VOR 50 JAHREN: DAS ENDE EINER ÄRA – aber doch nicht der Schlusspunkt
(von Heinrich Schramm-Schiessl)
Am 17.Juni 1964, also vor 50 Jahren, endete die Ära Karajan an der Wr. Staatsoper. De jure dauerte sie natürlich bis zum 31.8.1964 aber an diesem Abend dirigierte Herbert von Karajan seine letzte Vorstellung in seiner Eigenschaft als Künstlerischer Leiter – so wollte er nämlich immer bezeichnet werden – des Hauses.
Abendplakat vom 17.6.1964 (Mit herzlichem Dank an Frau Hedda Hoyer)
Jetzt mag so mancher meinen, dass jede Direktionszeit zu Ende geht und das irgendwann 50 Jahre her ist. Das mag sicher stimmen, aber kein Direktor des Hauses vor oder nach ihm hat dieses so nachhaltig geprägt und verändert wie Herbert von Karajan. Für die diesbezüglichen Details darf ich auf die Digitalisierung des Heft-Merkers der Jahre 1956-1964 durch Frau Hedda Hoyer verweisen. Der Link dazu befindet sich am Ende der Startseite dieser Website.
An diesem 17. Juni 1964 dirigierte Karajan die 2. Vorstellung seiner Neuproduktion von Richard Strauss‘ „Die Frau ohne Schatten“, die fünf Tage zuvor, am 11. Juni – dem 100. Geburtstag des Komponisten – Premiere hatte. Die Besetzung dieser Premiere B, wie sie einer in den 60er-Jahren üblichen Usance folgend, genannt wurde, war gegenüber der 1. Vorstellung in einigen Nebenrollen und drei Hauptpartien verändert. Gundula Janowitz sang statt Leonie Rysanek die Kaiserin, Otto Wiener statt Walter Berry den Barak und Gladys Kuchta statt Christa Ludwig die Färberin. Jess Thomas (Kaiser) und Grace Hoffmann (Amme) blieben unverändert.
Gab es schon bei der Premiere Kundgebungen für Karajan (vor dem 3. Akt rief jemand von der Galerie „Karajan muss bleiben“ und am Ende erscholl vom Stehparterre „Hoch Karajan“) so gab es an diesem Abend Blumen und endlosen Jubel, so als wollte das Publikum Karajan sagen, er solle doch nicht weggehen, da man ihn in Wien so brauche.
Aber es nützte alles nichts, die Ära Karajan war damit zu Ende und in diesem Zusammenhang sei hier ein Unverdächtiger zitiert: Marcel Prawy schrieb in seinem Buch „Die Wiener Oper“ (1969, 1. Auflage, Seite 200): „Wir waren wieder einmal einen genialen Mann los!“.
Wie es zu dieser Demission nach acht wunderbaren Jahren – man glaubt es gar nicht, dass es ein angeblich so schwieriger Mann so lange in diesem nicht leicht zu führenden Haus ausgehalten hat und damit immer noch der am zweitlängsten im Amt gebliebene Direktor seit der Wiedereröffnung ist – kam, wurde im Online-Merker schon anlässlich der Schilderung der „Bohème-Affäre“ im vergangenen November andeutungsweise geschildert. Hier möchte ich nun etwas ausführlicher darlegen, was damals passierte.
Man muss die Ursache für diesen Rücktritt aus zwei Blickwinkeln betrachten. Einerseits aus dem persönlichen Verhältnis der beiden beteiligten Personen und aus der politisch-gesellschaftlichen Perspektive.
Man muss hier in das Jahr 1962 zurückgehen, als Karajan das erste Mal zurücktrat und nur unter der Voraussetzung bereit war, doch weiter Künstlerischer Leiter zu bleiben, wenn ihm ein Co-Direktor, der ihm die ganze Verwaltungsarbeit abnimmt, zu Seite gestellt werde. Das war zunächst der Generalintendant der Stuttgarter Oper, Walter Erich Schäfer, der aber nicht die in ihn gesetzen Erwartungen erfüllen konnte und nach knapp einem Jahr zurücktrat. Ihm folgte ab 9. Juni 1963 auf Wunsch Karajans der ehemalige Generalsekretär der Bundestheater und aktuelle Intendant der Wr. Festwochen, Egon Hilbert. Diese Nachricht schlug damals wie eine Bombe ein, wusste man doch, dass Hilbert einer der erbittertsten Gegner Karajans war. Was die Ursache dieser Entscheidung Karajans war, wird wohl immer im Dunkeln bleiben. Ein Wiener Stammbesucher hatte damals gemeint: „Das wird entweder die genialste Epoche der Wr. Staatsoper oder das Ende der Ära Karajan“. Selbst dem damals zuständigen Unterrichtsminister Drimmel war nicht wohl dabei. Er meinte einmal: „Ich habe Egon Hilbert nicht auf diesen Posten berufen, weil ich persönlich so gute Erfahrungen mit ihm gemacht habe, sondern trotz der Erfahrungen, die ich mit ihm gemacht habe…“ .
