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WIEN / Akademisches Gymnasium – Radio Kulturhaus – Augustinerkirche: „tri/CONCERTO“

Alexander Kaimbacher & Anna Sushon mit Verbindung von Tradition und Moderne

15.03.2019 | Konzert/Liederabende

 


Anna Sushon und Alexander Kaimbacher im „AkGym“ – Schubert und „J Hoven“. Foto: Andrea Masek

WIEN / Akademisches Gymnasium – Radio Kulturhaus – Augustinerkirche: „tri/CONCERTO“

Alexander Kaimbacher & Anna Sushon mit Verbindung von Tradition und Moderne

12./13./14.3. 2019 – Karl Masek

 

Ein Thema, drei Orte, drei Konzerte: Ein kleines, dreitägiges Wiener Liedfestival unternimmt den Versuch, Generationen übergreifend und Völker verbindend eine musikalische Verknüpfung zwischen Tradition und Moderne herzustellen. Ausgehend von der Idee einer„aisthetischenMusikvermittlung und Musikerziehung“. Diese nimmt  die Welt im ursprünglichen Wortsinn mit allen Sinnen wahr. Sie „pendelt zwischen den Stilen, … unterstreicht durch deren Verbindung Neues und Altes, das Traditionelle und Crossover, das Einfache und Provokante. Alles verbindet sich darin zu einem Ganzen in der Musik, das uns ein Leben lang begleitet“, so der Opern- und Konzertsänger Alexander Kaimbacher und die musikalische Studienleiterin und Korrepetitorin Anna Sushon in der Argumentation eines grenzüberschreitenden, ganzheitlichen Kunstbegriffes.

Eine besondere Metapher für die beiden „Künstler mit allen Sinnen“ ist dabei das Doppelgänger-Motiv. Im Vorjahr fand anlässlich des Carinthischen Sommers die bemerkenswerte Österreichische Erstaufführung des Projekts „DOPPELGÄNGER – DVOINIK“ statt. Eine gelungene künstlerische Verbindung zwischen Wien und Novosibirsk, zwischen Franz Schubert und dem St. Petersburger Komponisten Anton Tanonov,*1981, der sich- von Schubert ausgehend – mit dem Doppelgänger-Motiv beschäftigt hat.

Dieses Projekt erfuhr nun eine „aisthetische Erweiterung“. Neben dem Ensemble die Reihe (gegründet von Friedrich Cerha) und dem sibirischen Vokalquintett Pavel Sharomov hat man am 13.3. Kinder und Jugendliche ins „Kreativboot“ geholt. Schülerinnen & Schüler aus der Oberstufe (Akademisches Gymnasium, Wien Innere Stadt) und der Unterstufe der 10-bis 14-Jährigen (Neue Mittelschule Johann Hoffmann-Platz, Wien Meidling) schafften auf ganz unterschiedliche Weise den Spagat von Schuberts „Doppelgänger“-Zeit bis hin zu Pop und Rap, wie er mit seinem markantem SchnellSprechGesang in der Jugendkultur verankert ist.


Sushon/Kaimbacher/Vokalquintett Sharomov/Ensemble „die Reihe“ im Radio Kulturhaus. Foto: Andrea Masek

Vor allem für die Kinder einer „Brennpunktschule“ mit hohem Zuwandereranteil war dieser erste Auftritt im großen Rahmen des ORF Radio Kulturhauses eine ganz neue, aufregende Erfahrung. Mit ihren Texten wie „Double double Doppelgänger“ oder: „Müllers Esel/Er ist Doppelgänger/Wie wir/wie du und ich“ näherten sie sich (natürlich ohne das zu wissen) fast den Gedichten eines Ernst Jandl an, so kam es mir spontan vor.

Ausufernder waren da die coolen Girls & Boys aus dem Akademischen Gymnasium. Eigene Texte mit Kraft und Potenzial! Eigene Musikarrangements! „Flying amour“ (in englischer und französischer Sprache), „Alone“ oder „Mein Herz, es brennt, wenn ich dich seh/Mit ihr zusammen, es tut so weh/Ich dacht, wir wären Doppelgänger/Doch es war nurʼne Nacht und nicht länger“…bringt mit Einsamkeit, Sehnsucht, Angst vor Liebesverlust, dem „Greifen nach den Sternen“, heutige Romantik über die Rampe. Mit heutigen Instrumenten, E-guitar, E-bass und drums. Und man stellte verblüfft fest: Es gibt tatsächlich Verbindungsgassen vor allem zu Heinrich Heine („Ihr Bild“, Die Stadt“,…)!

