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WALTER KOBÉRA: Einer, der für die „Neue Oper“ brennt

WALTER KOBÉRA: Einer, der für die „Neue Oper“ brennt

Das Gespräch fand am 8.11. 2019 im Museumsquartier im Café Dschungel statt –

(Karl & Andrea Masek)


Walter Kobéra ist seit 1993 Intendant der Neuen Oper Wien. Copyright: Armin Bardel

Walter Kobéra ist führender österreichischer Dirigent und Intendant. Er studierte Violine, Absolvent des Musikgymnasiums Wien, war ab 1978 Mitglied des NÖ Tonkünstlerorchesters, später Assistent der Chefdirigenten Isaac Karabtchevsky und Fabio Luisi. Er ist Lehrbeauftragter für Moderne Musik an der Universität für Musik und darstellende Kunst in Wien.

Herr Kobéra, Sie sind seit Ende 1993 Intendant, hatten somit das 25-jährige Jubiläum, sie sind allgegenwärtiger Dirigent und künstlerisches Kraftzentrum der Neuen Oper Wien. Bernhard Langs „Der Reigen“ nach Arthur Schnitzler ist als Wiener Erstaufführung Ihre nächste Premiere. Die wievielte Produktion ist das?

Ich habe nicht mitgezählt. Aber bei jeweils drei bis vier Produktionen pro Jahr …, also den Hunderter habe ich noch nicht erreicht, aber so um die achtzig werden es mittlerweile sein …

Es handelt sich beim „Reigen“ um eine der vielen Uraufführungen bzw. Österreichischen oder Wiener Erstaufführungen, mit denen Sie das Wiener Musikleben entscheidend prägen. Erzählen Sie bitte ein bisschen über die Probenarbeit?

„Der Reigen“ wurde von uns in einer Koproduktion mit den  Bregenzer Festspielen im Frühsommer einstudiert und Ende Juli 2019 in der Bregenzer Werkstattbühne erstmals in Österreich aufgeführt. Nun spielen wir diese erfolgreiche Produktion in Wien. Es ist immer wieder spannend, wenn man nach so einer Aufführungsserie mit neuerlicher Probenarbeit einsteigen kann, wo man einerseits von den bereits gemachten Erfahrungen profitieren, aber auch immer wieder Neues in der Partitur entdecken kann. Es ist die komplett selbe Besetzung, sowohl innerhalb des Sängerteams als auch im Orchester; nur ein paar Monate älter sind wir geworden!

Wie hat das damals, in den frühen 90ern angefangen? Man hat damals das Jugendstiltheater Am Steinhof  bespielt. Wo überall haben Sie „künstlerische Heimaten“ gefunden, ohne irgendwo wirklich sesshaft geworden zu sein?

Es hat ja eigentlich schon 1990 begonnen. Die Urmutter aller Produktionen war Mozarts „Idomeneo“. Ich hatte damals  mit meinem 1986 gegründeten amadeus-ensemble einen konzertanten Opernzyklus im Konzerthaus, im Publikum saßen bei „Idomeneo“ der Regisseur  Oliver Tambosi und ein Plattenproduzent. Das war dann ziemlich wegweisend, ein toller Zufall. Es wurde eine CD gemacht und es folgte dann auch eine längere Zusammenarbeit mit Tambosi. Gemeinsam haben wir darauf im Februar 1990 im Jugendstiltheater am Steinhof den Idomeneo gemacht und sehr zeitbezogen aufgeführt. Da der Spielort  ja so weit „draußen“ ist, hat das Ganze eine Art Seminarcharakter gehabt. Wir waren sehr intensiv zusammen, haben sogar gekocht dort, das war sehr erfreulich, und inszeniert war‘s anders als man es „gewohnt“ war …, wir haben den Generationenkonflikt, der dem Stück ja innewohnt, an der Streitfrage „Atomkraft – ja oder nein?“ festgemacht. Das hat eingeschlagen, es ging weiter mit Cherubinis „Medea“, und Verdis „Macbeth“, das war ein ziemlicher Aufruhr, mit dem Jugoslawienkrieg als Metapher. Mit der Stadt Wien wurde dann ausgelotet, wie man den Off-Bereich positionieren kann. Es würde kein Weg daran vorbeiführen, sich mit den Werken des 20.Jhts zu beschäftigen. Mit Blickrichtung auf Uraufführungen…