Dabei lief es am Anfang mit beiden ganz gut und als sich Hilbert in der Bohème-Affäre demonstrativ neben Karajan stellte, glaubte man, dass das Experiment funktionieren könnte. Aber leider wurde bald danach offenbar, daß der Kuss, den Hilbert am 3.11.1963 vor dem Vorhang Karajan auf die Wange drückte, ein Judaskuss war. Wenige Tage später – die beiden Herrn waren zur Wiedereröffnung des Nationaltheaters in München, in deren Rahmen Karajan „Fidelio“ dirigierte – begann es zu kriseln und bald war der Konflikt nicht mehr zu übersehen. Man sprach damals von „der unheimlichen Ehe“ in der Staatsoper. Dazu kam, dass Karajan krankheitsbedingt im Jänner und Februar 1964 nicht in Wien war und dadurch nicht mitbekam, was sich hinter den Kulissen zusammenbraute. Hilbert brachte nämlich offenbar seine Bataillone, die aus einem Teil der sogenannten Wiener Gesellschaft, mit der Karajan nie Kontakt hatte bzw. haben wollte und die unter der Führung eines landesbekannten, bedeutenden und sehr einflussreichen Wiener Industriellen standen, in Stellung.
Im Übrigen dürfte Karajan Hilbert falsch eingeschätzt haben. Er wollte als Co-Direktor einen Mann, der ihm die Verwaltungsangelegenheiten und die gesamte Bürokratie abnimmt, damit er sich auf die künstlerische Arbeit konzentrieren kann. Hilbert aber war – nach eigener Aussage – ein Besessener in Sachen Oper und wollte selbst gestalten. Zum unvermeidbaren Eklat kam es dann im Frühjahr 1964 im Zusammenhang mit einer „Tannhäuser“-Vorstellung am 17.5. – ich verweise hier auf die Schilderung, wie es dazu kam und was damals passierte im Online-Merker vom 7.5..
Es wird sich nie ganz klären lassen, ob Hilbert den „Tannhäuser“ schon in dem Wissen angesetzt hat, dass Karajan nicht dirigieren kann und es deswegen zum Bruch kommen werde, oder ob er erst, als Karajan ihm um die Absetzung der Vorstellung ersuchte, erkannte, dass hier eine Sollbruchstelle gesetzt werden könnte.
Hier ist jetzt der Moment, wo die Politik ins Spiel kommt und wo man wieder einmal erkennen musste, wie demokratisch legitime Veränderungen in einer Partei zur Unzeit Einfluss auf andere Ereignisse haben. Zum besseren Verständnis muß auch hier wieder in das Jahr 1962 zurückgeblickt werden und unseren ausländischen Lesern – aber auch den jüngeren Österreichern – muss ich zuvor die damalige politische Situation in Österreich erklären. Seit der Gründung der 2. Republik 1945 wurde Österreich – so wie heute, nur unter ganz anderen Vorzeichen – von einer großen Koalition der beiden damals staatstragenden Parteien ÖVP (christlich-sozial) und SPÖ (sozialdemokratisch) regiert, wobei die ÖVP während der gesamten Zeit den Bundeskanzler stellte. Doch nun zu den Veränderungen in der ÖVP. Obwohl die Partei bei den Nationalratswahlen 1962 erfolgreich war und ihren Vorsprung auf die SPÖ von einem auf fünf Mandate erhöht hatte, war man mit dem Parteiobmann und Bundeskanzler Alfons Gorbach unzufrieden, weil dieser die darauf folgenden Koalitionsverhandlungen mit der SPÖ „verloren“ hatte. Vor allen Dingen warf man ihm vor, dass es ihm nicht gelang, das Außenministerium, das man 1959 an die SPÖ verloren hatte, zurückzuerobern. Daraufhin wollte eine Gruppe von Reformern um den Wolkersdorfer Rechtsanwalt Hermann Withalm eine Änderung an der Parteispitze. Man brachte Gorbach dazu, am Parteitag 1963 nicht mehr für dieses Amt zu kandidieren und nominierte hiefür den damaligen Salzburger Landeshauptmann Josef Klaus. Klaus war aber nicht unumstritten und so nominierte eine andere Gruppe den amtierenden Unterrichtsminister Heinrich Drimmel als Gegenkandidat. Klaus gewann die Wahl und löste im Spätwinter 1964 Gorbach auch als Bundeskanzler ab. Da Drimmel aber nicht unter dem einstigen Gegenkandidaten Minister sein wollte, trat er zurück und Klaus bestellte den Grazer Juristen Theodor Piffl-Percevic zum neuen Unterrichtsminister – und ab da nahm das Unheil seinen Lauf.
