Online Merker Logo

Die internationale Kulturplattform

WEIMAR: DIE ZAUBERFLÖTE

02.05.2015 | Oper

WEIMAR: DIE ZAUBERFLÖTE am 30.4.2015  (Werner Häußner)

 Wasserprobe. Tamino springt allein auf das Prüfungspodium. Schnee rieselt von oben herab. Der Hofstaat Sarastros hopst nach seinen Anweisungen. Sinnfreier Regie-Mummenschanz? Das sieht so aus. Aber Nina Gühlstorff, die Regisseurin der neuen Weimarer „Zauberflöte“, ist ums Resümee nicht verlegen: Nach erfolgreich bestandener Prüfung nimmt Tamino den Platz des alten Weisen ein – allein. Pamina bleibt im bräutlichen Kranze zurück, wendet sich beim allgemeinen Jubel nach ihrer Mutter um. Und die faucht an der Rampe ins Publikum wie die Schlange, die Tamino bei seiner zweiten Begegnung – in der Feuerprobe – endlich erfolgreich töten konnte. Das Wasser – Symbol des Passiven, Weiblichen, Lebensspendenden, Sinnlichen – ist zu Schneekristallen erstarrt: Das Projekt einer Versöhnung patriarchaler Rationalität und matriarchaler Emotionalität scheitert.

Solche Momente inhaltlich-szenischer Konzentration im kreativ zitierenden Bühnen- und Kostümtreiben Oliver Helfs und Marouschka Levys markieren Qualität in einer Inszenierung, die sich mit einer konsequenten inhaltlichen Ausdeutung schwer tut. Levys Kostüme zitieren barocke Roben bei den drei Damen oder die taubenblaue Unauffälligkeit eines Büroangestellten für Tamino, halten den Glamour des Varietés für die Königin der Nacht bereit – oder ein ironisches T-Shirt („ save the birds“) und fröhlich farbigen Kopfputz für Papageno. Der Auftritt der Schlange erinnert an die fantasievolle Pappmaché-Welt des Hanswurst-Theaters mit künstlicher, rocaillengeschmückter Felsenbühne und dräuend rotem Licht.

Pamina ist ein herziges, dem Mädchenkleid noch nicht entwachsenes Wesen, Monostatos (Jörn Eichler) ein politisch korrekter, doch dem Stück entsprechender Nicht-Schwarzer, der mit seinem halb weißen, halb dunklen Gesichts-Tattoo seine hässliche Prägung sich selbst zuzuschreiben hat. Sarastro zeigt herrscherlich-militärische, priesterliche und akademische Attribute: Eine Figur, deren Konturen im Lauf des Abends nicht geschärft werden und dem auch Daeyoung Kims mal halsig-gedeckter, mal knödelig vibrierender Bass keine Profil gibt.

Auf den ausgeklügelten Text Emanuel Schikaneders will Gühlstorff nicht bauen: Umstellungen, Striche und Modernismen („Wo ist der Kerl, den ich zu dir geschickt habe“) sind mit Geschick platziert, peppen die Vorstadtkomödi auf, provozieren manchen Lacher. Eine Portion Ironie gehört auch dazu: Dass etwa „Bewahret euch vor Weibertücken“ ein erschröcklich frauenfeindliches Pamphlet sein soll, hat sich mittlerweile bis in die tiefste Zauberflöten-Deutungsprovinz herumgesprochen. Zwar lässt sich das auch ganz anders sehen, aber Gühlstorff gibt der Szene witzig aufgeblasenes Gewicht, nutzt das frappierend komische Potenzial von Uwe Schenker-Primus als Sprecher und bezieht sogar den Dirigenten mit ein, der wie einst Paul Abraham im Metropol-Theater sein Orchester mit weißen Handschuhen leitet – mit dem Blick ins Publikum und dem Rücken zu Szene. Wer auch immer die neuen Texte entworfen hat, bewahrte sich wenigstens vor peinlicher Verschlimmbesserung und setzt ein Gespür für zeitgeistigen Humor ein. Mehr Licht auf die innere Konsistenz des Stücks werfen die flapsigen Worte freilich nicht.

Der Tamino Artjom Korotkov führt sich erst einmal mit hektischem Klatschen ein: Mitten in die Ouvertüre platzt er mit Beifall; auf seinen Prüfungsweg schlittert der linkische Tourist eher zufällig: So geht es, wenn man nur mal „kurz hinter einen Vorhang gucken“ will. Das „Bildnis“, das Korotkov dann mit kräftigen, aber festen Tönen und bemühter Phrasierung besingt, ist aus Fleisch und Blut, wird rasch wieder in die Kulissen gezogen, bevor der zum „Prinz“ Ernannte gewahr wird, welches Spiel man mit ihm treibt.

Die Königin hat ihren „Auftritt“ in großer Robe erst im zweiten Teil. Zuerst fordert Susanna Andersson im Bademantel und ohne ihre indianisch anmutende Federkrone mit sicherem Zentrum, hin und wieder zu viel hörbarer Kraft in der Höhe und mit Mühe erreichten Acuti den Jüngling auf, die Tochter zu befreien. Das unangenehme Triolenfeuerwerk ihrer Rache-Arie gelingt ihr dann einwandfrei. Für die Tochter Pamina spielt die „Wahrheit, und sei sie auch Verbrechen“ eine existenzielle Rolle: Ganz alleine im Zentrum der Bühne bekennt sie sich vor Sarastro dazu. Elisabeth Wimmer bringt einen substanzreichen Sopran ins Spiel. Nicht ganz stetig gebildet, nicht ganz konsequent auf dem Atem geführt, gelingen entscheidende Momente dennoch voll Poesie und erfüllter Innerlichkeit: „Ach, ich fühl’s“ entfaltet sich sinnig phrasiert und melancholisch gefärbt.

Mit dem handfesten Papageno Sebastian Campiones begegnet ihr ein Abgesandter der sternflammenden Königin, der sich mit schöner, lockerer Diktion zur prominenten Rolle von „Mann und Weib und Weib und Mann“ bekennt, seine Vogelfänger-Mission mit sicherem Nachdruck zu erklären weiß, auch in der komischen Verzweiflung noch seinen Mann steht. Belohnt wird er mit einem Spießer-Idyll der Neuzeit: Teppich, Couchtisch, Stehlampe, Kühlschrank – und der Pizza, von den drei Knaben – drei sauber singenden Mädchen der „schola cantorum weimar“ – flugs hereingeskatet. Dass er seine Papagena (Steffi Lehmann) statt der blondperückten Transen-Schreckgestalt, als die ihn Sprecher Uwe Schenker-Primus kurzzeitig bedroht, doch noch bekommt, ist Papageno des Glückes genug.

Stefan Solyom entlockt der Staatskapelle Weimar in der Ouvertüre zunächst ein zerfahrenes Adagio, dann weniger luftige als markante Staccati, im Lauf des Abends aber immer agilere, rhetorisch reflektierte und klanglich fundierte Töne, ohne sich auf Dogmen historischer Information einzulassen. Das Bekenntnis zur Tradition der deutschen Romantik ist nicht unvorteilhaft präsent. So klingt eben einer der Wege, den dieses epochemachende Stück durch die Geschichte gegangen ist – und er kann ebenso sinnig und sinnlich sein wie der postmoderne Hauch, den Gühlstorffs spielerische Konkretion für die Bühne gewählt hat. Die Weimarer „Zauberflöte“ hat immerhin den Unterhaltungswert der Theaterwelt Schikaneders ins Heute versetzt und leugnet die Möglichkeit tieferer Erschließung nicht.

Werner Häußner

 

Diese Seite drucken