… die Schwerpunktsetzungen haben sich dann verändert. Und Sie waren da in aller Regel schneller als die „großen Operntempel“ in Wien. Wenn ich an Britten denke …

… ich hab programmatisch 3 Säulen: Zum einen die zu Unrecht vergessenen oder lange nicht gespielten Werke. Zweite Säule sind Österreichische Erstaufführungen, wo ich dann schaue, aktuelle Werke ziemlich zeitnah nach Österreich zu holen. Manfred Trojahns „Orest“ ist ein ideales Beispiel, den ich kurz nach der Uraufführung in Amsterdam in Wien zeigen konnte, bevor die jetzige Direktion auf die Idee gekommen ist,  ihn an der Staatsoper zu spielen. Aber auch „Billy Budd“ war da so ein Beispiel, wo es mir unerklärlich war, wieso dieser bis zu unserer Produktion 1996 in Österreich noch nicht aufgeführt wurde. Die dritte Säule sind Uraufführungen nationaler und internationaler Komponisten. So hat Peter Eötvös zum Bespiel seine Oper „Paradise Reloaded“  uns gewidmet. …

An Zeitgenossen wurde und wird viel von Peter Eötvös gespielt – zuletzt „Radames“ oder „Angels in Amerika“ -, Harrison Birtwistle …

… weil Sie Birtwistle erwähnen: Seine Oper „The Last Supper“ (Anm.: uraufgeführt in Berlin in der Inszenierung von M. Duncan, dirigiert von Barenboim) hatte fast durch die Bank durchwachsene Kritiken und der Verlag sagte zu mir, wollen sie das wirklich aufführen? Ich war aber nicht nur von der Musik begeistert, sondern auch vom Libretto und der inhaltlichen Aussage des Librettos, dass ich gesagt habe, ich mach das, ich probier‘s. Und es wurde ein großer Erfolg! Es muss nicht nur die Musik stimmen, sondern auch das Thema. Dabei muss es nicht immer etwas Schweres, „Bedeutungsschwangeres“ sein. Komödiantisches, Leichtes, Sarkastisches wie z.B. der „Radames“ von Eötvös oder Trojahns „Enrico“ nach Pirandello interessierte mich sehr…

Ihnen war auch der Österreicher Gerhard Schedl sehr wichtig, der so tragisch früh durch Suizid Verstorbene! Haben Sie den auch entdeckt?

Nein, entdeckt hat ihn der Peter Keuschnig! Und da hab ich mich auf diesen Zug draufgesetzt. Persönlich hab ich Gerhard  leider nur sehr kurz vor seinem Tod kennengelernt. Es gab den Plan, „Julie & Jean“ nach Strindberg   im Salzburger Landestheater aufzuführen und auch die Uraufführung eines gesellschaftspolitisch brisanten Stückes, bei dem es um sexuelle Übergriffe in der Familie, mit dem damaligen Film „Das Fest“ als Ideengeber, gegangen wäre. Dazu ist es leider nicht gekommen. Umso mehr freut mich unser Riesenerfolg, den „Julie & Jean“ im Vorjahr im Semperdepot hatte!

In den letzten Jahren hat die Neue Oper Wien viele Preise eingeheimst., z.B. für Birtwistles „Punch and Judy“ oder Křeneks „Pallas Athene weint“. Das freut und beflügelt Sie doch sicher. Gibt es auch für  „Julie & Jean“ einen Preis?

Leider nein, aber vielleicht kommt noch eine Nominierung. Es würde mich sehr freuen, besonders für den Gerhard, dass man sein Werk posthum auf diese Weise würdigt! Neben dem österreichischen Musiktheater Preis für Ernst Křeneks „Pallas Athene weint“ haben wir 2014 für „Punch and Judy“ in Budapest bei einem internationalen Wettbewerb 2 Preise gewonnen, den Jurypreis für die beste Produktion, aber auch den ARTE-Publikumspreis. Diese Anerkennung  freut einen natürlich sehr. Aber wenn Anerkennung verbal ausgesprochen wird wie z.B. von Peter Eötvös, der sich komplett begeistert von der Produktion gezeigt hat, so freut einen das fast noch mehr!

Auffallend viele Sänger, die später internationale Karrieren machten, wie etwa Adrian Eröd, haben bei Ihnen an der NOW begonnen. Waren Sie immer ein großer Talente-Entdecker?

