Vor der Premiere – Turandot unter der Leitung von Gustavo Dudamel und inszeniert von Marco Arturo Marelli
Am 3. März 2004 spielte die Wiener Staatsoper zum letzten Mal Giacomo Puccinis Spätwerk Turandot. Es war dies die 61. Aufführung der Harold Prince-Inszenierung aus dem Jahr 1983, bei der Lorin Maazel am Pult des Wiener Staatsopernorchesters gestanden hatte. Die aktuelle Neuinszenierung liegt in den bewährten Händen von Marco Arturo Marelli, der seine elfte Regiearbeit am Haus abliefern wird, in der nächsten Saison will er mit Pelléas et Mélisande (übrigens seine absolute Lieblingsoper) das Dutzend voll machen. Als Dirigent feiert am kommenden Donnerstag hingegen der 35jährige Gustavo Dudamel sein Staatsoperndebüt.
Mitten in der intensivsten Probenphase fand das „Leading Team“ dennoch Zeit zu einem Pressegespräch, an dem auch der Online-Merker teilnahm. Wenn so ein Gemeinschaftstermin nicht gerade den Idealzustand für einen Journalisten darstellt, da die Fragestellungen von zehn Kollegen oft in gänzlich andere Richtungen führen, so gaben diese 70 Minuten dennoch einen interessanten Einblick in die Herangehensweise des Regisseurs und des Dirigenten. Die Ausführungen der beiden führten quer durch die Musikgeschichte und Biographien bis hin zur Frage an Dudamel, wie es sich anfühlt quasi ein Sex-Symbol der Klassikszene zu sein.
Hier die wichtigsten Aussagen:
Gustavo Dudamel. Copyright: Ernst Kopica
Gustavo Dudamel
Plauderte Marelli also einfach munter darauf los, so gibt sich der Pult-Superstar Dudamel anfangs eher zugeknöpft, ja fast ein wenig scheu. Was man von einem Showman seines Kalibers gar nicht erwarten würde. Konzentriert beantwortet er die ersten Fragen, so etwa die nach dem unvollendeten Finale und der Aufführungspraxis:
„Es ist sehr schwierig, weil es nicht viele Optionen gibt. Es ist so wie Toscanini sagte: Il maestro è morto. Eigentlich ist das Drama vorbei und ich würde den Schluss mit Don Giovanni vergleichen, wo das Stück für mich auch mit dessen Höllenfahrt endet. Alles was danach kommt ist zwar schöne Musik, aber eigentlich nur mehr ein gewisses Extrazuckerl! Vielleicht ist es künftig eine Möglichkeit, dort aufzuhören, wo Puccinis Komposition endet, aber derzeit machen wir es in der traditionellen Art und Weise.“
Obwohl Dudamel seinen Weltruf als Konzertdirigent begründete und Auftritte in Opernhäusern eher rar sind, begleitete ihn das Musiktheater schon von früher Kindheit:
„Seit damals liebe ich Verdis Aida über alles! Ich habe sie immer wieder gehört und bei ihr lernte ich am meisten über Opern. Ich bin zwar sehr vorsichtig damit, Stücke zu werten, doch Turandot gehört sicherlich zu den wichtigeren Opern. Die Planung für Turandot in Wien begann vor fünf Jahren. Zu der damaligen Zeit habe ich sie gerade konzertant in der Hollywood Bowl von Los Angeles aufgeführt. Als ich damals nach Wien kam, um die Philharmoniker zu dirigieren, hatte ich die Gelegenheit mit Dominique Meyer zu sprechen und da brachte ich Turandot ins Spiel. Als er einverstanden war dachte ich mir nur „wunderbar“!
Es ist für mich auch kein Problem, dass es im Gegensatz zum Konzert bei Opern einen zweiten „commander-in-chief“ gibt. Ich bin da sehr offen und Marelli macht ja auch einen sehr guten Job. Für mich ist es immer wichtig eine gute Arbeitsatmosphäre zu haben. Ich habe ja auch schon andere Opern dirigiert, aber hier ist es etwas besonderes, denn es ist mein Debüt an der Staatsoper und unsere Zusammenarbeit ist eine wunderbare Erfahrung. Marelli kennt Puccini und er hat ein großes Wissen über ihn. Ich lernte eine Menge von dem, was er mir während der Proben erzählte.“
Bisher beschränkte sich Dudamel auf ein/zwei Opernproduktionen pro Jahr, mehr will er gar nicht in Angriff nehmen, seine übrigen Verpflichtungen (Los Angeles, El Sistema, Berliner und Wiener Philharmoniker) würden das auch gar nicht zulassen. Im Original klingt das so:
„Ich wuchs als Konzertdirigent auf, obwohl ich natürlich in Venezuela schon als Teenager auch Opern dirigierte, wie etwa Liebestrank oder La Boheme. Dann hatte ich die Gelegenheit bei Barenboim in Berlin Oper zu dirigieren und später auch 2005 in Mailand an der Scala, da war ich gerade einmal 24! Und wenn ich mich dann mit heute vergleiche, zehn Jahre später, muss ich feststellen, wie viel ich dazugelernt habe. Ich muss mir einfach Zeit nehmen für eine Oper und da sind persönliche Beziehungen mit dem gesamten Team sehr wichtig. Ich mache lieber nur eine Oper jedes Jahr und kann sie auch genießen. Zwei, drei Tage sind zu wenig, Kollegen machen das, ich kann das nicht.“
Turandot und die Wiener Staatsoper kamen auch in „Mission Impossible 5“ vor. Für diesen Hollywood-Blockbuster wurden Szenen daraus mit den Philharmonikern eingespielt, wobei auch damals Lise Lindstrom die Titelrolle sang (sie wirkte übrigens auch bei einer Produktion dieser Oper vor fünf Monaten unter der Leitung Dudamels in Caracas mit). Bei diesem Thema war der Maestro endlich in seinem Element:
„Jetzt bin ich Tom Cruise, aber es ist diesmal eine Mission Possible!“
Ein spezielles Problem in einem Opernhaus ist immer die richtige Akustik, die Balance und das Zusammenspiel.
