Weimar/ 6. Sinfoniekonzert der Staatskapelle Weimar/ 03.02.2020
Kraftvoll und sensibel zugleich
Eröffnet wurde das 6. Sinfoniekonzert mit der Uraufführung des Orchesterwerks „Aber dann. Aber dann.“ von Thomas Nathan Krüger, Gewinner des Thüringer Kompositionspreises 2018/2019 der Thüringer Staatskanzlei und des Landesmusikrats Thüringen. Danach ging es weiter mit:
John Williams Konzert für Tuba und Orchester
Erich Wolfgang Korngold Sinfonie in Fis op. 40
Thomas Nathan Krüger. Foto: Michael Caspari
Manchmal kann eine zeitweilige Schreib-Hemmung sich als ganz nützlich erweisen, denn als ich das 6. Sinfoniekonzert am Montag, den 03.02.20 besuchte, war an das, was am darauf folgenden Mittwoch, 05.02. im Thüringer Landtag passierte, noch nicht zu denken. Rückblickend wirkt das Motto des Orchesterwerks von Thomas Nathan Krüger, dem Gewinner des Thüringer Kompositionspreises 2018/2019 geradezu prophetisch: „Aber dann. Aber dann.“ Da ein Kunstwerk immer viele Analogien ermöglicht, kann jeder selbst seine Konklusionen entwickeln. Krüger selbst sagte, der Titel hätte etwas „Zeigefingerhaftes“.
Der Komponist hatte den Impuls für dieses Orchesterstück durch die Reaktionen auf einen afrikanisch stämmigen Fußballer erhalten, der von Stadionbesuchern permanent mit Affenrufen provoziert worden war, bis er mit „Hitlergruß“ quittierte und dafür noch verprügelt wurde.
Als weiterer wichtiger Anstoß für den Komponisten wirkte Beethovens Oper „Fidelio“
Dabei ist Krüger nicht unbedingt ein vorbehaltloser Beethoven-Fan, vielmehr hat ihn die Figur des Fidelio in dem Moment interessiert, wo „er zunächst als braver Junge auftretend später die Pistole zieht“. Diese Beschreibung des Komponisten Huber war für ihn der entscheidende Gedankenanstoß. Das Orchesterwerk ist überschrieben: „Aber dann. Aber dann.“ Dieser Titel steht einerseits für Wiederholungen und andererseits für rhythmische Ableitungen der drei Silben nach dem Prinzip: kurz-kurz-lang. Bei den Wiederholungen offenbart sich eine offene Drohgebärde, nämlich die des erhobenen Zeigefingers. „Gängige Begriffe provozieren ungewohnte Erwartungshaltungen“, meint der Komponist. Dagegen arbeitet der Komponist mit ungewöhnlichen Klangwelten. Da gibt es rhythmische peitschende Klänge und da werden Lautsprecher-Einspielungen zum Bestandteil des Orchesterwerkes. Den Höhenpunkt bildet der Widerstreit zwischen Orchester und den Lautsprechern, der sich durch den gesungenen Satz auflöst: „You got to react“ („Ihr müsst reagieren“). Gesungen wurde dieser Satz von Peter Frank. Die Publikumsreaktion auf dieses diskutable Werk war lang anhaltender Beifall, den der anwesende Komponist Thomas Nathan Krüger persönlich entgegennahm.
Stefan Lano. Foto: Candy Welz
Dirigent Stefan Lano hatte mit der Weimarer Staatskapelle für eine spannende und wirkungsvolle Interpretation gesorgt. Das freute den Komponisten umso mehr, nachdem er sein Kompositionsstudium in Weimar absolviert hatte. Dass Lano ein meisterhaftes Händchen für moderne Musik hat, das hat er schon vielfach bewiesen. Es gelingt ihm die musikalischen Strukturen mit Präzision herauszuarbeiten und eine luzide Genauigkeit zu erzielen.
Dies gelang ihm auch mit dem zweiten Stück des Abends: John Williams Konzert für Tuba und Orchester.
Williams ist inzwischen als Filmkomponist jedermann bekannt, der schon einen Vorspann gelesen hat. Um nur einige Beispiele zu nennen: „Der weiße Hai, Indiana Jones, E.T. – Der Außerirdische, Schindlers Liste, Jurassic Park, Der Soldat James Ryan und Star Wars. Während seiner Zeit beim Boston Pops Orchestra komponierte Williams sein Tuba-Konzert als Reaktion auf einen Auftrag zum 100-jährigen Bestehen des Orchesters im Jahr 1985. Das Werk wurde dem Solotubisten des Orchesters, Chester Schmitz, gewidmet und im Mai dieses Jahres uraufgeführt.
Es sind drei Sätze ohne Pause. Der erste Satz, ein fröhliches klassisches Sonaten-Allegro, präsentiert zwei kontrastierende Themen und schließt mit einer Kadenz, in der sich die Tuba mit ihren Trillern und Erkundungen aller Register des Instruments als wahrer Akrobat zeigt.
Der zweite Satz, Andante, nutzt die lyrischen Fähigkeiten des Instruments und schließt mit einer so tiefen Note, dass man die Vibrationen fast spüren kann.