Dass ich Karrieren geplant hätte … wenn man das könnte!! … Nein so war’s nicht. Aber es ist mir einiges zugefallen, und wenn dann positive Komponenten zusammenkommen… Adrian Eröd hat bei mir den „Billy Budd“ und von Wolfgang Rihm „Jakob Lenz“ gesungen und ist für die Schedl-Oper im Vorjahr wiedergekommen. Aber auch Georg Nigl hat bei mir gesungen, die Ödipus-Geschichte in der Oper „Greek“ von Marc-Anthony Turnage. Jetzt singt er den Orest in der Trojahn-Oper sowohl in Wien als auch in Zürich. Der amerikanische Tenor Michael Spyres  war 2008 bei uns, er singt mittlerweile in aller Welt, so auch am Theater an der Wien in der Produktion „La Vestale“. Rebecca Nelsen, Daniela Fally und Annette Schönmüller haben bei mir begonnen, ebenso der Tiroler Bariton Daniel Schmutzhard, aber auch Marco Di Sapia, Alexander Kaimbacher und Anna Magdalena Hoffmann,  um nur wenige zu nennen. Aber auch Regisseure wie z.B. Philipp M. Krenn, Leonard Prinsloo, Carlos Wagner, Béatrice Lachaussée oder Kaspar Holten und Johannes Erath wären auf einer solchen Liste zu finden. Da gab es auch einige Initialzündungen. Und einige heutige Wiener Philharmoniker haben im amadeus-orchester angefangen …

In Zeiten von Kulturbudget-Verknappungen und Einsparungswellen: Wie geht es der NOW damit?

Das generelle Problem ist: Seit 2001 wurden die Subventionen der öffentlichen Hand für uns nicht mehr erhöht. Es geht sich seit Jahren jedes Mal noch ganz knapp aus, aber bald nicht mehr! Die Kosten im nichtkünstlerischen Bereich galoppieren uns davon. Auch hier im Museumsquartier. Wir können den künstlerischen Standard nur aus zwei Gründen halten: Nationale und internationale Kooperationen und Gastspiele. Bei der Kooperation mit Partnern ist immer zu bedenken, dass wir im Vergleich zu anderen Theatern oft eine ganz andere  Struktur haben – wir haben kein eigenes Haus. Manchmal sind wir mit „normalen“ Theatern einfach nicht kompatibel. Die Kooperationen mit den Bregenzer Festspielen, dem Palace of Arts in Budapest und der Stiftung Haydn in Bozen, um nur einige zu nennen, sind  Beispiele, bei denen  die Zusammenarbeit geradezu ideal ist. Die Aufführungsräume sind ähnlich bis fast ident und die Logistik der Co-Partner ist vergleichbar.

Ein weiterer Grund ist, dass dankenswerter Weise mein Team, mein künstlerisches Personal, das Orchester,  so an den Inhalten interessiert ist, dass sie auch vergleichsweise Minigagen akzeptieren. Das ist aber auch einmal „enden wollend“! Ohne ins Jammern verfallen zu wollen: Es muss jedem klar sein, 17 Jahre keine Inflationsanpassung, das kann sich nicht ewig ausgehen! …  Mit der neuen Wiener Kulturstadträtin haben wir jedenfalls ein erfreuliches Gespräch gehabt. Es hat den Vorteil, sie hat eine persönliche Geschichte als Musikmanagerin. Und ein Grundverständnis ist da. Und das Nachvollziehen des Gegenübers. Und wir geben nicht auf! Aber, es muss sich etwas ändern!

Wie gelingt es der NOW dennoch immer wieder, viel Publikum zu zeitgenössischen Opern, zur Avantgarde, zu „verführen“?

Mit der Stückauswahl als Grundlage.  Peter Turrini hat einmal gesagt, am Anfang steht immer die Verführung. Das gilt im Besonderen für uns. Zuerst einmal gilt es, mein unmittelbares  Team zu „verführen“. Dann ein Regieteam zu finden, welches das weitertreibt. Es muss dann ja auch weitergetrieben werden. Wir müssen gemeinsam ein Konzept, eine „Lesart“ finden, die ansteckend ist. Dann müssen wir alle anderen an der Produktion beteiligte, wie Sänger, den Chor, das Orchester, ins Boot zu holen. Wenn das gelingt, haben wir erst eine Basis für einen möglichen Erfolg. Das muss von unserer Seite aber so überzeugend sein, dass das Publikum sagt, „da geh’n  ma hin“, oder das ist toll, was die machen…

