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WENER STAATSOPER: WAS PLANT BOGDAN ROSCIC FÜR SEINE ERSTE SAISON? EINKAUFSBUMMEL IN DER REGIETHEATER-BOUTIQUE, BETRACHTUNGEN ZUM SPIELPLAN

27.04.2020 | Oper

EINKAUFSBUMMEL IN DER REGIETHEATER-BOUTIQUE

(Heinrich Schramm-Schiessl)

„Staatsoper 4.0“, das war das Schlagwort mit dem der damalige für Kultur zuständige Minister Thomas Drozda im Dezember 2016 den neuen Staatsoperndirektor Bogdan Roscic präsentiert hat. Es ist ihm damit zweifelsohne ein Überraschungscoup gelungen, denn den Chef von Sony-Classical hatte eigentlich niemand auf der Rechnung. Es wäre nicht Wien gewesen, hätte man sich nicht sofort daran erinnert, dass er einen für Opernfans dunklen Punkt in seiner Vita hat, nämlich den des Chefs des Popsenders Ö 3. Lange hüllte er sich in Schweigen. Auch ein Interview, das er Joan Holender für den Privatsender „Servus TV“ gab, brachte wenig Erhellendes. Insbesonders der Begriff „Staatsoper 4.0“ blieb weiter im Dunklen. Erst in Interviews für die Tageszeitungen „Kurier“ und „Presse“ gab er zu, damit selbst nichts anfangen zu können und dies offenbar ein Marketing-Gag Drozdas war.

Lange hielt er sich auch über seine Pläne bedeckt. Einzig drei Persionalentscheidungen gab er bekannt. Die erste, nämlich den Musikchef der Pariser Oper Philippe Jordan zum Musikchef des Hauses am Ring zu ernennen, war weitgehend unumstritten. Anders sieht es mit der Bestellung des Chefdramaturgen und des Ballettchefs aus. Ersterer wurde Sergio Morabito, langjähriger Assistent und Wegbegleiter des Regisseurs und ehemaligen Intendanten der Stuttgarter Oper Jossi Wieler, letzterer Martin Schläpfer, zuletzt Ballettchef der Deutschen Oper am Rhein. Mit Morabito ist nicht nur zu befürchten, dass einerseits das sogenannte Regietheater in seiner exzessiven Form Schwerpunkt der Neuinszenierungen sein wird und andererseits wir es vermehrt mit Inszenierungen von Wieler, die ja alles andere als unumstritten sind zu tun haben werden. Schläpfer hingegen gilt nicht gerade als Freund des klassischen Balletts, das gerade in Wien sehr beliebt ist. Da mich Ballett aber nur am Rande interessiert und meine Kenntnis darüber eher gering ist, werde ich darauf nicht weiter eingehen.

Nun ist es also soweit. Bogdan Roscic hat die Pläne für seine erste Saison präsentiert und zum Teil auch schon einen Ausblick auf spätere Spielzeiten gegeben. Ich möchte mich in diesem Artikel auf die Saison 2020/21 beschränken. Es gibt 10 Premieren, wobei nur zwei davon echte Neuinszenierungen, also speziell für das Haus erarbeitete Inszenierungen, sind (Das verratene Meer, Parsifal). Eine Produktion (L’incoronatione die Poppea) ist eine Koproduktion mit den Salzburger Festspielen, was durchaus Tradition hat. Die restlichen Produktionen sind zwar neue Inszenierungen für die Staatsoper.wurden aber bereits zum Teil mehrfach an anderen Häusern gezeigt. Man könnte das auch einen Einkaufsbummel in der Regietheater-Boutique bezeichnen. Mit einer Ausnahme  – Mozarts „Entführung“ – handelt es sich dabei um Werke, die aktuell im Repertoire stehen.

Das kommt an sich nicht überraschend, denn es war eine der ersten Ankündigungen von Roscic, dass er Regisseure ans Haus bringen wird, die weltweit tätig sind, aber noch nie in Wien gearbeitet haben. Dagegen ist ja grundsätzlich nichts einzuwenden – es handelt sich durchaus um Namen die die Augen der Regie-Affocinados zum Leuchten bringen – aber man könnte sich für ein Haus vom Rang der Wr. Staatsoper erwarten, dass diese Künstler hier Inszenierungen neu erarbeiten und wir nicht bereits an verschiedenen Häusern gespielte Produkte serviert bekommen.

Neben diesen Premieren gibt es auch noch drei Wiederaufnahmen und eine musikalische Neueinstudierung (Rosenkavalier). Besonders erfreulich ist, dass wir unsere alte Ponelle-Inszenierung von „Le nozze di Figaro“ wieder bekommen, die wahrscheinlich beste Inszenierung dieses Werkes die es je gegeben hat. Die beiden anderen Wiederaufnahmen betrifft die Kupfer-Inszenierung von „Elektra“ und den französischen „Don Carlo“ in der Konwitschny-Inszenierung. Zur kritisieren ist allerdings, dass zumindest in der kommenden Saison nur die französische Fassung des Werkes und nicht auch die beim Publikum viel beliebtere italienische gespielt wird.

