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WEINVIERTEL / Schloss Kirchstetten: I PAZZI PER PROGETTO

Oper aus der Nähe - Oper, die einem nahe geht

07.08.2024 | Oper in Österreich
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Mattias Almer (Venanzio), Atoine Amariutei (Frank) und Sevana Salmasi (Cristina). Alle Fotos: KlassikFestival Kirchstetten / Andreas Anker

Weinviertel / Schloss Kirchstetten: I PAZZI PER PROGETTO

4. Aufführung (Premiere 31. Juli 2024

6. August 2024

Von Manfred A. Schmid

Wenn Mörbisch in der Intendanz Harald Serafins, der das Seefestspiel 20 Jahre lang geleitet hat, zum “Mekka der Operette“ geworden ist, dann wäre es höchst an der Zeit, für das von Intendant Stephan Gartner geleitete KlassikFestival Schloss Kirchstetten eine ähnliche Bezeichnung zu finden. Dort, im kleinsten Opernhaus Österreichs, werden nämlich seit 2015 alljährlich Belcanto-Opern aufgeführt, was diesen romantischen Weinviertler Ort längst zu einem Geheimtipp für Opernbegeisterte aus nah und fern gemacht hat. So nahe an Sängerinnen und Sänger heran wie im Maulbertsch-Saal kommt man sonst nirgendwo. Dieser intimen, heimeligen Atmosphäre wegen – das lobende „klein, aber fein“ wäre hier jedenfalls mehr als zutreffend – könnte man es vielleicht mit dem Prädikat „Heimstätte des Belcanto“ versuchen. „Olymp“ geht ja nicht mehr, nachdem heuer der burgenländische Landeshauptmann diesen Titel bereits nach nur drei Produktionen (!) an Alfons Haiders Mörbischer Musicalzirkus vergeben hat …

Der programmatischen Devise des Festivals, Raritäten des Belcanto auf die Bühne zu bringen, wird auch heuer wieder vollauf entsprochen. Mit Gaetano Donizettis selten gespielter musikalischer Farce I pazzi per progetto (Die vorsätzlichen Narren) gelingt Intendant Gartner sogar eine österreichische Erstaufführung. Dazu gehört Mut, aber auch die Überzeugung, dass der einmal eingeschlagene Weg der richtige ist, sowie das Vertrauen, dass die Stammkundschaft der Einladung folgeleisten wird. Auch die 4. Vorstellung findet in einem vollen Haus statt, und das Publikum, rechts- und links des schmalen Laufstegs, der die Bühne abgibt, verfolgt begeistert die turbulenten Wendungen der ziemlich schrägen Geschichte.

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Dora Garciduenas (Norina) und Emilio Marcucci (Colonel Blinval), Foto bei einer Probe aufgenpmmen, denn bei der Vorstellung waren alle Sessel besetzt!

Die Handlung spielt in einem Irrenhaus, dessen Insassen allerdings größtenteils freiwillig da sind, weil sie entweder absichtlich eingecheckt haben oder zu Besuch kommen, um ihre Liebestollheiten zu sortieren und zu klären. Die räumlichen Voraussetzungen erlauben nicht viel Aufwand. Für das Bühnenbild von Petra Fibich-Patzelt genügt ein schwarz-weiß gestreifter Bodenbelag, ein Tisch auf Rollen, ein Rollstuhl, ein Schemel und ein Skelett. Auf dem Tisch steht, wenn der Leiter des Irrenhauses davorsitzt, ein Glas mit einem geschrumpften konservierten Gehirn als ein etwas makabres Anschauungsobjekt, der Tisch dient ansonsten aber eher als Plattform für besondere Auftritte. Auf dem Boden ist hin und wieder ein ebenfalls schwarz-weißes Tigerfell mit Kopf zu sehen, das an den bekannten Vorleger in Dinner for One erinnert und ähnliche Zwecke verfolgt. Auch die originellen Kostüme von Almasa Jerlagic sind in Schwarz-Weiß gehalten. Regisseur Richard Panzenböck legt vor allem Wert darauf, dass die handelnden Personen nach Möglichkeit stets in Bewegung sind, die volle Länge des Bühnenstegs abschreiten und sich abwechselnd dem Publikum auf beiden Seiten zuwenden. Obwohl die ausdrucksstarken Gesten und mimischen Gebärden so Manches erraten lassen, fällt es nicht immer leicht, dem Geschehen zu folgen, besonders dann, wenn gleichzeitig bis zu acht Personen gleichzeitig auf der Bühne stehen. Da wäre eine eingeblendete Übersetzung der wortreichen italienischen Texte sicherlich hilfreich. Ob sich das aber in diesem Opernhaus durchsetzen lässt, ist fraglich, wäre aber gewiss eine Bereicherung. Gut gelungen ist der Regie die Einbeziehung des Publikums, wenn einzelne Gäste zum Mittanzen aufgefordert werden und dieser Einladung auf willig nachkommen. Auch die Zuschauerschaft hat mit jeder Eintrittskarte gewissermaßen aus freien Stücken in diesem lustigen Irrenhaus eingecheckt und nimmt somit am närrischen Treiben teil…

Die Besetzung ist großteils mit bereits erprobten und bewährten Kräften bestückt, auf die man sich von Jahr zu Jahr wieder freut, um sie in neuen Rollen und Konstellationen singend und spielend erleben zu können. Dazu gehört die aus Mexiko stammende Sopranistin Dora Garciduenas als Norina, Nichte des Irrenhausdirektors Darlemont (Szabolcs Hámori, ein profunder Bassbariton), die mit Colonel Blinval (Emilio Marcucci) verheiratet ist, der sie aber mit Cristina, dargestellt von der bühnenpräsenten armenischen Mezzospranistin Sevana Salmasi, betrogen und dieser die Hochzeit versprochen hat, sobald Norina verstorben sei. Diese erfreut sich aber bester Gesundheit und liebt ihren Mann noch immer, auch wenn er oft abwesend ist und sie vernachlässigt hat. Beide, Norina und Blinval, spielen dann einander vor, tatsächlich verrückt geworden zu sein und machen sich gegenseitig Vorwürfe, bis sie sich wieder versöhnen. Norinas Auseinandersetzung mit Blinval, glänzend dargestellt vom imposanten italienischen Bariton Emilio Marcucci, ist der strahlende Höhepunkt des emotional aufgeladenen Opernabends.

Der österreichische Bariton Matthias Almer debütiert in Königstetten als Venanzio, Cristinas Vormund, der sie in Irrenhaus abschiebt, um an ihr Geld zu kommen, letztlich aber zustimmen muss, dass sie die Frau des Irrenhausdirektors Darlemont wird. In weitere Rollen zum Einsatz kommen weiters der Bariton Artem Pasches aus der Ukraine als Eustacchio, ein desertierter Militärtrompeter, der ins Irrenhaus geflüchtet ist, von Colonel Blinval aber begnadigt wird, sowie der französische Bass Antoine Amariutei als Darlemonts Diener Frank. Elias Hladisch ist ein umtriebiges, schelmisches Faktotum ohne Sing- oder Sprechverpflichtung.

Ein ausgelassener Belcanto-Abend, nicht in allen Details des bunten Treibens nachvollziehbar, aber komödiantisch unterhaltsam und gesanglich, wie auch instrumental – die musikalische Leitung obliegt dem Hausdirigenten Hooman Khalatbari am Pult der Virtuosi Brunenses aus Brünn – auf einem, wie gewohnt, erfreulich hohen Niveau.

 

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