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WIEN / Staatsoper: Wiederaufnahme von I VESPRI SICILIANI

Viva Verdi! mit einer nicht so häufig gespielten Oper

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John Osborn (Arrigo) und Rachel Willis-Sörensen (Elena). Alle Fotos: Wiener Staatsoper / Stephan Brueckler

WIEN / Staatsoper: I VESPRI SICILIANI – Wiederaufnahme

42. Aufführung in dieser Inszenierung

13. Jänner 2024

Von Manfred A. Schmid

I vespri siciliani, die eingekürzte italienische Fassung der 1855 in Paris uraufgeführten Grand Opéra Les vepres siciliennes von Giuseppe Verdi, ist ein Meisterwerk und zeigt den Opernkomponisten auf dem Höhepunkt seiner mittleren Schaffensperiode. Sie steht gleichwertig neben den viel häufiger auf den Spielplänen zu findenden Opern La forza del destino und Il Trovatrore, wird aber viel seltener aufgeführt. Das mag vor allem an dem etwas verworrenem Libretto liegen, das zwar mit Eugène Scribe einen großen Namen als einen der Autoren anzuführen hat, aber Verdi schon beim Komponieren immer wieder zur Verzweiflung gebracht haben soll, wie einigen seiner Briefe zu entnehmen ist. Die ursprüngliche Form einer Grand Opéra kann kaum die Schuld daran haben, wenn man bedenkt, dass sich Verdis ebenfalls zunächst französischer Don Carlos ohne Probleme in den erfolgreichen italienischen Don Carlo umarbeiten ließ. Künstlerisch ist die Arbeit von Verdi jedenfalls überaus spannend. Es gelingt ihm grandios, Politisch-Historisches mit den privaten Konflikten der beteiligten Personen zu einem kohärenten Ganzen zu verschmelzen und so die Schwächen des Librettos zu überwinden. Daher ist es auch überaus erfreulich, dass an der Staatsoper diese Oper nun als Wiederaufnahme nach zwölf Jahren wieder zu sehen und zu hören ist, auch wenn die Inszenierung von Herbert Wernicke aus dem Jahr 1998 eher wie eine halbszenische Aufführung daherkommt, weil sich alle fünf Akte nur auf einer riesengroßen Stiege abspielen.

Die Handlung beruht auf einem historischen Ereignis: dem Aufstand der Sizilianer im Jahr 1282 gegen die französische Besatzung. Innerhalb weniger Wochen wurden Tausende Franzosen abgeschlachtet und der Rest der unbeliebten Invasoren von der Insel vertrieben. In der Oper geschieht dieses Massaker an einem einzigen Tag, bei der geplanten Hochzeit von Arrigo mit der sizilianischen Herzogin Elena. Arrigo ist, wie er zu seiner Überraschung erfahren muss, der uneheliche Sohn des französischen Gouverneurs Monforte, was seine Position als glühender Gegner des Tyrannen ziemlich erschüttert, während Elena die Schwester des auf Befehl von Monforte hingerichteten Herzogs Friedrich ist. Diese Zuspitzung führt im Vorfeld der Vermählung zu schweren mentalen wie auch politischen Schwierigkeiten und Missverständnissen führt. Das heikle Beziehungsdreieck Monforte-Arrigo-Elena wird ab dem zweiten Akt durch Procida, dem Anführer der sizilianischen Aufständischen, erweitert. Genial ist das Quartett gegen Ende des dritten Aktes: Monforte will erreichen, dass Arrigo ihn als seinen Vater anerkennt, dann würde er ihm und den anderen Verschwörern alles verzeihen. Arrigo ist innerlich hin- und hergerissen, doch Procida und Elena fordern von ihm, dass er sich weigert, auch wenn das bedeuten würde, dass man sie alle hinrichten würde. Verdi ist da als musikdramatischer Ensemble-Komponist wieder einmal eine Klasse für sich.

Wernicke transponiert das Geschehen vom 13.  in das 19. Jahrhundert und verankert es so im Risorgimento jener Zeit, was sich vor allem an der Kleidung ablesen lässt. Doch auch da geht der Regisseur äußerst spartanisch ans Werk: alle Franzosen sind blau und alle Sizilianer schwarz gekleidet. Die einen links und die anderen auf der rechten Seite der Treppe, die eine Höhe wohl bis zur Galerie erreicht. Ausnahmen sind nur die zunächst in einem weißen Kleid auftretende Elena sowie Montforte in seiner prunkvollen Generalsuniform. Unter diesen Voraussetzungen ist die Personenführung entscheidend, und da erweist sich Wernicke auch als äußerst geschickter Meister. Und so gesehen ist ihm immerhin auch zu attestieren, dass er in seiner Inszenierung nichts hinzufügt, was von der Handlung ablenken würde.

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Igor Golovatenko (Montforte)

Die Besetzung vier Hauptpersonen der Handlung erweist sich den üblichen hohen Anforderungen, die Verdi auch in dieser Oper stellt, gut gewachsen. Der russische Bariton Igor Golovatenko als Motforte verfügt über eine durchschlagskräftige Baritonstimme mit einem metallischen Kern. Sein großer Monolog im ersten Bild des dritten Akts, in dem ihm bewusst wird, dass er Arrigos Vater ist, wie er einem Brief seiner verstorbenen Frau, die er einst gewaltsam entführt und die ihn wegen seiner Grausamkeit verlassen hatte, entnehmen konnte, klingt überzeugend. Der vormals brutale Tyrann macht eine charakterliche Wandlung durch, nimmt menschliche, versöhnliche Züge an und gibt sich seinem Sohn als liebender Vater zu erkennen.

