„TANNHÄUSER“ auf der Wartburg – 12.5.2022
Programmheft Meininger Staatstheater
Mit einem namhaften Tenor, der die Titelrolle erstmals sang, einer vielversprechenden Sopranistin als Venus und Elisabeth, getragen von diversen Künstlern des Staatstheaters Meiningen, vor allem dessen renommiertem Orchester, geplant unter dem langjährigem Chefdirigenten Philippe Bach, der aber erst die nächste Aufführung übernehmen konnte, stellte der Originalschauplatz dieser Wagner-Oper wieder einmal eine besondere Attraktion für Opernliebhaber, und natürlich speziell für Wagner-Fans dar.
Wenn man einmal mehr feststellen darf, um nur an die wichtigsten Events zu erinnern, dass diese Burg, auf der nicht nur der Landgraf Hermann, mit der jungen ungarischen Königstochter, die – noch in jungen Jahren – zur späteren Heiligen Elisabeth avancierte, durch beider Befürwortung des Minnesangs in die Literatur- und Musikgeschichte eingegangen ist, sondern auch Martin Luther, versteckt vor den mächtigen geistlichen und politischen Autoritäten seiner Zeit, dort seine Bibelübersetzung machte, dass zu Füßen der hehren Burg Johann Sebastian Bach geboren wurde und ein gewisser Johann Wolfgang von Goethe für Eisenach Werbendes hören ließ, von der Schönheit des Thüringer Waldes, allein schon als Wanderparadies, gar nicht zu reden…Da empfidet man jeden neuerlichen Besuch dieses Kulturzentrums als Großereignis. (Über die Zugverspätungen der Deutschen Bahn, die mich fast um den Tannhäuser gebracht hätten, will ich hier noch lieber schweigen.)
Die zum Teil aus Meiningen übernommene Produktion musste zuförderst auf die Bühne des prächtigen Wartburg-Festsaales, den Franz Liszt initiiert hat, übernommen werden. Die Bühne ist zwar breit genug für normale Aktionen, aber nicht tief genug, um eine größere Personenzahl aufzunehmen, denn hinter der Bühne, etwa einen halben Meter tiefer, befindet sich der Orchesterraum, und der Dirigent kann folglich den in Richtung Publikum orientierten Sängern nur gelegentlich ihre Einsätze geben. Auftritte des Chores sind nur vom seitlichen Gang in den Zuschauerraum, danach dem mittleren Zugang zur Bühne und über eine einzige breitere Treppe hinauf möglich. Für die nach Rom ziehenden Pilger sowie für den Titelhelden ist der nämliche Abgang und aller Rückkehr von außen dann sogar besonders eindrucksvoll, wenn die singende Gruppe vom seitlichen Balkon der Festhalle den erlösenden Schluss singt.
Eine einzige Sitzmöglichkeit in Form einer schön gepolsterten Bank auf der linken Bühnenseite war der Venus und ihrem Ritter gegönnt. Die zeitlich nicht zuordenbaren und durchwegs persönlich sowie keineswegs fürstlich gehaltenen Kostüme schienen dem Theaterreservoire oder den persönlichen Kleiderkästen der einzelnen Sänger entnommen. Und von den Sängern erfuhr ich nach der Aufführung, dass es nur eine einzige gemeinsame Gesamtprobe auf dieser Bühne gegeben hatte.
edimkehr im 3.Wie konnte unter diesen Umständen eine dennoch sehr beeindruckende Wagner-Aufführung zustande kommen? Ganz einfach: alle Bühnenkünstler erlebten offensichtlich ihre Rollen so intensiv, unterstützt von der bestens dargebotenen genialen Musik, dass man dem von Wagner in die Gegenwart (nicht nur jener des 19. Jhs.) geholten, auf mittelalterlicher Basis fundierten Geschehen mühelos folgen konnte. Der eingesprungene junge, aus Irland gebürtige, mit inspirierender Energie arbeitender Dirigent Killian Farrell leistete großartige Arbeit samt aller – wörtlich gemeint – nötigen Umsicht.
