt. Damals hat sich Helnwein mit solchen Verletzungen zumal in seiner österreichischen Heimat, die er 1985 in Richtung Deutschland verließ, noch nicht beliebt gemacht.
Zentrales Thema: „Das Kind“ Die Gewalt, das Leid, der Missbrauch – was man Kindern antut, wird Helnwein nicht müde zu gestalten. Klaus Albrecht Schröder ist stolz, dass man Helnweins erstes Bild zeigen kann: blutbespritzte Kinder. Sie haben ihn sein Leben lang begleitet. Es geht ihm um das in vieler Hinsicht geschändete Kind, wobei er oft innere Verletzungen gnadenlos blutig nach außen stülpt – ob er sexuellen Missbrauch zeigt, den er so deutlich anspricht wie den moralischen, wenn er den unschuldig aussehenden Geschöpfen die Maschinengewehre in die Hand drückt und damit auf die Kindersoldaten unserer Welt verweist. Und wenn er in Deutschland vor allem die Welt des Nationalsozialismus aufarbeitet – dann ist seine „Anbetung“ auch ein Stück Missbrauch, das Kind (mit Zügen Hitlers) in den Armen einer deutschen Mutter, umgeben von Männern in Nazi-Uniformen…
Erlebnis USA Vor gut zehn Jahren hat sich Helnwein, der 1997 mit seiner Familie nach Irland ging, ein Atelier in Los Angeles eingerichtet und verbringt einen Teil seiner Zeit hier – eigentlich vor allem, um an Ort und Stelle dem Untergang der amerikanischen Zivilisation zuzusehen, den er dem Untergang des Römischen Reichs gleichsetzt. Er sieht eine Welt, die ihm all die Gräuel, die er in seinen Werken gestaltet, bestätigt – eine Welt, die längst aufgehört hat sich zu wundern, dass immer wieder Kinder zu Waffen greifen und ihre Schulkollegen niedermetzeln… Und doch war für Helnwein ein Stück Amerika im dumpfen Nachkriegs-Österreich wie eine Erlösung: Ein Mickey-Maus-Heft, der Held Donald Duck, eine bunte Welt, tröstliche Figuren, die sich immer wieder durch sein Werk schleichen, ebenso wie jüngst die japanischen Manga-Figuren, nur dass an ihnen nichts Tröstliches ist – auch sie leben in der Gewalt-Welt, die uns umgibt und die Helnwein mit dem nötigen Nachdruck schildert.
Der Blick für das Grauen Dass Helnwein auch Foto-Porträts gemacht hat, von berühmten Männern oder den Zyklus „48 Portraits“ von berühmten Frauen (von Anne Frank bis Marlene Dietrich), ist vielleicht weniger typisch für ihn als die drei Meter hohen Darstellungen von menschlichen Föten: Keiner wittert das Grauen so instinktsicher wie Helnwein, der es perfekt und schockhaft umsetzt. Das Schlimmste, das dieser Ausstellung passieren könnte, wäre wohl, dass eine Welt, die Horror liebt, sich an Helnweins Schrecken weidet, schönen Schauder genießt und sich an Perversem aufgeilt. Man solle ihn nicht fragen, wie er etwas gemacht habe, sondern was er mit einem Bild bezwecken wolle, meinte Gottfried Helnwein. Es geht um die Aussage: Der Schockmaler „will nicht provozieren, sondern die Menschen erreichen und Reaktionen auf das Gezeigte hervorrufen.“
Bis 13. Oktober 2013, täglich von 10 bis 18 Uhr, Mittwoch bis 21 Uhr.
Katalog Verlag Hatje Cantz, 25 €.
Der deutsche Audioguide ist von Helnwein selbst gesprochen