Mitentscheidend war natürlich, dass die beiden Politiker unterschiedlicher nicht sein konnten. Drimmel war der Prototyp des volksnahen, leutseligen, hemdsärmeligen Machers, der zielgerecht auf die Lösung eines Problemes zustrebte. Er war zudem ein ausgezeichneter Kommunikator, der zuhören konnte uns es dann verstand, auch bei unterschiedlichen Meinungen ein Ergebnis zu erzielen. Er verstand – laut eigener Aussage – nichts von Kunst und Kultur und ging lieber auf den Fußballplatz als in die Oper, aber er hatte einen ausgezeichneten Beraterstab, der ihn mit dem nötigen Fachwissen versorgte. Seit 10 Jahren im Amt – er hatte auch 1956 gemeinsam mit seinem Ministerkollegen Reinhard Kamitz (Finanzen) und dem damaligen Leiter der Bundestheaterverwaltung Ernst Marboe die Bestellung Karajans zum künstlerischen Leiter in die Tat umgesetzt – hatte er die Situatioon der Staatsoper quasi im kleinen Finger. Er hatte auch maßgeblichen Anteil daran, dass Karajan 1962 seinen Rücktritt wieder zurück nahm. Spekulationen sind natürlich immer problematisch, aber ich glaube, wäre er noch im Amt gewesen, die Sache wäre anders ausgegangen. Möglich, dass es ihm nicht gelungen wäre, Karajan zu einem neuerlichen Rücktritt vom Rücktritt zu überreden, aber die Möglichkeiten für eine weitere Tätigkeit an der Staatsoper hätte er sicher geschaffen.
Ganz anders Piffl-Percevic. Ein distinguierter Mann, zurückhaltend, introvertiert und immer auf entsprechende Distanz zum Gegenüber achtend. Zudem war er, obwohl schon seit einiger Zeit Abgeordneter zum Nationalrat, mit dem glatten Wiener Parkett nicht wirklich vertraut und in Sachen Kunst und Kultur ebenfalls kein Fachmann. Von den Vorgängen in der Staatsoper hatte er demgemäß natürlich auch keine Ahnung. Und da die Opernkrise gerade ihrem Siedepunkt zustrebte, wäre eigenes Detailwissen von entscheidender Bedeutung gewesen. Als nämlich 1963 die Doppeldirektion entstand, wurde vereinbart, dass, wenn einer der beiden ausscheidet automatisch auch die Amtszeit des anderen zu Ende ist. Karajan berief sich auf diese Vereinbarung und schlug seinerseits den damals sehr bekannten und bedeutenden Regisseur Oscar Fritz Schuh, mit dem er sowohl in Salzburg als auch in Wien, wenn er nicht selbst inszenierte, mehrfach gut zusammengearbeitet hat, vor. Hilbert sah das anders und meinte, er sei nun alleiniger Direktor des Hauses. In dieser Ansicht wurde er von der ihm gewogenen Presse unterstützt und die Proponenten des oben erwähnten Teiles der Wiener Gesellschaft machten in dieser Richtung gehörig Druck. Entweder war diese Vereinbarung nur mündlich erfolgt oder juristisch nicht „wasserdicht“ protokolliert – sie ließ offenbar dem Minister einen Ermessenspielraum und dieser musste sich letztlich auf seine Beamten verlassen, was letztlich fatal war. Die Beamten des Ministeriums sahen nämlich jetzt ihre Stunde gekommen, alte Rechnungen zu begleichen. Karajan war nämlich ein Mensch, der ein einmal vorgenommenes Ziel mit aller Konsequenz verfolgte und für den es nie Probleme, sondern immer nur Lösungen gab. Demgegenüber der bekannt vorsichtige und nicht immer schnelle Wiener Beamtenapparat – böse Zungen unterstellten ihm drei besonders häufig gebrauchte Antworten („Das war schon immer so“, „Das hat es noch nie gegeben“ und „Da könnte ein jeder kommen“) – was naturgemäß zu Reibungsverlusten führte. Wenn es wirklich hart auf hart ging, war dann eben Drimmel da, der den „Hitzeschild“ machte und nötigenfalls mit Ministerempfehlung eingriff. Da Hlbert zudem aus der Beamtenschaft kam, war nicht schwer zu erraten, auf welche Seite die Beamten sich schlagen werden. Inwieweit die Gespräche mit O.F. Schuh tatsächlich ergebnislos waren oder man gar nicht wirklich verhandelte, lässt sich nicht mehr klären. Das Argument, er wäre erst 1966 zur Verfügung gestanden ist für mich schwach. Er wäre nicht der erste und auch nicht der letzte Intendant gewesen, den man aus einem bestehenden Vertrag „herausgekauft“ hätte. Am 24.6. 