Weimar, Kunstfest 2021: Ensemble klangwerk am bauhaus, Gebet des Klanges II – Silenzio und Zwischenfälle
Am 10. und 11. September konnte ich zwei Konzerte hören, die für mich zu den Höhenpunkten des diesjährigen Kunstfestes in Weimar zählen.
Ensemble klagwerk am bauhaus, Foyer, DNT Weimar, Foto: Thomas Müller
Am 10. September widmete sich das Ensemble klangwerk am bauhaus im Foyer des Deutschen Nationaltheaters Weimar anlässlich des 90. Jubiläums von Sofia Gubaidulina ihren Kompositionen und Elementen. Als hingebungsvolle Mystikerin verbindet Sofia Gubaidulina ein jegliches Tönen mit seelischem Empfinden. Ein seelisches Empfinden, welches auf der Suche nach dem Geistigem zu Höherem strebt. Darüber hinaus ist ihre kompositorische Arbeit ebenso von einer Zahlensymbolik geprägt wie die des unerschöpflichen Meisters Bach, dem die Komponistin eine tiefe Verehrung entgegenbringt. Alle drei Elemente – die christliche Symbolik, die schöpferische Intuition sowie die Musik von Johann Sebastian Bach – werden zum Gebet des Klanges vereint und damit zu einem Geburtstagsgeschenk für die Komponistin Sofia Gubaidulina.
Im Programm waren Werke von Johann Sebastian Bach aus dem Musikalischen Opfer, BWV 1079 und Sofia Gubaidulina Klänge des Waldes (1978) für Flöte und Klavier – Silenzio (1991) – Fünf Stücke für Bajan, Violine, Violoncello – Chaconne (1963) für Klavier sowie verbindend Freie Improvisationen des Ensembles.
Der Abend am 11. September wurde für die räumlichen Gegebenheiten des Bauhausmuseums Weimar konzipiert und in ihm aufgeführt. Die ästhetische Revolte und die sozialutopische Zielrichtung der – dem Bauhausgedanken nahestehenden – russischen Avantgarde um 1917 bietet den programmatischen Ansatz, um Bezüge zur unmittelbaren Gegenwart aufzuspüren und sicht- und fühlbar werden zu lassen. Die Musik von Arthur Lourié (1891–1966), und die beiden zentralen Gestalten der russischen Literatur-Avantgarde Welimir Chlkebnikov (1885-1922) und Daniiel Charms (1905-1942), sind das Material, an dem sich verbal und klanglich artikulierte Aktionen entzünden. Sergej Newski (*1972) und Ulrich Kreppein (*1979) haben die Bild- und Sprachwelten der beiden Dichter in das Zentrum ihrer für diesen Anlass neu entstandenen Kompositionen gestellt, die an diesem Abend ihre Uraufführung erleben durften.
Foyer, Deutsches Nationaltheater Weimar, Foto: Thomas Müller
Das Programm Zwischenfälle bestand aus der Musik von Sergej Newski, Incidents (Uraufführung), Ulrich Alexander Kreppein, Formen der Luft (Uraufführung), Arthur Lourié , Formen in der Luft (1915), Domenico Scarlatti Sonate in C K159 sowie wieder mit Freie Improvisationen des Ensembles. Die Musik wurde verbunden mit Sprache und Texten von Daniil Charms und Welimir Chlebnikov.
An beiden Abenden löste sich die Musik und auch die Texte in ein Klangbild auf. Durch die Verortung der Musiker und des Sprechers in unterschiedlichen Positionen des Raumes oder auch außerhalb des Raumes entsteht ein eigenes Klangbild wie eine Skulptur oder ein Freiraum wie bei den Klängen des Waldes. Es entsteht eine Art bewegt schwebender Klangskulptur, die in einem klanglichen Raum fließt und sich ständig neu konfiguriert. Mit dieser Zerbrechlichkeit ergibt sich eine Flüchtigkeit wie die Klänge in der Natur selbst. Die lineare Zeitwahrnehmung löst sich auf und formt sich neu und transzendiert hiermit alles. Für mich erstaunlich ist, dass dieser Prozess in allen Stücken wahrzunehmen ist und nicht abschreckend, sondern harmonisch in einer neuen Komplexität den Zuhörer einnimmt. Einerlei erscheint hier der Ursprung des Klanges, ob spirituell, religiös oder naturalistisch bis urbanistisch verbindend zu einer eigenen Harmonie des Klanges ohne Zeit und Herkunft. So entsteht ein essentielles Klangbild des Ursprungs des Seins, zumindest seiner Frage danach. Täuschung oder Erkenntnis, beides ist möglich, wenn man sich einlässt – auf jeden Fall Klang in seiner reinsten Form. Die Wahrheit der Wahrnehmung liegt im Ohr des Hörenden.
Das Ensemble klangwerk am bauhaus führte die Konzerte mit Elizaveta Birjukova, Flöte; Andreas Schulik, Violine (am 10.09.); Christina Meißner, Violoncello; Claudia Buder, Akkordeon; Christoph Ritter, Klavier und Sergej Birjukov, Sprecher (am 11.09.) auf.
Ensemble klagwerk am bauhaus im Bauhaus Weimar; Foto Thomas Müller
Man kann nur jedes Mal von Neuem dankbar sein, solche Ausnahme-Künstler erleben zu dürfen! Für mich gab es jedoch einen großen Wehmutstropfen, denn leider waren sehr wenige Menschen im Publikum, was diese Abende nicht verdient hatten.
Weimar, den 12. September 2021
Olaf Schnürpel