W. A. MOZART REQUIEM: Reitkunst und Sakralmusik – UNITEL Bluray – Live Felsenreitschule Salzburg Jänner 2017
Erscheinungsdatum: 25.8.2017
Marc Minkowski, Chef der Musiciens du Louvre, hat seit jungen Tagen in Le Bec Hellouin (Normandie) einen Kindheitstraum, und den hat er sich in Salzburg erfüllt: Mozart und Pferde. Gemeinsam mit dem Reiter, Regisseur und Choreograph Bartabas und der Académie équestre nationale du domaine de Versailles kam es nach einem ersten Versuch 2015 mit Mozarts „Davide penitente“ erneut zum Versuch einer künstlerischen Allianz zwischen Reitkunst und Sakralmusik: Ein „Rossballett“ à la Spanische Hofreitschule also an einem historisch prädestinierten Aufführungsort, der Felsenreitschule, im 17. Jahrhundert als Arbeitsstätte für die Pferde des Fürsterzbischofs errichtet.
Mozarts Requiem und die genuin eigene Körperlichkeit von dressierten Pferden, deren natürliche Ausdruckskraft, geht das zusammen? Irgendwie ästhetisch ist das streng formale Schreiten, Traben und Galoppieren der hellen prächtigen Lusitano Pferde schon. Spektakulär: Der auf Hochglanz gestriegelter Rappe des Chefs darf sich im Scheinwerferkegel wie wild wälzen und auf dem Rücken alle Viere von sich strecken. Mit Mozarts Musik hat das alles allerdings nichts zu tun. Die gebotene Show ist sicherlich das Beispiel einer eleganten und stilistisch beeindruckenden konzeptuellen Visualisierung, aber nur eine von vielen Möglichkeiten, irgendwie assoziativ Musik mit Bewegung in Einklang bringen zu wollen. Ein Versuch, der allerdings weder für die an diesem Abend gebotene Musik noch für das „Rossballett“ erhellend wirkt.
Mich persönlich hat das Zusehen der filmisch gut festgehaltenen Aufführung sogar befremdet, es war wie zwei völlig verschiedenen, nicht zusammenhängenden Artefakten gleichzeitig folgen zu wollen: Einerseits der musikalisch guten Wiedergabe von Mozarts frühem „Miserere für Alt, Tenor, Bass und Orgel“, des Requiems in D-Moll und des späten Chorsatzes „Ave verum corpus“ (dazu erklingt noch einleitend Georg Friedrich Händels „The Ways of Zion do Mourn“ HWV 264 aus „Funeral Anthem for Queen Caroline“, das Mozart nach Minkowskis Ansicht im Introitus zitiert), andererseits der artifiziellen Choreographie von Mensch und Tier alle Aufmerksamkeit zukommen zu lassen.
Was hören wir? Der französische Altmeister Marc Minkowski hat mit dem hervorragenden im zweiten Rang der Arkaden platzierten Salzburger Bachchor (Einstudierung Alois Glassner) und seinem Originalklangensemble Les Musiciens du Louvre flüssige, bühnendramatisch und emotional tief empfundene Wiedergaben realisiert. Wie gewohnt, artikulieren seine Getreuen im Orchester akzentuiert und aufpeitschend, bisweilen leider nicht ohne Schärfen. Zwischen den Sätzen gibt es regiebedingt kurze Pausen, was der Spannung abträglich ist. Dazu gesellt sich ein nicht ganz einheitliches Solistenquartett: Während für Genia Kühmeiers lyrisch exquisiten Sopran nur Superlative und höchste Bewunderung (selbst der Himmel muss da zu Tränen gerührt sein) gelten, liegt die Tessitura des Requiems sowohl für den höhenlastigen Mezzo von Elisabeth Kulman und den Bariton Charles Dekeyser zu tief. Julien Behr bringt einen gut fokussierten, kompakten lyrischen Tenor mit ins Spiel, allerdings neigt er in der Höhe zu Versteifung, was zu so manch eng geführter Phrase führt.
Was sehen wir? An dieser Stelle muss wieder daran erinnert werden, dass ein Film eben kein Bühnen-Live Erlebnis ist, sondern das bietet, was Kamera, Schnitt und Editor zeigen wollen. Zu Beginn etwa Herrn Bartabas mit nacktem Oberkörper auf seinem Rappen „Soutine“, in schwarz gewandet, den Kopf mit einem Tuch verhüllt, die Arme weit ausgebreitet wie Pegasus im Flug. Die Sequenzen wechseln optisch von Szene zu Szene und folgen generell der Kadenz und dem dramaturgischen Gehalt der Musik. Reiterinnen mit langem Haar scheinen wie tot auf den Rücken der Schimmel zu liegen, beim „Te decet hymnus“ richten sie sich auf, Haar übers Gesicht, die Arme einem knapp-statischen Bewegungskanon folgend weit von sich gestreckt. Zum Kyrie nimmt der Reiterblock an Fahrt auf, weibliche Todesengel mit schwarzen Spitzhauben traben in verschlungenen Pfaden, tanzen in zwei Dreiergruppen, werden schließlich von einem „Pas de deux“ abgelöst. Artifiziell, hochästhetische Bilder prägen den Ablauf: Im „Lacrymosa“ liegen die Reiterinnen mit dem Kopf nach hinten Rücken an Rücken mit dem Pferd, später kommen Choristen auf die Bühne, von den Pferden umkreist. Zum „Agnus Dei“ schließlich galoppieren drei Skelette mit Flügeln und gefalteten Händen im Kreis.
Dennoch: Allzu glatt und gelackt präsentiert sich das Pferdeballett. Schöne Bilder mit schönen Menschen und schönem Getier. Die außermusikalische Botschaft (gibt es eine?) will und will sich nicht kristallisieren. Fazit: Eine musikalisch gediegene Aufführung von Musik des Salzburger Meisters mit einer geschmäcklerischen und vom Konzept her kaum überzeugenden Bebilderung durch ein exquisites frz. Pferdeensemble. Wohl eher was für eingefleischte Pferdenarren unter den Klassikliebhabern.
Dr. Ingobert Waltenberger