1964 gab Minister Piffl-Percevic bekannt, daß Egon Hilbert ab 1.9.1964 alleiniger Direktor der Wr. Staatsoper ist. Da sich diese Entscheidung bereits Tage zuvor abzeichnete, erklärte Karajan bereits am 23.6.1964, daß er mit 31.8.1964 seine gesamte künstlerische Tätigkeit in Österreich beende. Dazu kam es allerdings nicht, denn die Salzburger Festspiele reagierten blitzschnell, verhandelten mit Karajan und boten ihm einen Platz im Direktorium an, den dieser annahm. Er prägte diese dann bis ein Jahr vor seinem Tod – er trat 1988 als Mitglied des Direktoriums zurück – und bescherte Salzburg ab 1967 mit der Gründung der Osterfestspiele einen weiteren Platz im internationalen Festspielgeschehen.
Trotzdem nun eine Ära zu Ende war, hatte man irgendwie das Gefühl, dass das noch nicht alles gewesen sein konnte. Interssant in diesem Zusammenhang auch die Kommentare der Tageszeitungen, auch jener, die Hilbert wohlwollend gegenüber gestanden sind. Sie betrachteten ihn nämlich in Wirklichkeit nur als Übergangslösung, denn oft war zu lesen, dass „ein zukünftiger Direktor des Hauses dafür sorgen müsse, dass Karajan als Dirigent und Regisseur zurückkommt.“
Zunächst musste man einmal durch die düsteren Hilbert-Jahre – „Aus einem Totenhaus“ schrieb unsere Doyenne einmal. Die Saison 1964/65 begann mit dem Ruf „Hoch Karajan“ aus dem Stehparterre, hierauf „Die Hochzeit des Figaro“. Überhaupt war diese erste Saison – deren Höhepunkt sicher die „Palestrina“-Neuinszenierung mit Fritz Wunderlich war – noch durchaus akzeptabel, was darauf zurückzuführen war, dass Hilbert einerseits ein funktionierendes Haus übernahm und andererseits die Grundzüge schon zuvor geplant waren. Danach aber wurde es schlimm, Hilbert machte so ziemlich alles falsch, was man nur falsch machen konnte – ein „Aktivist der Desorganisation“ wurde er in einem Artikel des Nachrichtenmagazins „Der Spiegel“ (Nr.22/1969) genannt. Vor allen Dingen versuchte er das Rad der Zeit zurückzudrehen, die Oper in die Zeit vor Karajan zurückzuführen, was naturgemäß nicht gelingen konnte und auch nicht gelingen durfte. Signifikantestes Beispiel war der Versuch, Opern wieder in Deutsch und nicht in der Originalsprache aufzuführen. Den ersten Versuch, Mozarts „Cosi fan tutte“ nahm das Publikum noch achselzuckend zur Kenntnis, beim zweiten, Rossinis „Barbier“ erschallte nach den ersten deutschen Worten der Ruf „Rossini in deutsch – eine Schande“ vom Stehparterre. Obwohl die letzten Hilbert-Verteidiger spitz meinten, auch in der Ära Karajan hätte man den „Barbier“ und auch die „Cenerentola“ deutsch gesungen, gab es keine weiteren Versuche. Der Unmut des Publikum – vor allen Dingen des Stehplatzes – aber auch der Druck der Presse gegen Hilbert wurde jedoch so groß, dass er im Jänner 1968 seinen Rücktritt per 1.Feburar 1968 erklärte. Als er am Abend dieses Tages seinen Dienstwagen zur Fahrt in die Oper bestieg, erlag er einem Herzinfarkt. Nun wäre der Moment dagewesen in dem man bezüglich einer Rückkehr Karajans an die Staatsoper hätte handeln können. Auch der passende Rahmen hiefür wäre gegeben gewesen, standen doch im Frühjahr 1969 die Feiern zum 100-jährigen Jubiläum der Eröffnung des Hauses am Ring an. Diese und letztlich auch der Umstand, daß so rasch kein entsprechend qualifizierter Direktor zu finden war, veranlasste die zuständigen Stellen, den bisherigen Vize-Direktor des Hauses, Heinrich Reif-Gintl zunächst intermistisch und letztlich definitiv zum Leiter zu bestellen.
