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WIEN / Akademietheater: DIE MÖWE

01.06.2014 | Theater

moewe_ Alle Foto Reinhard Werner
Alle Fotos: Burgtheater / Reinhard Werner

WIEN / Akademietheater des Burgtheaters:
DIE MÖWE von Anton Tschechow
Premiere: 31. Mai 2014

Die Unglückssaison, in der das Burgtheater am Weg seinen Direktor wegen Unfähigkeit oder Unredlichkeit verloren hat (es gilt die Unschuldsvermutung?), schloss mit einer Neuinszenierung der „Möwe“ von Anton Tschechow, die man in diesem Haus zuletzt vor 14 Jahren gesehen hat: Damals inszenierte Luc Bondy mit Jutta Lampe und Gert Voss, Johanna Wokalek und August Diehl. Die ersten drei sind dem Burgtheater wieder verloren gegangen (Lampe war nie richtig da, sondern nur ein Bondy-Mitbringsel), Diehl ist hier, aber nicht der erhoffte Publikumsliebling geworden – Culturall versucht, auch das ist typisch für die Schieflage des Hauses, den „Prinzen von Homburg“ mit fast geschenkten Karten zu füllen… Tragisch. Wird es der „Möwe“ besser gehen?

Tschechow – der einzige Autor, mit dem Schnitzler verglichen werden wollte. Zwei, die Psychogramme ihrer jeweiligen Gesellschaft boten, aus der Welt der Zaren und Kaiser und dennoch uns ganz „nahe“ Menschen. Die Autoren haben gezeichnet, aquarelliert, wenn auch nie parfumiert. Heutige Regisseure klatschen Farben auf die Leinwand, schütten Kübel aus – das Theater als gewalttätige Anstalt. Jan Bosse hat „Die Möwe“ im Akademietheater inszeniert. Darf’s noch ein bisserl lauter und schriller und greller sein? Noch ein bisserl dicker und deutlicher und vordergründiger? Aber bitte sehr!

Und natürlich machen wir Theater – die Vorstellung „beginnt“ nicht richtig, sie fließt gewissermaßen in den Zuschauerraum hinein. Dieser spielt immer mit, Auftritte, Abtritte, durch die Leut’. Gelegentlich sitzen die Darsteller auch mittendrinnen im Publikum. Und interaktiv mitspielen soll man auch: Kleine Lämpchen werden verteilt, die rot aufglühen. Wenn Nina in der ersten Szene dann in Konstantins Stück vom „Teufel“ redet, dürfen wir das Lämpchen drücken. Es leuchtet rot. Ist das nicht toll? So beteiligt man ein Publikum! Vielleicht schicken wir nächstens die ganzen Kindergarten-Besatzungen hinein, die werden das superaffengeil finden!

Dass die Menschen Anton Tschechows traurig, unglücklich und tragisch in Lebenslügen verstrickt sind, weiß man. Jan Bosse versucht, die von Tschechow selbst postulierte „Komödie“, die man in dem Stück nicht so leicht findet, mit Gewalt hervorzuholen. Dazu müssen die „Verlorenen“, die hier auf Bühne herumirren, schon ganz gewaltig schmierenhaft überdrehen.

moewe_Tribuene Foto Reinhard Werner

Das geschieht in einem Bühnenbild, das man als echte „Sparlösung“ betrachten möchte: Denn Stéphane Laimé begnügt sich, eine Tribüne mit Plastiksesseln oder eine gewaltige Tafel mit Aufsatz und jeder Menge leckerem Essen einfach als riesige Fotos auf die Bühne zu bringen. Eine Superidee, wirklich, auch wenn bei dem immer wieder angesprochenen Geiz der Arkadina mit Sicherheit nicht so aufgetragen würde. Aber Logik? Wir haben’s ja nicht einmal mit Realismus zu tun. Im vierten Akt gibt’s dann ein Video und die symbolische (!) Verdoppelung der Figuren an der Wand (warum eigentlich?). Hässlich sind die Kostüme (Kathrin Plath), und das immer.

Christiane von Poelnitz ist in der Rolle der Arkadina bestenfalls eine sehr schlechte Seriendarstellerin (in einem brüllend geschmacklosen Hosenanzug in Lila): Keine große, eitle Diva mit schweren Problemen, sondern eine – in lächerlichen Übertreibungen noch und noch – als dümmlich und schlechtweg fies ausgestellte Person. Allerdings wurde ihr peinliches, aber von Tschechow so perfekt psychologisch ausziseliertes Gejammere ums Geld weitgehend gestrichen: warum?

