Weimar, Premiere am Deutschen Nationaltheater am 12.02.2022: CALIGULA von Detlev Glanert
Caligula, die Oper von Detlev Glanert feierte am 12. Februar 2022 eine großartige Premiere am Deutschen Nationaltheater Weimar
– „Die Menschen sterben und sind nicht glücklich“
Szenenfoto Caligula von Candy Welz
Caligula war ein römischer Kaiser. Albert Camus diente dieser Figur als Vorlage für sein 1938 begonnenes Drama, das die Grundlage der gleichnamigen deutschsprachigen Oper von Detlev Glanert ist. Das Libretto schrieb Hans-Ulrich Treichel und erzählt die letzten Tage des Kaisers Caligula, der als wahnsinniger Gewaltherrscher galt. Freiheit und Selbstbestimmung sowie das Problem der eigenen inneren Befreiung sind wichtige Themen des Existentialismus. Sie zeigen sich in der Absurdität, dem Ekel, der Angst, der Sorge, dem Tod und der Langeweile. Camus verengt sein aus vier Akten bestehendes Werk auf den philosophischen Satz: „Die Menschen sterben und sie sind nicht glücklich“ Es beschreibt die große innere Leere in uns, die von Detlev Glanert herausragend düster und effektvoll vertont wurde. Der Komponist war selbst bei der Premiere. Er wird als „selbstbewusster Traditionalist“ bezeichnet. Zu seinen vielfältigen Einflüssen zählen u. a. Komponisten wie Alban Berg und Mahler und er knüpft direkt an die Zeit nach Richard Strauss an. Schon musikalisch ist die Oper mit einer großen Erwartung verbunden, die nicht enttäuscht wird.
Der Vorhang hebt sich und der erste Akt beginnt mit einem lauten Schrei ins schwarze Leere, die alle erfasst. Caligula (Oleksander Pushniak) hat sich nach dem Tod seiner geliebten Schwester der Gesellschaft entzogen. Sein Sklave Helicon (Gerben van der Werf) findet ihn und soll für ihn den Mond vom Himmel holen, um die Ordnung wieder herzustellen. Denn wenn das Unmögliche gelingt, wird alles wieder möglich. Das Bühnenbild von Martina Segna ist spartanisch – existenzialistisch, was mir sehr gefällt und prägt so das düstre Äußere. Es spielt im hier und jetzt. Caligula kehrt in die Gesellschaft zurück und wird von den Patriziern aufgefordert seine Regierungsgeschäfte wieder aufzunehmen. Nun versucht er seine Leere mit dem Erlass von drei brutalen Gesetzen zu füllen. Mit Basecap und Golfschläger (Kostüme Frank Lichtenberg) schlägt Caligula die Gesetze als Golfbälle vom Mund des Helikons ins Publikum und der blutige Mund verkörpert die Brutalität des Erlasses. Hier hätte der Dirk Schmeding dem Publikum mehr zutrauen dürfen. Die Anspielung auf Donald Trump ist Regie mit der Brechstange, aber mindert seine übrige überzeugende und auch feinfüllige Leistung nicht. Nachdem Caligula mit seiner Geliebten Caesonia (Jelena Kordić) allein ist, gibt er ihr seinen Wunsch preis, ein Fest ohne Grenzen zu feiern.
Im 2.Akt überlegen die Patrizier Livia (Ylva Stenberg), Scipio (Johanna Jaworowska), Mucius (Alexander Günther), Mereia (Uwe Schenker-Primus) und Cherea (Avtandil Kaspeli) wie sie den Tyrannen loswerden können, als Caligula plötzlich erscheint. Er durchschaut die Situation sofort und demütigt die anderen indem er schändet und mordet, damit wenigstens einer auf der Welt das Unmögliche schafft und die quälende Leere mit seiner eigenen Bedeutung füllt. Nur in der Verachtung findet Caligula seine Ruhe und Freude im Leben.
Seine Göttlichkeit lässt Caligula in 3. Akt von Caesonia und Helicon mit seiner Hochzeit als Venus mit dem Mond ankündigen. Alle Menschen sollen Opfergaben beibringen, jedoch hat Helicon seinen Auftrag den Mond zu holen nicht erfüllt, stattdessen berichtet er Caligula von einem Anschlag. Als Beweis hat er eine Nachricht von Cherea abgefangen. Widererwartend lässt Caligula Cherea nicht hinrichten und zeigt so seine Macht und es beginnt die rituelle Anbetung der Mondgöttin.
Im 4. Akt ist Caligula verzweifelt, weil Helicon ihn den Mond nicht bringt. Das Unmögliche soll sich wohl nicht erfüllen und so lenkt sich Caligula mit einem Dichterwettbewerb ab, indem er selber die Jury ist. Wer langweilt wird hingerichtet, nur Scipio überlebt. Die Patrizier wollen der Macht von Caligula ein Ende bereiten und da kommt Caesonia mit der Nachricht vom Tod Caligula. Doch die Erleichterung hält nicht lange an, den Caligula inszenierte es nur selbst, um die Menschen mit Hoffnung zu demütigen. In einem zärtlichen Moment bringt Caligula Caesonia um. Helicom kann dann gerade noch Caligula warnen, bevor er selbst erstochen wird. Während die Patrizier auf Caligula einstechen, ruft er: „Ich lebe noch“.
Oleksander Pushniak und Gerben van der Werf, Foto Candy Welz
Mit diesem Schrei endet auch die Oper, die musikalisch von der Staatskapelle unter der Leitung des 1. Kapellmeisters Andreas Wolf gut umgesetzt wurde. Allerdings hätte ich mir eine größere Balance zwischen der Staatskapelle und dem Opernchor gewünscht, der zu Weilen etwas leise unter der düsteren Musik wirkte. Oleksander Pushniak setzte mit der Titelrolle Caligula großartige sängerische Maßstäbe. Ihm gelang ein fulminantes Rollenporträt. Bravo! Auch der Countertenor Gerben van der Werf zeigte eine herausragende Leistung. Avtandil Kaspeli ist sehr überzeugend mit seinem vollen Bass und Uwe Schenker-Primus ist auch in kleineren Roller immer sehenswert. Deutlich schwächer waren leider Jelena Kordić und Johanna Jaworowska. Daniel Nicholson sang die Rolle von Lepidus. Die Sänger*innen des Opernchores unter der Leitung von Jens Petereit waren mit großer Spielfreude dabei und überzeugten mit ihrem a capella.
Insgesamt ist es eine großartige und sehr sehenswerte Oper, die nicht nur den anwesenden Komponisten Detlev Glanert erfreute. Das Publikum dankte es mit starkem Applaus. Auch eine moderne Oper kann so überzeugend und musikalisch überwältigend sein.
Weimar, den 13. Februar 2022
Olaf Schnürpel