Interessant ist, dass lediglich 41 Werke am Spielplan stehen, ca. um zehn weniger als bisher. Sehr spärlich das Angebot an Wagner-Opern. Die Neuinszenierung des „Parsifal“ sowie „Die Walküre“ und „Lohengrin“ – kein kompletter „Ring“ und auch nicht – schon länger vermisst – „Holländer“, „Meistersinger“, „Tristan“ und „Tannhäuser“.

Interessant auch, dass es, soweit ich es überblickt habe, erstmals seit der Wiedereröffnung des Hauses keinen „Fidelio“ gibt. Dass die Katastrophe der Urfassung nicht mehr kommt, war ja von Anfang an klar.

Musikchef Philippe Jordan wird fünf Werke dirigieren, ansonsten gibt es einige Wiederkehrer (Bertrand de Billy, Franz Welser-Möst, Cornelius Meister und Adam Fischer), einige Debutanten und zahlreiche schon in den letzten Jahren Tätige.

Bei den Sängern gibt es zahlreiche neue Namen und auch einige, die in den letzten Jahren selten bis gar nicht in Wien aufgetreten sind. Stellvertretend seien hier Tanja Ariane Baumgartner, Michael Spyres, Javier Camarena, Michael Fabiano, Georg Zeppenfeld und Albert Pesendorfer genannt.

Die absoluten derzeitigen Topstars sind größtenteils vertreten, zum Teil in zumindest für Wien neuen Rollen und auch die Fans von Placido Domingo dürfen sich freuen. Ob Günther Groissböck nach der Absage der Bayreuther Festspiele, wo er seinen ersten Wotan singen sollte, allerdings diese Rolle jetzt in Wien singen wird, bleibt abzuwarten.

Von den bisher den Wiener Spielplan bestimmenden Sängern sind viele auch weiter im Engagement, nicht wenige fehlen allerdings.

Die Premierenbesetzungen sind positiv durchschnittlich, wirkliche Knüller gibt es eigentlich nicht. Einen besonderen Stellenwert hat sicher der „Macbeth“ durch Anna Netrebko und am ausgeglichtesten erscheint der „Parsifal“ auch wenn man dem Debut von Elina Garanca als Kundry doch mit Ungewissheit entgegensehen muß.

Wie alle seine Vorgänger wird man Bogdan Roscic an dem zu messen haben, was man tatsächlich auf der Bühne hören und sehen wird. Er ist keinesfalls der Wunderwuzi als den ihn manche – ich nicht – schon gesehen haben aber man muss auch nicht in Verzweiflung verfallen. In jedem Fall ist noch ziemlich viel Luft nach oben.

Ein Anmerkung zum Schluss: Dieser Artikel ist unter der Voraussetzung geschrieben worden, dass das Programm in der vorgelegten Form stattfindet, was allerdings in Hinblick auf die Corona-Krise nicht sicher erscheint.

Heinrich Schramm-Schiessl

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Zum Spielplan der Wiener Staatsoper 2020/21. Betrachtungen von Dr. Klaus Billand


Bogdan Roscic. Copyright: Lalo Jodlbauer

Nun ist sie also bekannt, die erste Saison unter der neuen Staatsopern-Direktion von Bogdan Roščić. Und der erste Eindruck ist zumindest für mich ein rundum positiver. Meine folgenden  Kommentare basieren nur auf dem Saison-Buch 2020/21, da ich ORF III hier auf Teneriffa nicht empfangen kann. Zunächst einmal ist es erfreulich, dass ein Haus wie die Wiener Staatsoper nun mit zehn Premieren aufwartet, statt der mageren fünf bisher, auch wenn dabei einige keine Neuinszenierungen sind. Aber, was soll’s, warum kann man etwas anderswo Gelungenes nicht auch für das Gros des Wiener Publikums als Neues anbieten?! Das ist mir sogar viel lieber als eine Wiener Neuinszenierung, die so daneben geht wie neulich die „Leonore“ oder 2017 der „Parsifal“ von Alvis Hermanis, mit der man unter Wiener Normalbedingungen etwa zehn Jahre leben müsste. (Ich habe mich immer schon gefragt, warum man nicht mal nach Linz geschaut hat, die so viele Neuinszenierungen bringen und damit auch noch Erfolg haben).

Als Freund des Wagnerschen Oeuvres wäre ich damit auch schon bei meiner sicher eingeengten Betrachtung des Spielplans, zu dessen vollständiger Beurteilung andere sicher viel berufener sind. Es ist sehr zu begrüßen, dass der verklemmte, langweilig bis nervige und dennoch wohl sehr teuer gewesene Hermanis-Steinhof-„Parsifal“ nun wieder verschwindet, gegen den sogar der Mielitz-Vorläufer streckenweise eine szenische Offenbarung war – trotz der immer wieder aufscheinenden DDR-Aufarbeitung, die es damals allerdings auch schon fast 15 Jahre nicht mehr gab. Dass eine Produktion in Wien schon nach nur drei Jahren zurück gezogen wird, ist nicht mal in Bayreuth möglich, wo es frühestens nach vier Jahren geht, früher immer erst nach fünf oder sechs.