Besonders imponiert mir, dass es mit der NOW regelmäßige Workshops und Projekte mit Studierenden der Musikhochschulen und mit Kindern und Jugendlichen aus ganz normalen Pflichtschulen gibt. Sie haben nicht, wie viele andere nur darüber  g e r e d e t und  d a s  m ü s s t e  a l l e s  g e s c h e h e n:  Sie  t u n  es konkret!   Warum ist es so schwierig (noch schwieriger als ein Publikum „zu verführen“!) die Politik davon zu überzeugen, dass Investitionen in die Kreativität von Kindern und Jugendlichen, das Fördern des diesbezüglichen Potenzials, im Leben und bei der Persönlichkeitsentwicklung unendlich hilft?

(W.K. holt weit aus zu einem Grundsatz-Statement: Er  habe das  auch mit seiner Familie diskutiert …  Über den Mainstream Anfang der 2000er Jahre, man müsse sich davon verabschieden, dass die Menschen in ihrem Leben nur einen Beruf haben werden. Wenn man annimmt, das stimmt:  dann müsse die Quintessenz sein, dass  unsere Ausbildung so universell sein sollte, dass sie dem Menschen erlaubt, sich auf neue Gegebenheiten einzustellen.  Klartext wäre, man würde eine neue „humanistische Ausbildung“ brauchen. Nicht die althergebrachte, wo man zwangsläufig Griechisch lernen müsse, aber eine universiellere, wie es das Profil eines Philosophen antiker Prägung gewesen war… Über die falsche Richtung, man bilde immer nur zielgerichtet,  punktuell aus … ein solcherart ausgebildeter Mensch wäre  dann gar nicht in der Lage „zwei Meter weiter links oder  zwei Meter weiter rechts“ zu denken und zu handeln …  Über falsches Kulturverständnis … die Musik, die bildende und darstellende Kunst käme da ins Spiel … das wäre Aufgabe schulischer Bildung, nicht  A u s bildung. Über alles, was das Leben ausmacht…. Über die Kreativschiene draufzukommen, was man alles kann, was im kognitiven Ausbildungsbereich  zu kurz kommt. Bis hin zum Körperbewusstsein … gerade in der Zeit so zwischen 14 und 16, in dem „körperlichen Umbruch“,… was verrät die Körpersprache … das könne man durch Theaterspielen erreichen … Kinderoper sei wunderbar … aber die Lücke zwischen der Kinderopernzeit und der Schwelle zum Erwachsenwerden sei evident, und wenn man da versäume die Lücke zu schließen, sei das uneinholbar, denn diese Menschen  würden uns zwischenzeitlich verloren gehen und kämen dann nicht mehr zurück  … über generationsübergreifende Aktivitäten, das hätte mit Integration zu tun, da müsse man den Hebel ansetzen, strukturelle und geistige Integration)…

Wenn man sich Ihre Biografie ansieht: Ist die Neue Oper Wien bei einem randvollen Terminkalender ihr einziges Standbein?

Ist es nicht, aber ich habe in unserem sehr  kleinen Team so an die 5 Jobs, die gestalterische Auseinandersetzung im Vorfeld eines Projekts ist wahnsinnig umfangreich. Das schränkt das Gastieren anderswo bisweilen ein.

Künstlerische Zukunftspläne: Was kommt noch in dieser Saison?

In der Kammeroper zeigen  wir als österreichische Erstaufführung das Monodrama „Proserpina“ von Wolfgang Rihm. Diese habe ich erstmals 2016 an der Römischen Oper dirigiert und war so begeistert, dass ich sie unbedingt für die Neue Oper Wien machen wollte. Dazwischen wäre nach „normaler Wahrnehmung“ Pause. Ist es absolut nicht! Wir planen mit unserem Kooperationspartner in Bozen eine Uraufführung, die nach zwei Vorstellungen im März 2020 im darauffolgenden September 2020 in Wien als ÖEA gezeigt werden wird. Dafür gibt es  nach der „Reigen“-Serie umfangreiche Arbeiten. Den Titel kann ich leider noch nicht verraten!

Vielen Dank für das spannende Gespräch! Alle guten Wünsche für die Premiere und für alle künftigen Projekte!


Walter Kobéra vor dem Museumsquartier. Copyright: Andrea Masek.

 

 

 

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