Alle Fotos: Barbara Zeininger
WIEN / Akademietheater des Burgtheaters:
DIE UNVERHEIRATETE von Ewald Palmetshofer
Uraufführung
Premiere: 14. Dezember 2014
Wer nach „räuber.schuldengenital“, vor ziemlich genau zwei Jahren ebenfalls im Akademietheater, sich noch an eine Art Palmetshofer-Schock erinnert, der findet nun bei „die unverheiratete“, der nächsten Uraufführung des Oberösterreichers, zumindest die Idee eines Stücks vor und nicht nur eine Schlachtplatte. Einmal noch, bevor gar keiner der „Schuldigen“ mehr lebt, möchte Ewald Palmetshofer mit denen abrechnen, die einst Unrecht getan und nie Einsicht und Reue gezeigt haben – eine Haltung, die man in Österreich in Hinblick auf den Nationalsozialismus und seine überzeugten Exponenten gut kennt. (Den völligen Mangel an Einsicht haben ja Damen wie Winifred Wagner und Leni Riefenstahl vorgemacht, von denen man immerhin hoffen will, dass sie niemandes Tod verursacht haben, wie es hier im Stück gezeigt wird…)
Es geht um „die Alte“, die, wenn der Autor das Stück heute spielen lassen will (und das tut er offenbar), schon hoch in den Neunzig sein muss. Einst hat sie – aus Gründen, die nicht wirklich klar gelegt werden – zu Kriegsende einen jungen Soldaten für die mutmaßliche Absicht, er könne desertieren wollen, denunziert und damit noch seine sinnlose Hinrichtung verursacht. Man machte ihr den Prozeß, schickte sie ins Gefängnis. Heute ist sie alt und böse, und wenn ihr der Autor – der es gerne sprachlich und gedanklich kraß hat – nicht „vier Schwestern“, die er „die Hundsmäuligen“ nennt, auf den Pelz rücken ließe, damit sie im Stile antiker Erinnyen die Anklage vertreten und das Unrecht nicht ruhen lassen, dann dächte wohl keiner mehr daran.
Diese vier irrealen Geschöpfe stehen neben den drei realen, der Alten, der „Mittleren“ (ihre Tochter) und „der Jungen“ (ihre Enkelin), und wo Palmetshofer zwischen den drei Frauen eine quasi alltägliche, durchaus nachzuvollziehende „Interaktion“ stattfinden lässt, hat das Stück Momente, die aufhorchen lassen, trotz seiner Gewohnheit, die Sprache zu malträtieren, ohne dass ein Bernhard oder ein Schwab aus ihm würde.
Aber er muss ja noch weiter gehen – wenn die Mutter plötzlich einen Kübel Blut über den Kopf gekippt bekommt (das ist allerdings die Draufgabe vom Regisseur) und sich plötzlich, mit der Hacke in der Hand, als antike Elektra bekennt, die sich von der Mutter abschneiden möchte, ist das ebenso absichtsvoll verbogen wie die ewigen Monologe der Jungen über ihre Sexualpartner, deren Genitalien sie geradezu manisch zu fotografieren scheint… Da stellt sich der Autor, der schließlich ein Thema hätte, selbst ein Bein.
Den Rest besorgt der Regisseur Robert Borgmann, der das Geschehen auf eine vage, von ihm selbst gestaltete Bühne stellt, die ein „Raum“ mit Eingangstür, Tisch und Stehlampe und sehr viel Erde am Boden ist und wo Vorhänge im Hintergrund und der Bühnenvorhang immer völlig uneinsichtig eingesetzt werden, nur damit es „Action“ gibt. Dann muss auch „die Junge“ von Zeit zu Zeit verdreckt und besoffenen herumwanken, da muss es eine lesbische Sexszene am Boden geben, die „Blutdusche“, die Alberei der „vier Schwestern“, wo man doch zum angeschnittenen Problem am besten vordringt, wenn die Darstellerinnen unter der gedrechselten Sprache die Menschen (und alles damit verbundene Entsetzliche) suchen und finden.
Kirsten Dene war angesetzt, verschwand sang- und klanglos aus dem Projekt, jetzt spielt Elisabeth Orth die Alte, bei aller Unliebenswürdigkeit doch nicht der einen oder anderen Pointe abgeneigt. So, wie sie sich stur „nicht erinnern“ will und eigentlich „nichts gewusst“ hat, präsentiert sie die Aussage des Stücks.
Zwischen ihr und der Jungen (sie müsste die titelgebende „unverheiratete“ sein, was man nun nicht so recht versteht, weil die Heldin des Geschehens ist sie eigentlich nicht) steht die „Mittlere“ mit der schwächsten Rolle – vielleicht deshalb der sinnlose Elektra-Monolog als Aufputz für eine Schauspielerin wie Christiane von Poelnitz? Immerhin, als genervte Tochter der Alten und unsichere Mutter der Jungen, der sie nicht auf die Nerven gehen will, an die sie sich aber doch klammert, weil sie nichts anderes hat, gibt es da nachvollziehbare Momente.
Als „die Junge“ muss Stefanie Reinsperger allerlei bieten, nicht nur Ziehharmonika und Oben ohne, sie tut es mit Kraft auch dort, wo der Text (bei all ihren Bettgeschichten) peinlich dünn ist. Wenn sie von der Großmutter die Wahrheit wissen will, die sie nicht erfährt, leidet sie wirklich (und in einigen Stellen lässt sie der Autor auch in die Rolle der jungen Großmutter beim Prozeß schlüpfen).
Die „Hundsmäuligen“ Schwestern, das Erinnyen-Personal, müssen wenigstens nicht scheußlich aussehen, aber mehr albern als unheimlich sind sie schon, ob im 19. Jahrhundert Schulmädchen-Rüschenkleid oder im strengen Schneiderkostüm des 20. Jahrhunderts oder als Krankenschwester-Parodien (Kostüme: Janina Brinkmann): Mit Sylvie Rohrer, Petra Morzé, Sabine Haupt und Alexandra Henkel ist dieser „Chor“ stark besetzt, sprachlich ein bißl präziser könnten sie immer wieder sein. Hätte der Regisseur bei diesen Figuren härter, bedrohlicher zugegriffen, wäre dem Stück mehr gedient gewesen.
Letztlich ist die Mischung aus Sprachspielereien, realem Impakt, irrealem Durchweben des Geschehens ziemlich unausgegoren. Was, wie im Burgtheater immer, das Publikum nicht hinderte, die Premiere zu umjubeln.
Renate Wagner