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Warum rechnet sich Oper so schlecht? Traurige Gedanken nach einer großartigen „Dalibor“-Vorstellung im Staatstheater Augsburg (09.02.2019)

13.02.2019 | Themen Kultur

Warum rechnet sich „die Oper“ so schlecht?

Traurige Gedanken nach einer großartigen „Dalibor“-Vorstellung im Staatstheater Augsburg (09.02.2019)

Natürlich wissen wir alle, dass „die Oper“ eine teure Angelegenheit ist und dass sie – ohne Subventionen (egal, ob vom Staat oder von mannigfachen „Sponsoren“) – eine noch teuerere Angelegenheit wäre. Und wir wissen auch, dass sie „eine (finanzielle) Kategorie kleiner“ nicht das ist, was wir erwarten. Also kann man daran wohl nichts ändern…

Wirklich nicht?

Ein großes Orchester und ein leistungsfähiger Chor, manchmal auch noch ein kompetentes Ballett-Ensemble haben ihren Preis. Sängerinnen und Sänger im Solo-Bereich kosten viel Geld. Eine Ausstattung eines Opernabends ist aufwändig, sowohl materiell, personell und erst recht finanziell. Alles bekannt. „Früher“, als ja bekanntlich alles besser gewesen sein soll, rechnete sich „die Oper“ auch schon nicht – oft aber wirklich besser, denn das alte System war flexibler als das jetzt übliche. Man konnte den täglichen Spielplan unkomplizierter beeinflussen und Rentabilität zumindest fördern. Am heutigen System missfällt mir schon lange, dass es sich verselbständigt hat. Nicht nur Termine liegen unumstößlich fest, sondern auch Besetzungen – ergo: im Falle eines Falles (den es ja nun immer und in jedem System gibt) hat man Probleme, oft große Probleme. Dabei geht es mir jetzt nicht um die Frage, ob ein Tenor erkrankt und – aus welchen Gründen immer – nicht kurzfristig ersetzt werden kann – das gab es früher auch und hat mit dem System nichts zu tun.

Mir geht es um „die Oper“, um die Werke also, die zunächst einmal vorliegen und nicht nach einem bestimmten „System“ verlangen. Wenn ein Werk stark und gut ist, gibt es mit ihm höchstens Besetzungsprobleme, keine aber bezüglich des „Verkaufs“, soll heißen: „Tosca“ kann man immer spielen (so man sie besetzen kann), das Publikum wird ebenso die Kasse stürmen wie bei „Carmen“ oder der „Zauberflöte“ – die  jährlich erscheinende Statistik des Deutschen Bühnenvereins beweist es. Nun gibt es natürlich auch Werke, die an der Kasse „nicht von allein“ laufen – auch das ist bekannt. Es spricht für die „Opernmacher“, dass sie nicht nur „Tosca“, „Carmen“ oder „Die Zauberflöte“ spielen, sondern sich zumindest bemühen, Werke zur Diskussion zu stellen, die „keine Renner“, doch aber wertvoll sind. Die vielfältigen Bemühungen nahezu aller staatlichen Bühnen ist anerkennenswert, oft sogar von Erfolg gekrönt.

Dann aber „greift“ das „System“: „früher“ konnte man mit Hilfe eines Repertoires steuern, man war nicht gezwungen, ein Werk in einer bestimmten Frist abzuspielen, jedenfalls konnte man reagieren, falls ein neues Werk (oder eine interessante „Wiederbelebung“!) nicht oder (wider Erwarten!) vom Publikum „angenommen“ wurde und Nachfrage herrschte. Man musste sich nur von Werken trennen, die absolut nicht „ankamen“ – sie konnten im Repertoire-Betrieb schnell wieder verschwinden, ohne dass dem Theater ein nennenswerter Schaden entstanden wäre. Heute steht von vornherein fest, dass das Werk nur in einem bestimmten Zeitraum eine bestimmte Anzahl von Vorstellungen bekommt – und die müssen dann stattfinden, passiere, was da wolle. Dieses „System“, bei allen künstlerischen Vorteilen, die es selbstverständlich hat, behindert die Entwicklung eines Werkes in jeder Beziehung! Ist es ein Misserfolg, bleibt man gezwungen, ihn …–mal zu widerholen; wird es ein Erfolg, den man ja jedem Werk in jedem Theater wünscht, ist seine Wirkung begrenzt, weil ja – leider! – nur sechs oder acht Aufführungen vorgesehen sind. Von Amortisierung der Herstellungskosten wird nicht nur nicht gesprochen, sie werden nicht einmal angedacht. „Und das ärgert unsere Alten“ – möchte ich mit Wagners „Meistersingern“ sagen!

