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WIEN / Akademie der bildenden Künste: LUST AM SCHRECKEN

13.12.2014 | Ausstellungen

Akademie Lust am Schrecken Plakat~1
Alle Fotos: Heiner Wesemann

WIEN / Akademie der bildenden Künste / Gemäldegalerie:
LUST AM SCHRECKEN
Ausdrucksformen des Grauens
Vom 12. Dezember 2014 bis zum 15. März 2015

Gemmasifirchtn!

„Gemmasifirchtn“ hieß einst ein Theaterstück eines mittlerweile vergessenen Autors (Georg Orgel), und unter dieses durchaus publikumsfreundliche Motto hat die Akademie der bildenden Künste ihre derzeitige Ausstellung gestellt. Die erste seit langer Zeit. Ein mutiges Unternehmen von Direktorin Martina Fleischer, die ständig unter der Bedrohung steht, mit ihren Sammlungen – Gemäldegalerie und Kupferstichkabinett – irgendwann ausquartiert zu werden, wenn endlich das Geld da wäre, das Gebäude (den imposanten Theophil-Hansen-Bau am Schillerplatz ) zu sanieren. Dennoch ist man nicht erstarrt wie unter dem Blick der Medusa, sondern hat sich zur Aktivität aufgeschwungen, die „Lust am Schrecken“ zu dokumentieren.

Von Heiner Wesemann

Die Schätze der Sammlung Die Geldnot der Museen allerorten hat seit längerer Zeit einen durchaus positiven Nebeneffekt. Weil nicht mehr grenzenlos Summen für Leihgaben und Versicherungsprämien zur Verfügung stehen, besinnen sich Direktoren allerorten auf ihre eigenen Schätze und auf deren mögliche Aufbereitung angesichts von Themenschwerpunkten. Die Akademie hat nun vor allem auf jene Werke zurück gegriffen, die Graf Lamberg-Sprinzenstein 1822 der Wiener Kunstakademie vermachte – rund 800 meist hochwertige Gemälde, die unter der Bedingung stehen, öffentlich für Publikum zugänglich zu sein und nicht als Sammlung „zerrissen“ zu werden (womit die Begehrlichkeit des Kunsthistorischen Museums, sich die Werke – zumal den Bosch – einzuverleiben, bis jetzt immer noch abgewehrt werden konnte). Lambergs Schätze, die bis auf den Bosch-Altar (der natürlich auch kein im tieferen Sinn „kirchliches“ Werk ist) ausschließlich „weltliche“ Themen umfassen, lassen sich unter dem Motto „Lust am Schrecken“ so großzügig zusammen stellen, dass man all die leidenden Märtyrer, die hier natürlich viel beitragen könnten, nicht vermisst…

AkademieIMG_Medusa~1

Lust am Schrecken Es gehört zu den Eigenschaften des Menschen, „Schreckliches“ durchaus zu genießen, wenn man selbst nicht betroffen ist. Schon die antiken Tragiker arbeiteten in ihren Stücken voll unerträglicher Schicksalsschläge mit dieser Erkenntnis. Die Antike war es aber auch, die das Element der „Katharsis“ entwickelte: Dass Menschen zumindest durch passives Mitleiden (wenn nicht durch das Erschrecken selbst) zu – positiven – Erkenntnissen geführt würden. Die Renaissance als Erbin der Antike fühlte sich derselben Ideologie verpflichtet. Die für diese Ausstellung zusammen getragenen Gemälde, Graphiken und Skulpturen, von der Antike bis ins 18. Jahrhundert, zeigen die wandelnde Sichtweise der jeweiligen Epoche. Am Ende, rund um das „Weltgerichts-Triptychon“ von Hieronymus Bosch, das um 1500 entstanden ist, zeigen sich die bis ins Hochbarock reichenden Tendenzen, das Schaurige nicht als Exempel, sondern als – möglicherweise fallweise schwarzhumorigen – Selbstzweck zu gestalten.

Akademie Laokoon~1

Mit der Antike begann es Die „Laokoon“-Gruppe, die römische Kopie eines griechischen Originals, gefunden bei Ausgrabungen von Neros „Domus Aurea“, ist immer ein Paradebeispiel für die Gestaltung von Schmerz gewesen: Laokoon, der zusammen mit seinen Söhnen von Schlangen erwürgt wird, kann in dieser Ausstellung fast aus erster Hand betrachtet werden. Nicht ganz so eindrucksvoll wie das Original im Vatikanischen Museum, aber immer noch großartig genug erweist sich der Gipsabguss von 1907, den man aus Graz geborgt hat. Auch die Rubens’sche „Medusa“, ein Meisterwerk des „Schreckens“ (nichts für Schlangen-Phobiker!), ist eine Leihgabe, nämlich aus dem Kunsthistorischen Museum. Man hat sich erfolgreich bemüht, die eigenen Werke mit signifikanten Stücken noch „aufzubessern“. Die 19. Jahrhundert-Kopie einer Phidias-Büste der Medusa gehört allerdings dem Haus, und die Akademie kann auch einen eigenen Rubens, „Boreas entführt Oreithya“ beisteuern, immerhin ein Gewaltakt, der zum Thema passt.