Sein schwankender Sohn, der ihn von den Verschwörungsplänen in Kenntnis setzt, was ihn in den Augen seiner Braut und seiner Verbündeten zu einem Verräter macht, stellt sich am Schluss entschlossen gegen seinen Vater, was dann die blutige und siegreiche Revolte auslöst, der sein Vater als einer der ersten zum Opfer fällt. Der amerikanische Tenor John Osborn, der im Herbst in Donizettis Les Martyrs als Polyeucte im Museumsquartier des Theaters an der Wien mit Spitzentönen bis zu hohen E brillierte, ist auch als Arrigo eine stimmstarke Erscheinung. Er meistert die auch technisch anspruchsvolle Partie mit Bravour. Dass er diesmal keine heldische Sicherheit ausstrahlt, ist seiner Rolle geschuldet und zeigt sein darstellerisches Einfühlungsvermögen. Osborns  Arrigo ist von inneren Zweifeln erschüttert und muss sich erst mühsam, durchkämpfen, bis er sich über seine wahre Bestimmung  im Klaren ist. Das Duett mit seinem Vater, der sich ihm gegenüber als Vater offenbart, geht unter die Haut und steht am Beginn einer Reihe von enormen emotionalen Herausforderungen. Das musikalische Hauptthema, zunächst von Bariton gesungen und dann vom Tenor übernommen, zeigt das Dilemma auf, das auf ihn zukommt. Zunächst fürchtet er, Elena zu verlieren, da er ihr gelobt hatte, Montforte zu töten. Auch seine Haltung zum Vater ist Wandlungen unterworfen, wenn er sich daran erinnert, wie schlecht seine Mutter von Montforte worden war.

Die Rolle der Elena ist der amerikanischen Sopranistin Rachel Willis-Sörensen anvertraut, die an der Staatsoper schon als Mimi in La Bohème und jüngst als Desdemona in Otello zu erleben war. Als Elena kommt ihr ihre jugendlich-dramatische Stimme sehr gelegen. Ihre drei Soli, von denen der Bolero im fünften Akt am berühmtesten ist, gelingen ihr gut. Zur Schönheit ihrer leicht abgedunkelten Sopranstimme kommt eine ausgeprägte Koloraturfähigkeit dazu, die nur einmal, in einem fordernden Glissando nach unten bis in die tiefsten Töne, leicht ins Straucheln kommt. Darstellerisch wird Willis-Sörensen von Mal zu Mal besser, aber da gibt es doch noch Platz nach oben.

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Rachel Willis-Sörensen (Elen) und Erwin Schritt (Procida).

Erwin Schrott liebt es, wie er schon in Carmen gezeigt hat, mit einem lässig aufgesetzten Hut auf der Bühne zu erscheinen. Aber diesmal, in der Rolle des konsequent sein Ziel, die Vernichtung der Feinde, verfolgenden Anführers der Aufständischen, ist die betonte Lässigkeit, wie der die Stufe hinabstolziert, etwas fehl am Platz. Es dauert, bis der Bassbariton mit seinem unverwechselbaren Timbre zum ernstzunehmende Rebell Procida mutiert und seine Liebe und Loyalität zu seiner Heimat glaubwürdig zu erkennen gibt.

In Nebenrollen kommen neben dem jungen, vielversprechenden Opernstudiomitglied Simonas Strazdas als Montfortes engsten Mitarbeiter Béthune auch bewährte Kräften aus dem Ensemble zum Einsatz, darunter Szilvia Vöros als Ninetta, Elenas Zofe, Hans Peter Kammerer als Conte Vaudemont und Norbert Ernst als Daniel. Nicht zu vergessen weiters der helle, frische Tenor Ted Black, ebenfalls aus dem Opernstudio (Tebaldo), sowie das fast in jeder Produktion beschäftigte junge, aber ungemein vielseitig einsetzbare Ensemblemitglied Michael Arivony als Roberto, französischer Soldat.

Eine zentrale Rolle kommt dem durch den Zusatzchor verstärkten Chor der Wiener Staatsoper zu, der dem sizilianischen Volk und den französischen Soldaten Stimme verleiht. Musikalischer Leiter der Aufführung ist Carlo Rizzi, der nach seinem gelungenen Hausdebüt bei der Wiederaufnahme von Puccinis La fanciulla del west nun auch bei der repertoiremäßig zu Unrecht oft vernachlässigten Verdioper mit viel Gespür und Erfahrung als treibende Kraft für leidenschaftliche Italianita sorgt. In Rizzi nur einen erprobten Kapellmeister zu sehen, wäre weit gefehlt. Man hat es vielmehr mit einem exzellenten Maestro zu tun, der für zündende Momente und mitreißende Melodien prädestiniert ist und vom Publikum dankbar gefeiert wird.

Der Applaus übersteigt diesmal die üblichen fünf Minuten bei weitem, und das nach gut dreieinhalb Stunden Dauer, die aber nie langweilig anmutet und damit dem Motto „Viva Verdi!“ voll gerecht wird.

 

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