Auch ihrem Gefährten Trigorin geht es nicht besser, jene Dichterfigur, der die meisten Interpreten doch etwas von Eleganz und kühler Herzlosigkeit gelassen haben. Michael Maertens spielt ein Jammerlappen-Würstchen, lächerlich und würdelos.

Etwas besser kommt, wie es von Tschechow ja auch wohl beabsichtigt war, die junge Generation weg, wenngleich Aenne Schwarz, neu im Ensemble, als Nina erst im letzten Akt reüssiert, wenn sie die Zerbrochene spielt: Das junge Mädchen des Beginns, das alle bezaubern müsste, findet bei ihr schlechtweg nicht statt, die Dame ist nur hart und schrill. Ganz ohne Charme und Zauber.

moewe_Sie und Er Foto Reinhard Werner

Im Grunde kann man sich nur mit der Verzweiflung des 27jährigen, sehr jung wirkenden Daniel Sträßer in der Rolle des Konstantin identifizieren, wenn sein Aufbegehren gegen die verknöcherte, etablierte Gesellschaft, die der Jugend mit ihrer künstlerischen Routine die Welt verstellt, auch nicht sehr stark ist: Ganz eindeutig hat Regisseur Jan Bosse hier für niemanden Sympathien empfunden…

Von Mavie Hörbiger, die diesmal optisch kaum zu erkennen ist, weiß man, dass sie eine Exzess-Schauspielerin ist – sie beweist es auch lustvoll, indem sie die tragisch in sich verbohrte Mascha unsympathisch nach außen kehrt. Ihren unglückseligen Ehemann (Peter Knaack) versteht man hingegegen, ihren peinlichen Vater (Johann Adam Oest) auch, am Ende sogar ihre penetrante Mutter (Barbara Petritsch).

Überraschend, dass beim allgemeinen Hang zur Übertreibung zwei Schauspieler zu wenig tun: Sowohl den unglückseligen Bruder der Arkadina (Ignaz Kirchner) wie auch den durch und durch zynischen Arzt Dorn (Martin Reinke) hat man schon weit prägnanter gesehen.

Wenn all diese Figuren nur in einem schrillen Totentanz über die Bühne gejagt werden, dann ist zwar die Verzweiflung realisiert, die Tschechow ihnen mitgegeben hat: Aber die vielen, vielen anderen Qualitäten des Autors bleiben gänzlich unerwähnt. So, wie sie war, hätte diese Inszenierung unschwer auf die Straße gehen und bei dem am Premierenabend stattfindenden Life Ball mittanzen können…

Es ist, resümieren wir, keine „schlechte“ Aufführung, wenn auch keine besonders gute. Sie ist nur für Wien und das Burgtheater gänzlich untypisch. Jeder Schauspieler spricht das „Bundesdeutsch“, das man zwischen Hamburg und München, Berlin und Frankfurt auf den Bühnen hört. Wir sollen es mittlerweile gewohnt sein, aber es klingt immer noch fremd im Ohr. Dass Frau Poelnitz, immerhin seit zehn Jahren am Haus und ununterbrochen eingesetzt, uns mittlerweile vertraut ist und Herr Maertens desgleichen, ist eines. Dass sie für den Wiener Geschmack noch immer zu sehr jaulen und maulen, wird jeder „alte“ Burgtheater-Besucher bestätigen. Es ist uns schrecklich viel aufgezwungen worden.

Dass die Zerschlagung eines Ensembles, mit dem man sich identifizieren konnte, schon mit Peymann begann, ist nun auch schon Jahrzehnte her. Immerhin sollte sich Karin Bergmann für die Zukunft überlegen, ein Burgtheater zu schaffen, dessen Inszenierungen nicht so fatal aussehen wie – überall anders in Deutschland auch. Wir haben uns, verdammt nochmal, doch einst eingebildet, etwas Besonderes zu sein. Jetzt sind wir total eingeebnet – irgendwo im großen Regietheaterzirkus der deutschen Bühnen, wo ein jeder probiert, was er mag.

Renate Wagner

 

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