AkademieIMG_Sterbender Alexander~1

„Laokoon und die Folgen“ Wie groß die Wirkung von Laokoon auf die Nachwelt war, zeigt sich nicht nur an einem Kopf des sterbenden Alexander, den ein unbekannter französischer Künstler noch im 17. Jahrhundert mit der Kopfhaltung und gewissermaßen auch dem Gesichtsausdruck Laokoons gestaltet hat, sondern auch an den Porträtstudien des Leidens, die Charles le Brun im 17. Jahrhundert schuf, ein Mittelding aus künstlerischem Anspruch, aber wohl auch „wissenschaftlichem“ Interesse.

Die großen Leidenden Mythologie und Geschichte besitzen einen ganzen Kanon klassischer „Leidender“, die sich zum „Schreckens“-Thema heranziehen lassen: Tantalos, Sisyphos und Prometheus sind hier die Bekanntesten, auch Tityos, dem im Tartaros Geier die Eingeweide heraus fressen – sie alle zeugen von der blühenden Phantasie des Menschen bezüglich dessen, was man Menschen antun kann: Und die Maler haben es mit prächtigem Schwung in Form und Farbe gebannt. Als historische Beispiele für Selbstmorde gelten Cato (der es besonders grausam tat), gemalt von Anton Marschall, und Seneca, gemalt von Luca Giordano, die auf Gemälden so effektvoll wie bedauernswert ihrem Leben ein Ende setzten.

Akademie Dreimal Judith~1

Starke Frauen morden und töten Zwei Werke der Artemisia Gentileschi zeigen, dass Frauen auch nicht zimperlich waren, Grausames zu gestalten: In „Jael und Sisera“ (Leihgabe aus Budapest) wird eben ein Riesennagel in den Kopf des Mannes gehämmert, in „Judit und Holofernes“ (aus Neapel) steckt dem heftig blutenden Mann ein Dolch im Hals. Judith ist überhaupt eine beliebte „Heldin des Grauens“ – die Ausstellung zeigt sie noch in der Darstellung von Johann Liss, wo der kopflos-blutige Torso des Mannes im Vordergrund liegt (aus Budapest). Cristofano Allori malte sie mit dem Haupt des Holofernes in der Hand (von den Liechtensteins geliehen)… Lucrecia setzt sich bei Cranach selbst den Dolch an die Brust, während Tizian sie und Tarquinius gestaltete, wie er den Dolch zückt – zwei Meisterwerke aus dem Bestand des Hauses.

Naturgewalten walten Im Vergleich zur – schön gestalteten – Brutalität menschlichen Verhaltens wirken Vulkanausbrüche, Sintflut, Gewitter oder Seestürme nur „schön“ in ihrer Dramatik, obwohl sie, wie man weiß, Menschenleben in unvergleichlich höherer Zahl kosten als eine einzelne mordende Dame. Aber möglicherweise haben diese Bilder (wie die „biblischen“ Akte etwa für Kaiser Rudolf II. der Porno-Ersatz waren) die Funktion, die Katastrophenfilme heute erfüllen: Man sieht begeistert auf das, was man in seiner Dramatik und Tödlichkeit bloß nicht erleben möchte…

Akademie Bosch~1

Bosch und die anderen Obwohl Hieronymus Bosch (ca. 1450-1516) noch an der Kippe von Noch-Mittelalter zu Schon-Renaissance lebte, war er seiner Zeit weit voraus. Das vom Grafen Lamberg erworbene „Weltgerichts-Triptychon“ ist zwar von der Form her ein Flügelaltar, in der überbordenden Phantasie des Schreckens, in der glanzvollen Verbiegung und Verballhornung der Welt aber ein Vorläufer von Manierismus und Surrealismus par excellence. (Dieser einzige Bosch, den Wien besitzt – mit Ausnahme von zwei kleinen Skizzen im Kunsthistorischen Museum – , zählt zu den wichtigsten Werken, die die Stadt als Kunststadt aufzuweisen hat.) Zum „Schrecken“-Thema bietet die Ausstellung hier am Ende in der Bosch-Tradition den ganzen Manierismus auf, wo die Totenköpfe nur so kollern (ein Burgfräulein zeigt unter schön geschmücktem Gewand auch einen solchen statt des Gesichts…) und das von Archimboldo her bekannte „Composit“-Prinzip herrscht, das Zusammenfügen von an sich Unvereinbarem (ein „Kopf des Herodes“, der sich aus Menschenleibern zusammen setzt…).

Akademie Maler malt im Kopf

Mit aufgeklapptem Hirn… Man hat in der Akademie Joos van Craesbeecks „Die Versuchung des Heiligen Antonius“ (um 1650, aus Karlsruhe entlehnt) zum Signetwerk für Plakat und Prospekte erkoren, weil es für den Manierismus so typisch und auf originelle Art so „schrecklich“ ist. Der alte Antonius, bedrängt von einer jungen Frau mit willigem Dekolleté, ist an der rechten Seite des Bildes fast nur eine Nebenfigur. Es dominiert ein Kopf mit stechenden Augen, weit aufgerissenem Mund, aus dem die groteskesten Geschöpfe krabbeln, und einer „aufgeklappten“ (!) Stirn, hinter der man u.a. auch den Maler selbst erblickt… Man kann wirklich sagen, dass die Akademie dem Thema „Ausdrucksformen des Grauens“ (so der Untertitel) jede Nuance abgewonnen hat, bis zur Ironie…

Gemäldegalerie der Akademie der bildenden Künste
Lust am Schrecken. Ausdrucksformen des Grauens
Bis 15. März 2015.
Dienstag bis Sonntag: 10 bis 18 Uhr

 

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