Große Wertschätzung für die beiden Musiklehrerinnen Theresa Hemedinger und Klinga Schleicher für die engagierte Einstudierungsarbeit sowie für  9 Kinder aus der Vorstadt-„Brennpunktschule“ (mit musisch-kreativem Schwerpunkt und dem Leitspruch des Friedensreich Hundertwasser: „Kreativität ist die beste Antwort gegen Gewalt!“) und die 17 Jugendlichen aus dem „Akademischen Gymnasium“ (mit der repräsentativen Absolventenliste von Physik-Nobelpreisträger Erwin Schrödinger und Fast-Nobelpreisträgerin Lise Meitner – die Kernphysikerin – bis hin zu Schnitzler, Hofmannsthal, Altenberg & Co). Ihr alle habt es wunderbar gemacht!

Dass Alexander Kaimbacher ein Gesamtkünstler mit Leib und Seele ist (und nicht bloß ein Tenor & Stimmbesitzer), bewies er an diesem Crossover-Abend wieder einmal eindrucksvoll. Um Wahrhaftigkeit geht es ihm immer, gerade auch  bei DOPPELGÄNGER-DVOINIK. Um Ausdrucksvielfalt und Farbnuancen viel, viel mehr als um puren Schöngesang.  Einen Weg durch die Zeiten legte er (in deutscher und russischer Sprache; Nachdichtungen: Grigorij Arosev, * 1979Moskau) gemeinsam mit dem hervorragenden Ensemble die Reihe und dem Vokalquintett zurück. Genialisch die Arrangements, Paraphrasen der Schubert-Lieder, z.B. „Das Wandern“, „Fremd bin ich eingezogen“, „Ständchen“, „Der Leiermann“ –  und avantardistischen Anreicherungen in den Kompositionen Tanonovs. Jubel, hellauf.


„Double, double, Doppelgänger“: Schülerinnen & Schüler der NMS Johann Hoffmann-Platz. Foto: Andrea Masek

Das Festival begann tags zuvor im prachtvollen neugotischen  Festsaal des Akademischen Gymnasiums mit einem Liederabend, der zur Gänze Texten von Heinrich Heine gewidmet war. Die Komponisten: Schubert (u.a. „Der Atlas“, „Das Fischermädchen“ und natürlich „Der Doppelgänger“) und dann die Sensationsentdeckung „J Hoven“(eigentlich: Johann Freiherr Vesque von Püttlingen, 1803-1883). Püttlingen, aus französisch-niederländischem Adel, kam in jungen Jahren nach Wien. Das musikalische Multitalent (das noch 1827/28 Schubert kennengelernt hatte) war eigentlich nach Abschluss eines Jusstudiums im Wiener Staatsdienst tätig (eine Art Künstler-Beamten-Leben wie Grillparzer!). Neben dem Brotberuf als Jurist – Spezialgebiet: Autorenrechte)konnte er u.a. an die 400 Liedkompositionen veröffentlichen. Hauptwerk dabei der 1851 erschienene Liederzyklus „Die Heimkehr“ mit einer vollständigen Vertonung der gleichnamigen Gedichtsammlung von Heinrich Heine. Von diesen weit über 80 Liedern sang Kaimbacher (auf Augenhöhe begleitet von Anna Sushon) 20 besondere Highlights.