Der dritte Satz, in Rondo-Form, wird von einer Bläserfanfare eingeleitet, die in der gesamten Bewegung präsent ist.Eine Episode mit einem jazzigen Charakter erinnert daran, dass der Komponist der Sohn eines Jazz-Schlagzeugers ist.
Williams hat über sein Konzert geschrieben: „Ich weiß wirklich nicht, warum ich es geschrieben habe – nur Drang und Instinkt. Ich habe die Tuba immer gemocht und sie sogar ein bisschen gespielt. Ich habe ein großes Tuba-Solo für einen Dick Van Dyke-Film namens Fitzwilly geschrieben und seitdem komponiere ich dafür – es ist ein so agiles Instrument wie ein riesiges Kornett. Ich habe auch Passagen für einige meiner Haustiere im Orchester eingefügt – Soli für Flöte und Englischhorn, für das Hornquartett und ein Trio von Trompeten. Es ist leicht und melodisch und ich hoffe, dass es genug Events gibt, damit es Spaß macht.“
Solist Maximilian Wagner-Shibata machte mit seiner Tuba den Konzertabend zu einem Event. Mit seiner Virtuosität und seinem perfekten Zusammenspiel zwischen ihm und dem Orchester wurde dieses Stück zu einem weiteren Höhepunkt des Abends. Stefan Lano konnte der Weimarer Staatskapelle die nötige Leichtigkeit vermitteln. So wurde aus diesem Stück ein großer Spaß für das Publikum. Bevor es in die Pause ging, legte Maximilian Wagner-Shibata noch ein Solo hin, mit dem er alle Facetten seiner Tuba auslotete. Noch einmal gab es einen Begeisterungssturm des Publikums.
Nach der Pause ging es weiter mit: Erich Wolfgang Korngolds Sinfonie in Fis op. 40.
Korngold schuf großartige Kammermusik, Lieder, Orchesterwerke und feierte vor allem mit der Oper: Die tote Stadt, Erfolge. Die Sinfonie in Fis-Dur ist Korngolds einzige Sinfonie und vielleicht sein modernstes Werk gewesen. Auch wenn er sich in diesem Werk nicht als spätromantischer Komponist und seine Zeit in Hollywood verleugnen konnte, wagte er damit ein Wechselbad der Gefühle. Er riskierte kühne Dissonanzen und rhythmische Zerrissenheit und komponierte damit in seiner letzten Schaffensphase ein großartiges Werk von seltener emotionaler Kraft. Korngold entwickelte ab 1947 Pläne zur Komposition einer Sinfonie. Konkrete Teile entstanden ab 1949 auf seiner ersten, insgesamt enttäuschend verlaufenen Europareise nach dem Zweiten Weltkrieg. Das Werk widmete er dem Andenken an den 1945 verstorbenen US-Präsidenten Roosevelt.
Die Tonart Fis wird selten für sinfonische Werke verwendet, aber Korngold war angeregt von Gustav Mahler. Die Tonart pendelt zwischen Dur und Moll und wird erst am Ende zum triumphalen Fis-Dur überführt. Die Sinfonie besteht aus vier Sätzen.
Im ersten Satz arbeitet Dirigent Stefan Lano besonders die synkopischen Schläge des Orchesters heraus und leitet über zum komplexen Hauptthema der Klarinette. Dann folgt die Spezialität Lanos: die dissonanten Verläufe. Auch das auf Quarten und Quinten basierende lyrische Nebenthema arbeitet er mit dem Orchester brillant heraus. Und ganz spannend lässt Lano die optimistisch wirkenden Passagen leise verklingen. Für das Publikum entsteht damit eine meditative Spannungssituation. Im zweiten Satz entwickelt sich ein tarantellahafter und brillant instrumentierter A-Teil, der umrahmt wird von einem zweimal wiederkehrenden Thema. Lano besitzt die Feinnervigkeit und den nötigen Esprit, um die Ohren der Zuhörer ganz gefangen zu nehmen. Der dritte Satz ist der langsamste und zugleich längste Satz der Sinfonie und trägt den Charakter eines Trauermarschs, außerdem erinnert er an Brucknernersche Sinfonie-Sätze. Korngold verwendet hier in abgewandelter Form Elemente aus früheren Filmmusiken: Das Hauptthema beruht auf einem Motiv aus „Günstling einer Königin“, das zweite Thema auf dem Haupttitel von „Unter Piratenflagge“ und die Durchführung greift auf das Leitmotiv des Filmes: „Ein rastloses Leben“ zurück.
Im vierten Satz wird die Form eines Rondos kaleidoskopartig angewandt und es wird auf Themen der vorangehenden Sätze zurück gegriffen. Mit inzwischen optimistischer Grundhaltung wird am Ende die Coda des 1. Satzes wiederaufgenommen und zu einem triumphal wirkenden Schluss geführt.
Dirigent Stefan Lano hat jedem Zeitpunkt die Linien des Werkes im Blick. Ausdauernd wie ein japanischer Zen-Meister und zugleich feinfühlig, aber auch von einer starken inneren Kraft geleitet, führt er sein Orchester durch die Pfade dieses Meisterwerkes von Korngold. Und Lano fand dabei den Königsweg, dieses Werk für das Weimarer Publikum hörbar zu machen. Der brandende Applaus des Publikums wiederspiegelte die Hör-Empathie mit der die Zuhörer seine Interpretation wahrnahmen. Bravo!
Thomas Janda