„Ganz wichtig für die Akustik ist der Orchestergraben, der in Wien sehr hoch angesiedelt ist – ich liebe ihn. Und das andere ist harte Arbeit. Ich denke, eine optimale Balance kann man nur in einer CD -Aufnahme erreichen, live ist es fast unmöglich. Während der Proben ließ ich öfters jemand anderen dirigieren und sprang auf die Bühne, dann wieder in den Zuschauerraum! Wir haben eine Banda, wir haben viel Chor, einen Kinderchor, eine Orgel – und dann die Balance zu finden ist wirklich sehr schwer. Aber wir sind an der Staatsoper, da funktioniert das schon.“
Auch wenn die Oper nicht unbedingt im Zentrum seiner Tätigkeiten steht, gibt es schon die nächsten Pläne:
„Demnächst kommt eine konzertante Tosca in der Hollywood Bowl. Konkret beschäftige ich mich auch mit Otello und Fidelio, ich liebe Fidelio seit meiner Kindheit. Bisher habe ich so um die 15 Opern dirigiert, übrigens auch Tannhäuser in Bogota, das war mein einziger Wagner bisher. Natürlich ist der Ring der Traum eines jeden Dirigenten. Ich hatte das Privileg bei Barenboim zu studieren, der die meisten Wagner-Opern in Berlin leitete. Wagner ist unbedingt notwendig, um Mahler oder Bruckner dirigieren zu können. Wenn ich bereit bin, dann wage ich mich darüber, vielleicht brauche ich ein, zwei Gläser Wein dazu.“
Wie auch der Wein lange reifen muss, so musste Dudamel selbst ebenso reifen:
„Früher wollte ich einfach alles machen. Im Laufe der Jahre lernt man aber sich die Zeit einzuteilen. Heute konzentriere ich mich auf weniger. Denn für mich sind neben der Karriere auch andere Sachen wichtiger geworden: Mit den Jugendlichen in Venezuela zu arbeiten, zu reisen, mit meinem Sohn Fußball zu spielen. Wenn ich in Los Angeles bin, dann sieht mein Tagesablauf oft so aus: Probe – Fußball – Konzert, Probe – Fußball – Konzert.“
Und dann kommt doch noch sein Glamour-Status ins Spiel. Auf die Frage, wie er damit umgeht quasi ein Sex-Symbol der klassischen Musik zu sein:
„Ich liebe die Leute und den Rummel. Ich kann Leute vielleicht für klassische Musik begeistern, die noch nie in einem Konzert waren. Wenn wir über unser zukünftiges Publikum sprechen: Es heißt immer, das Publikum stirbt aus. Ich bin nicht dieser Meinung. Es geht um den Zugang zu den Leuten und um deren Zugang zur Musik. Ich möchte das mit der Ernährung von Kindern vergleichen. Kaum ein Kind liebt Gemüse, da schmecken Hamburger und Pommes frites viel besser. Aber wenn sie erwachsen werden, dann werden die Leute gesundheitsbewusster und es schmeckt ihnen auch das Gemüse. Genauso ist es mit dem Klassikpublikum! Darum lassen wir die Kinder in Ruhe Hamburger mit Pommes essen (ich liebe das übrigens auch), irgendwann kommt dann schon das Gemüse auf den Teller. Wir können aber nicht erwarten, dass Jugendliche automatisch zu uns kommen, wir müssen schon zu ihnen gehen, auch wenn es manchmal anstrengend ist.
Die Zeiten ändern sich. Künftig wird es immer schwieriger werden Live-Konzerte zu geben. Vielleicht hat man bald zu Hause ein Hologramm der Philharmoniker, die Musiker spielen virtuell und man kann sie sogar angreifen. Das ist verrückt, aber das kann wirklich so passieren.
Ich würde mich selbst nicht als sexy bezeichnen, aber wenn ich als Symbol für klassische Musik gelte, dann ist das o.k. In Caracas gelingt es mir kaum zu tanzen, wenn ich in eine Disco gehe – jeder will ein Selfie mit mir.“
Das Thema Neujahrskonzert darf natürlich auch nicht fehlen, Dudamel wird es 2017 dirigieren:
„Ich liebe diese Musik, wir haben gerade Teile für die Ballettchoreographie eingespielt. Ich fühlte mich sehr geehrt, als ich angerufen wurde – da war ich schon sehr überrascht. Es wird ein schönes Programm mit Wiener Musik – vielleicht auch mit einer Überraschung!
Jeder Musiker der Philharmoniker fühlt diese Musik und dann ist es meine Aufgabe die Balance zwischen Tradition und meinen Vorstellungen zu finden. Ich muss den Philharmonikern einfach zuhören was sie zu sagen haben, denn sie spielen das schon ihr ganzes Leben lang und haben diese Musik im Blut.“
Und was hält er von einem Generalmusikdirektor Gustavo Dudamel an der Wiener Staatsoper?
„Woow! Ich habe noch nie darüber nachgedacht! Jetzt hier zu sein bedeutet schon eine große Ehre. Die Staatsoper ist so ein riesiges Haus, in jedem Sinn. Ich gehe oft verloren in den verwinkelten Gängen und Stiegen. Ich lerne noch viel hier und habe nie nachgedacht über so ein Angebot. Vielleicht nach 2022, da endet mein Vertrag mit Los Angeles, aber das ist noch zu weit weg.“
Ernst Kopica
MERKEROnline