„Hoven“ wird Heines unverwechselbarer sprachlicher Ironie musikalisch in kongenialer Weise gerecht. „Hoven“ war absolut kein „Kleinmeister“! „Loreley“,  seine „Doppelgänger“-Version, „Die vergifteten Tränen“: Hier streift der Freiherr von Püttlingen an die Stratosphäre von Schuberts Spätwerk; der spöttische Tonfall von Texten wie „Theurer Freund!“ (Theurer Freund! Was soll es nützen/Stets das alte Lied zu leiern?/Willst du ewig brütend sitzen/Auf den alten Liebeseiern?/Ach! Das ist ein ewig Gattern/Aus den Schalen kriechen Küchlein/Und sie piepsen und sie flattern/Und DU sperrst sie in ein Büchlein) bekommt in Hovens Vertonung fast etwas Chansonhaftes, ja Liedermacher-artiges (©, ein Besucher, nachher: „Konstantin Wecker des Biedermeiers!“).

Kaimbacher gelang eine interpretatorische Meisterleistung. Töne von fahlgrau bis strahlend weiß. Textliche Durchdringung im Stile eines Sprachweltmeisters von leise poetisch bis kabarettistisch-parodistisch, wie in der Zugabe vom „Spanischen Gesandten“ wo die Dichterfürsten Goethe und Fouque herrlich (versteckt) verulkt werden. Heine, er war schon ein ziemliches Schlitzohr!


Vokalquintett Sharomov in St. Augustin. Foto: Andrea Masek

Treffliche Abrundung am 14.3. in der Kirche St. Augustin, das Konzert, in dem sich 2 Glaubenssysteme als scheinbare Doppelgänger gegenüberstanden. Es war der Abend von Pavel Sharomov und dem Vokalquintett. Und eine sensitiv zusammengestellte und kontemplative Mischung aus geistlichen Werken von Russisch-orthodox und Römisch-lateinisch. Erstbegegnungen mit russischen Komponisten weit abseits der so genannten gängigen Programme. Repertoirepfade werden in unbekanntes Gelände verlassen. Was für eine großartige Musik! Nur ein paar Beispiele: Dmitri StepanowitschBortnjanski (1751-1825), der innige „Psalm Nr.90“; Sergei BorisovichTolstokulakow (*1955 Omsk); auch von ihm ein Psalm; beide von magisch-feierlichem Sog; dann aus „deutschen Landen“ Karl August Krebs (1804-1880 – auch seinen Namen nie gehört! – mit einem „Vater unser“, das mit seinen hymnischen Aufschwüngen Jahrzehnte später Vorbild gewesen sein könnte für Wilhelm Kienzls „Evangelimann“ und dem „Selig, die Verfolgung leiden um der Gerechtigkeit willen…“; musikalische Schätze von Beethoven, Telemann, Rachmaninow (der hat nicht nur Klaviertasten-Donnerstücke geschrieben!), Anton Bruckner („Locusiste“, ganz zurückgenommen interpretiert – Gänsehauteffekt!). Kaimbacher&Sushon (an der Orgel): Auch bei geistlicher Musik hochkompetent! Schuberts zum Wunschkonzertstück „herabgekommenes“ Ave Maria bekommt in beider Lesart (kraftvoll und eben nicht unerträglich säuselnd wie so oft) neue/alte Qualität zurück!

Meisterhaft wird von diesem herrlichen Vokalensemble (auch deren Namen muss jetzt genannt sein: Pavel Sharomov, Elena Sabarskaya, Vladimir Nesterov, Margarita Ryk, Alina Konstantinova) mit der herrlichen Akustik in St. Augustin gespielt. Stimmen, homogen und von perfektem Zusammenklang –Bravi!

Versuch: gelungen! Der große Erfolg ermutigt zur Fortsetzung von triCONCERTO, 2020. Spannung scheint garantiert, wenn der Arbeitstitel schon feststeht: „REIS(S)EN“ mit jeder Menge an Vorsilben: AB-, VER-, UM-, EIN-, ZER-…

Betont sei, dass auch ein Wiener Intendant und künstlerischer Leiter im Publikum war: Walter Kobèra von der Neuen Oper Wien. Die Wiener Kulturpolitik scheint allerdings von dieser verdienstvollen und bereichernden Initiative noch keine Notiz genommen zu haben. Die neue Wiener Kulturstadträtin,Veronica Kaup-Hasler, sei an dieser Stelle auf das innovative musikalische Projekt (mit kreativer Beteiligung von Kindern & Jugendlichen) besonders hingewiesen!

Karl Masek

 

 

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