Ich finde nicht alles Neue schlecht und bin auch nicht der Meinung, dass früher alles besser war – weiß Gott nicht! Aber: wenn das Staatstheater Augsburg, schon seit Jahren für einen mutigen Opernspielplan bekannt, einmal einen „Flop“ landet (wie vergangene Spielzeit bei „Prima Donna“) muss es sein Ensemble, besonders aber das Publikum dazu verurteilen, mit diesem Flop 10 Abende lang zu leben. Wenn das gleiche Institut dann aber – offensichtlich zur Überraschung aller, auch der Verantwortlichen – mit einer „Wiederentdeckung“ beim Publikum und zumindest Teilen der Presse „gut ankommt“, wie jetzt mit Smetanas sehr zu Unrecht vernachlässigter Oper „Dalibor“, dann kann es darauf keine Rücksicht nehmen, das Werk wird nach acht (!) Vorstellungen (von den geplanten neun Vorstellungen musste eine wegen plötzlicher Erkrankung „ersatzlos“ ausfallen!) abgesetzt, obwohl die Publikumsnachfrage groß ist und man sowohl für die vorletzte Vorstellung (am vergangenen Samstag) als auch für die letzte Vorstellung am 15. Februar 2019 keine Karte mehr bekam. (Übrigens: Ähnliches geschah am gleichen Ort vor einigen Jahren mit dem „Lohengrin“ und davor, unter etwas dubioseren Umständen,  mit „Tristan und Isolde“!)

Und das nenne ich vorsätzliche Verschwendung. Eine so große Oper vorzubereiten, einzustu-dieren, zu inszenieren und die technischen Voraussetzungen für die Aufführung zu schaffen, erfordert nicht nur viel Fleiß und Engagement, sondern eben auch viel Geld. Und wenn das Werk dann wieder Geld einspielen könnte, wird es abgesetzt. Das muss falsch sein, nicht nur ökonomisch, sondern auch künstlerisch!

Und so kann ich nur dem hervorragenden Augsburger Ensemble bescheinigen, dass alle an der Beschäftigung mit dem Werk „gewachsen“ sind, dass die Aufführung am 09.02.2019 eine großartige war und dazu – im ausverkauften Haus stattfand. Gern würde ich empfehlen, die Aufführung am 15.02.2019 zu besuchen – es ist zwecklos, auch sie ist bereits ausverkauft. Und dann ist eben Schluss, weil irgendwelche Verträge enden oder andere fadenscheinige Begründungen das rechtfertigen mögen. Verschwendung ist so etwas – man muss es einfach mal beim Namen nennen!

Meinen Premierenbericht im MERKER (online am 16.10.2018 und – erweitert und ergänzt –  im Heft Nr. 11/2018) schloss ich seinerzeit mit dem Satz: Ob nun die Zeit für Dalibor anbricht, wie Smetana einst meinte? Zu wünschen wär es.

Die (vorletzte) Vorstellung am 9. 2. 2018 jedenfalls war in ihrer Dichte und Konzentration der Beweis dafür, dass das Werk erschüttern und bewegen kann. Die hervorragenden  Solisten, allen voran Sally du Randt als leidenschaftliche Milada mit intensivem stimmlichen Ausdruck, Scott McAllister als stimmgewaltiger Dalibor und  Alejandro Marco-Buhrmester als nobler König mit Würde in Stimme und Spiel, die gut und sicher besetzten mittleren und kleinen Rollen (neu übrigens der Kerkermeister Benesch des Patrick Simper, der dieser schwierigen Figur ein durchaus überzeugendes Profil verlieh), Wiard Witholt als Budiwoj, Roman Poboinyi als Wietek und Jihun Cecilia Lee als Jitka, der sehr gute Augsburger Opernchor und das hervorragende Orchester, die Augsburger Philharmoniker, diesmal dirigiert von Ivan Demidov, wuchsen über sich selbst hinaus. Ergriffenheit im vollbesetzten Saal, lang anhaltender, herzlicher Applaus schon in der Pause, stärker dann noch am Ende der Vorstellung – und solch eine Aufführung verschwindet vom Spielplan? Nach acht (!) Abenden!  Unglaublich. Es gehört zum Metier Oper dazu, dass nicht nur die Künstler, sondern auch das Publikum sich ein Werk aneignen. Manchmal dauert das eine gewisse Zeit. Aber diese Zeit muss man allen eben gönnen, auch „Tosca“ war nicht sofort ein Welterfolg.

Die „teure Oper“ hat ein treues Publikum. Es schaut sich – was in anderen theatralischen Disziplinen nicht unbedingt die Regel ist – ein Werk mehrmals an, es hört sich hinein, es wächst mit ihm. Ebenso ergeht es den Künstlern – sie verabschieden sich nun von einer fruchtbaren und erfolgreichen Arbeit, ohne in Wahrheit Nutzen daraus ziehen zu können. Das ist Verschwendung von Geld und Ressourcen, ich bleibe dabei. Jedenfalls in Augsburg konnte unter diesen Umständen die Zeit für „Dalibor“ nicht anbrechen, vielleicht gelingt es ihm in Frankfurt/Main (Premiere 24.02.2019) oder in seiner Heimatstadt Prag (Premiere 27.Juni 2019).

Als ich am Theater anfing, galt eine Aufführung, die nicht wenigstens 25 Reprisen erlebte als „Flop“. Heutzutage ist man selbst an Theatern mittlerer Größe schon zufrieden, wenn man zehn Aufführungen erreicht – skandalös. So, das musste ich mal loswerden, es ärgert mich schon lange (und trifft leider nicht nur auf Augsburg zu, das sei zu dessen Ehre gesagt!) Es stimmt eben auch nicht, dass die „Alten“ immer nur meckern, weil ihnen angeblich die Inszenierungen nicht gefallen, sie meckern, weil sich Dinge verändert haben, die dem Metier schaden!

Werner P. Seiferth

 

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