Eine problemlos in der Titelrolle einsetzbare, große Tenorstimme brachte der vielseitige Georgier Zurab Zurabishvili mit, der ja längst im deutschen Sprachraum, auch familiär, heimisch geworden ist. Da er zuvor noch nicht auf der Wartburg gesungen hatte, musste er lautstärkemäßig wohl zu Beginn noch die Akustik testen, für die uns seine voluminöse Stimme fast zu laut dünkte. Aber bereits ab der 2. Szene war er auch diesbezüglich am historischen Schauplatz voll zuhause. Und mit der großartigen Venus, die dann zur Elisabeth mutierte, geriet schon das Zusammensein der beiden zu einem Wagner-Belcantofest, das nach allen hochemotionalen Vorkommnissen bis zum erhebenden Ende anhielt. Die dänische Sopranistin Brit-Tone Müllertz, mit einem breit gefächerten Repertoire in deutschen Landen unterwegs und langsam ins große Wagner-Fach einsteigend, im Linzer „Ring“ als Sieglinde beeindruckend, heuer auch wieder in Bayareuth u.a. als Ortlinde, besitzt offensichtlich großes Einfühlungsvermögen in jede ihrer Rollen und kann ihre schöne, tragfähige Stimme den Wünschen des jeweiligen Komponisten anpassen. Sehr verführerisch, weich und sinnlich klang ihr Sopran in allen Lagen bei ihrem Bemühen, den hochgeschätzten Minnesänger auf Dauer an ihre Seite zu binden, sodass sich dessen Versicherung: „Dir, Göttin der Liebe, soll mein Lied ertönen…“ sehr glaubwürdig anhörte. Aber es zog ihn dann doch wieder in die Oberwelt, zumal jetzt im Wonnemond Mai…
Und da traf man sie alle, zunächst noch als Heimkehrer von der Jagd, zusammen mit dem Landgrafen, sämtlich kräftige Stimmen im Ensemble hören lassend, ehe sie dann mit ihren einzelnen Beiträgen im Sängerkrieg zu beeindrucken vermochten. Da, wie schon erwähnt, für große Aktionen kein Raum vorhanden war, durfte man staunen, was diese Minnesänger, allein schon mimisch, alles zu „sagen“ hatten. Aufgereiht am vorderen Bühnenrand, boten sie alle spannungsreiche Sanges- und Gedankenbeiträge. Der Landgraf, Selcuk Hakan Tirasoglu, kämpfte zwar mit der deutschen Sprache, beeindruckte aber vokal und mimisch mit seiner Befürwortung solch künstlerischer Ereignisse. Und allein schon dank Elisabeths vollstimmiger wie auch seelenvoller Begrüßung der edlen Halle verstand man die diversen Liebesbekenntnisse der zum Wettbewerb angetretenen Sangeskandidaten.
Wolfram von Eschenbachs „Blick ich umher in diesem edlen Kreise“ beeindruckte, von Johannes Mooser mit noblem baritonalem Vortrag dargeboten. Der vom Titelhelden zum „grimmen Wolf“ deklarierte Biterolf von Tomasz Wija konnte in der Tat durch übermäßigen Krafteinsatz kaum Liebevolles von sich geben. Whingegen Rafael Helbig-Kostka hell und klar Walther von der Vogelweides hübschen tenoralen Beitrag von seines „Geistes Licht“ und der „Tugend wahr!“ lieferte. Stan Meus als Heinrich der Schreiber und Mikko Järviluoto als Reinmar von Zweter kommentierten mit angenehmen Stimmen tapfer im Wettstreit mit. Aber: da war nun mal der Wissendste zum angesagten Thema, mit der interessantesten Stimme und der attraktivsten Erscheinung: Zurab Zurabishvili wusste ja alles besser: mit seiner Lobpreisung der Göttin der Liebe mussten sich alle Anwesenden geschlagen geben, und weil sie es nicht einzugestehen wagten, brach der Sängerkrieg zusammen und die Hauptleidtragende, die verständnisvolle Elisabeth, deren Stimme immer noch wärmer und schöner zu werden schien, übernahm die geistige Führung im großen Ensemble. Interessant war, wie es Zurabishvili gelang, sein Venuslob gar nicht mit solch sinnlichem Stimmklang zu singen, dass es zu abwegiger Beurteilung durch alle Anwesenden hätte führen müssen, sondern es schien einfach seine Lebenslust, die sich da in Worten und Tönen offenbarte, jedoch allseits zu heuchlerischem Besserwissen der Anwesenden führte, und nur von Elisabeth (die ja zuvor im Gewand der Venus gesteckt war!) richtig verstanden und zum einzig möglichen erhofften guten Ende geführt wurde: „Nach Rom!“ Dass der Sünder mit Schwertes Hilfe zuerst von allen verdammt, sodann aber seien Bussbereitschaft gut geheißen wurde, lässt uns zugleich mit Wagners Tiefblick in ein fragwürdiges Mittelalter blicken…(Übrigens: Als ich vor ein paar Jahren den Hörselberg, nordöstlich von Eisenach, nach Venus-Spuren durchstreifte, fand ich zwar eine Öffnung, an der geschrieben stand, dass man hier zu Frau Venus gelange, aber die Öffnung war so schmal, dass dies wohl nur im Geiste geschehen hätte können…)
„Dämmerung deckt die Lande“. Foto: Sieglinde Pfabigan
Mit des großartig singenden Chores Hilfe (einstudiert von Manuel Bethe) erlebte man dieses meisterhaft vielschichtige Aktfinale so beeindruckend, wie Wagner es komponiert hat. Und nicht zu vergessen: der orchestrale Beitrag, der alle sängerischen Ergüsse bloß hinter der Bühne kräftig zu tragen vermochte, trug ganz entscheidend zur Gesamtwirkung bei. Und nebenbei bemerkt: Da die Harfenistin sich eines besonderen Platzes auf der rechten Vorderbühne erfreuen durfte, kamen ihre Beiträge in der gesamten Oper zu besonderer Wirkung.
