Fotos: Barbara Zeininger
WIEN / Akademietheater des Burgtheaters:
RÄUBER.SCHULDENGENITAL von Ewald Palmetshofer
Uraufführung: 20. Dezember 2012
Wir können ohne weiteres davon ausgehen, dass Schillers „Räuber“ mit ihrer Attacke der Jugend gegen die etablierte Gesellschaft 1782 in Mannheim die Zeitgenossen ganz gewaltig verschreckten. Da sind wir härter im Nehmen: Eine vage Schiller-Paraphrase, vom Burgtheater als Auftragswerk bestellt und „räuber.schuldengenital“ benannt, attackiert das Publikum in Wort und Bild rücksichtslos mit allen Widerlichkeiten der Welt – und wurde heftig beklatscht. Autor Ewald Palmetshofer aus Linz hat nicht nur den Sprung vom Schauspielhaus ins Burgtheater geschafft, sondern auch in eine Theaterwelt, in der man umso mehr gehätschelt wird, je brutaler man dem Publikum mit Scheußlichkeiten ins Gesicht springt. Denn dann konfrontiert man die armen, großteils braven Bürger da unten ja mit der „Wahrheit“, nicht wahr?
Palmetshofer hält nicht viel von den Menschen. Zu Beginn geben sich zwei bürgerliche Paare bei Alkoholgenuß oberflächlich-tiefsinnig, und die Exposition ist dazu da klarzumachen, dass wir sie nicht sympathisch finden sollen. Sprich, was ihnen passiert, geschieht ihnen recht.
Was ihnen passiert, ist die in die Welt gesetzte nächste Generation. Die beiden gemeinsam trampenden Söhne des Paares Otto und Linde heißen Karl und Franz (nicht der Gute und der Böse, sondern zwei Böse wie aus einem Tarantino-Film) und sind am Weg, den Eltern ihr Geld abzuverlangen. Deren Nachbarin Edith (sie hat einen schäbigen Liebhaber namens Sepp) sitzt im Rollstuhl und nützt ihre widerspenstig-rotzige Tochter Petra zu Sklavendiensten aus, für die man sonst ausländische Pflegerinnen bezahlt.
Das Zusammentreffen der Generationen kotzt dann den Haß, die Aggressionen und die Verachtung, die man gegeneinander empfindet, im schauriger Sprache und noch schaurigeren Aktionen aus – Let’s kill! Die Zerstörungswut des Autors ist gewaltig, und er hat ein Team gefunden, das seinem Werk noch eines draufsetzt. Beispiel: Das Stück ist (man kann es im Programmheft nachlesen) ohne Regieanweisungen geschrieben. Regisseur Stephan Kimmig führt nicht nur die Ermordung der Alten auf der Bühne lustvoll aus, er hat noch für szenische Sahnehäübchen gesorgt. Wenn etwa Karl über den Leichen der Eltern masturbiert, ihnen also den „Samen zurückgibt“ und diese Handvoll weißer Schmiere den beiden am Boden Liegenden ins Gesicht klackt… Man sieht das in aller Deutlichkeit, denn ein großer Teil der Inszenierung läuft via Riesenbildschirmen parallel zur aktuellen Handlung. Wie man’s heutzutage eben so macht.
Palmetshofer bedient sich einer unrealistischen Lapidarsprache, aber Regisseur Stephan Kimmig wollte es auf überhöhte Weise real – tatsächlich könnten zumal die jungen Darsteller in jedem Tarantino-Film brillieren, so erschreckend-gewaltsam, so abstoßend-grauenvoll, so lustvoll-widerwärtig kommen Sarah Viktoria Frick, Philipp Hauß und Christoph Luser über die Rampe. Nicht, dass man die Alten (Barbara Petritsch, Therese Affolter, Martin Schwab, Michael König) lieber hätte. Nein, jeder Mensch mit normalem Empfinden kann eigentlich nur einen Wunsch hegen – nichts wie raus und weg von hier! (Sadisten, Masochisten, Perverse werden sich natürlich unter ihresgleichen wohlfühlen.)
Aber man ist gefangen im Theater, in zwei pausenlosen Stunden, in einer Trash-Szenerie von Oliver Helf (Kostüme: Johanna Pfau), überschüttet von Video-Nahaufnahmen, mit „poetischen“ Ausritten des gewaltsamen Autors (die Geschichte eines verbrennenden Kindes), mit denen man nichts anzufangen weiß.
Das heißt, das Premierenpublikum zweifellos schon, sonst jubelt man angesichts einer Kotzen erregenden Präsentation wie dieser nicht dermaßen. Ein Publikum, das solche Stücke und Aufführungen goutiert, verdient nichts anderes. Aber wer in diesen Abend geht, soll wissen, was ihm bevorsteht.
Renate Wagner