Erfreulich wäre es m.E. gewesen, statt des „Tristan“ in der folgenden Saison auch gleich den zweiten Steinhof-Wagner, den unsäglichen „Tannhäuser“ des auf verkopften Psycho-Inszenierungen mit regelmäßiger Personenverdoppelung stehenden Claus Guth zu entsorgen. Aber vielleicht hält man sich das ja für später vor. Erfreulich finde ich, dass der eigentlich auch nicht mehr anzusehende 08/15 „Ring“ von Sven-Eric Bechtolf langsam abgebaut zu werden scheint. Oder wie ist die alleinige Aufführung der „Walküre“ zu verstehen?! Bei mir ist natürlich der Vater des Gedankens, dass man begonnen hat, an einer Neuinszenierung des „Ring“ zu arbeiten – es wäre nur zu schön, um wahr zu sein. Denn es ist absolut wünschenswert. Ein Haus wie das am Ring kann bzw. sollte sich kaum eine oder zwei Saisonen ohne Wagners Tetralogie genehmigen, wo doch an vielen B-Häusern zum Teil recht gute zu sehen sind. Im Zuge der von Bogdan Roščić selbst so formulierten „Erneuerung des Wagner-Repertoires“ sollte er sodann auch mittelfristig an den Bierhumpen-„Lohengrin“ von Andreas Homoki gehen, den man auch nur noch aushalten kann, wenn die Ersten ihres Fachs auf der Bühne und am Pult stehen.

Das neue Team hat bei den Opernpremieren bedeutende Vertreter der ersten Liga der Regisseure verpflichtet, wie Neuenfels, Tcherniakov, Wieler/Morabito, Bieito, Stone, Kosky und Serebrennikov, der bekanntlich unter ungewöhnlichen Bedingungen arbeiten muss und dessen „Parsifal“ damit erst recht zu einem interessanten Interpretationsversuch werden könnte. Bei Frank Castorf für „Faust“ kann man sich auf seinen Ausstatter Aleksandar Denic freuen, ohne dessen Bühnenbilder, für die er völlig zurecht auch prämiert wurde, der letzte Bayreuther „Ring“ sich wohl nicht lange hätte halten können. Castellucci und Warlikowski würden sich noch empfehlen, aber das kann ja noch kommen…

Äußerst erfreulich ist, dass Günther Groissböck nun doch schon bald als „Walküre“-Wotan debutieren wird, nachdem es wegen der Covid 19-erzwungenen Absage der Bayreuther Festspiele ja nicht dazu kommen konnte und er damit auch endlich den Wiener „Haus-Wotan“ ablöst. Ob Martina Serafin eine „Walküre“-Brünnhilde sein kann, wäre wohl erst noch abzuwarten. Gespannt kann man natürlich sein auf die Kundry von Elina Garanca, den Amfortas von Ludovic Tézier und erfreulich natürlich der Parsifal von Jonas Kaufmann, der ihn ja schon in München 2018 und, wie ein eifriges Merker-Forums-Mitglied richtigerweise gleich heute früh anmerkte, auch schon in Zürich 2006, New York und Wien 2013, Sydney 2017 (konzertant) gesungen hat. Sein erneuter Wiener Parsifal ist also, de facto, keine Überraschung.

Sehr gespannt bin ich auch schon auf die Prudenskaya als Herodias und Evgeny Nikitin als Jochanaan. Mir fehlt unter den neuen Sängerinnen Elisabet Strid – aber was nicht ist, kann ja noch werden. Hocherfreulich ist jedenfalls, dass – wie eh schon bekannt war – die großartige „Elektra“-Produktion von Harry Kupfer wieder zurückkehrt. Sie hat das Zeug, eine Kult-Produktion ähnlich wie die Wallmann-„Tosca“, die Barlog-„Salome“ oder der Schenk-„Rosenkavalier“ zu werden. Gott allein weiß, warum die weg „musste“…

Was die Wallmann-„Tosca“ angeht, so kann es wohl nicht anders als ein Casting-Glanzstück des neuen Teams gewertet werden, dass es gelang, für drei „Tosca“-Serien gleich die Netrebko, die Yoncheva und die Harteros verpflichtet zu haben, Staatsopern-standesgemäß!

Und last but not least, ja alles andere als ast, die Staatsoper hat wieder einen Musikdirektor! Und zwar einen sehr guten, erfahrenen und dazu noch bescheidenen und sympathischen Künstler, Philippe Jordan. Das eröffnet nach vielen Jahren des Durchhängens auf diesem so wichtigen Gebiet wieder eine ganz neue Dimension. Kurzum, das neue Team verdient schon jetzt einiges Lob, und man sollte ihm mit ersten Beurteilungen weit mehr Zeit geben als die berühmten ersten 100 Tage, wohl eine ganze Saison!

Klaus Billand, 26.4.2020

 
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