Während die nicht so ganz schlanke Sängerin der Elisabeth auch mit gut gewählten, eindrucksvollen Kostümen Eindruck machte, zuletzt bei ihrem wunderbar glaubwürdigen Gebet, wo Wolfram sie denn auch fand und einmal mehr bewunderte, trat der noble, auch nicht ganze schlanke Minnesänger mit einem so schäbigen offenen weißen Hemd mit aufgekrämpelten Ärmeln über einer hässlichen Hose auf, sodass jeglicher Adel, den seine schöne Baritonstimme zu vermitteln wusste, verloren zu gehen schien.
Erschwert wurde auch dem Tannhäuser-Sänger die optische Vermittlung seiner Rom-Erlebnisse, weil weder Schminke noch Kostümierung auf die selbst auferlegten Qualen schließen ließen. Gesungen hat er, nicht etwa nur auf Kraft bauend, sondern mit ebenso tenoraler Leuchtkraft wie auch auf breiter baritonaler Basis alles Untergründige vermittelnd. Das allseitige finale Halleluja hat er sich nach allen Strapazen verdient!
Da ich über die Leiterin des sehr aktiven Augsburger Wagner-Verbands, Hilde Lutz, von diesem Event erfahren hatte, und wir alle, wie auch die Sänger, im selben „Vienna House Thüringer Hof“ hinter dem großen Luther-Denkmal wohnten, gab es noch viel zu reden und zu erfahren. Der Titelheld gestand uns beim Frühstück, dass er nach solchen – für ihn auch erfreulichen – Strapazen zumeist erst nach 4 – 5 Stunden einschlafen kann…
Trotzdem: „Tannhäuser“ auf der Wartburg, die Richard Wagner nie persönlich besucht, zu der er nur aus dem Tal beim Vorbeifahren aufgeblickt hat, ist ein Musterbeispiel dafür, was große Geister vermögen.
Sieglinde Pfabigan
PS: Am frühen Nachmittag des Folgetages auf dem Erfurter Bahnhof meinen Zug Richtung Nürnberg und dann den erhofften Anschluss nach Wien erwartend, erlebte ich angesichts von dessen erheblicher Verspätung, nach einer Fehlinformation, dass ich auch über Fulda und Würzburg Anschlussmöglichkeiten hätte, meine Landung in Frankfurt und konnte mit einem letzten Zug, der nach München weiterführ, gerade noch am selben Abend in Nürnberg landen, wo ich mit einem Gutschein der Bahn gratis übernachten durfte und natürlich dem Hans Sachs einen spätabendlichen Besuch abstattete und ein sehr lebhaftes Nachtleben – siehe „Meistersinger“ 2. Akt-Finale!) konstatierte. Der um 7,14 Uhr nach Wien gemeldete Zug kam nach mehrmaligen unvorhergesehenen Zwischenstops gerade noch rechtzeitig an, sodass ich den diesmal Gott sei Dank erst um 17,30 Uhr beginnenden – sehr schönen – „Siegfried“ an der Wiener Staatsoper besuchen konnte. Und unter den auf meinem Handy einlangenden Mails fand ich nach mehrfach begeisterten Kritiken über den Meininger „Lohengrin“ die Meldung von Marco Jentzsch, dass er am 21. und 28. Mai dort als Lohengrin einspringen werde. Zu letzterem Termin werde ich also nochmals den, nicht zuletzt tenoralen Wagnerschen Wonnemond genießen…(nach zwei Wiener „Ringen“, die auch nicht von schlechten Eltern sind – zumal in einer wirklich guten Inszenierung!)
S. Pf.