Reif-Gintl, ein honoriger Mann, der bereits seit 1925 in der Staatsoper tätig war, war das, was man einen typischen loyalen österreichischen Beamten nennt, der aber nicht in der Lage war kulturpolitische Akzente zu setzen – und so wurde es mit einer Wiederkehr Karajans vorläufig nichts. Wirklich große Hoffnungen auf eine Rückkehr Karajan durfte man sich jedoch im Jahre 1970 mit der Bestellung Rudolf Gamsjägers zum Direktor ab 1972 machen. Nicht nur, weil, Berichten zufolge, mit seiner Bestellung auch der Auftrag verbunden war, Sorge für eine Wiederkehr Karajan zu tragen, sondern auch weil er als jahrzehntelanger Generalsekretär der Gesellschaft der Musikfreunde eine zumindest korrekte, aber wahrscheinlich sogar darüber hinausgehende Gesprächsbasis zu Karajan hatte. Es war ihm nämlich gelungen, Karajans Wien- Absenz zumindest auf dem Konzertsektor zu beenden und ihn mit den Berliner Philharmonikern für einen Zyklus aller neun Beethoven-Symphonien zu den Wr. Festwochen 1970 zu engagieren.
Doch so gut er als Konzertmanager war, so katastrophal wirkte er als Staatsoperndirektor und der Hoffnung, dass durch ihn Karajan an die Staatsoper zurückkehren würde, folgte bald die Ernüchterung. Gamsjäger gerierte sich nämlich wir ein Jongleur, der mit zuvielen Bällen arbeitete. Er vereinbarte sowohl mit Karajan als auch mit Leonard Bernstein, der 1966 mit Verdis „Falstaff“ in Wien debutierte und dann auch noch „Rosenkavalier“ (1968) und „Fidelio“ (1970) neu heraus brachte, eine Neuinszenierung von Wagners „Tristan“. Wie das Unternehmen ausging, ist leicht zu erraten – weder Karajan noch Bernstein arbeiteten in der Direktion Gamsjäger an der Wr. Staatsoper. Zu diesem Zeitpunkt glaubten nur noch ganz wenige – der Schreiber dieser Zeilern gehörte dazu – dass es noch zu einer Rückkehr Karajans kommen könnte.
Doch die Hoffnung stirbt bekanntlich zuletzt und das bewahrheitete sich wieder einmal an einem Donnerstag Anfang Dezember 1974. Der mittlerweile designierte neue Staatsoperndirektor (ab der Saison 1976/77) Egon Seefehlner und der damalige Generalsekretär des Österr. Bundestheaterverbandes Rudolf Jungbluth verkündeten, daß ab 1977 Herbert von Karajan jedes Jahr im Mai an der Staatsoper wirken würde. Für den Mai 1977 wurden Aufführungen von Verdis „Trovatore“, Mozarts „Le nozze di Figaro“, Puccinis „Bohème“ und Wagners „Meistersinger“ angekündigt, wobei letztere bald danach leider gestrichen wurden. Und irgendwie war man diesmal überzeugt, dass es klappen könnte, da einerseits der kulturpolitische Wille vorhanden war und andererseits mit Seefehlner ein Mann an die Spitze des Hauses kam, der nicht nur ein gestandener und mit allen Wassern gewaschener Intendant, sondern auch als Generalsekretär der Wr. Staatsoper bis 1961 mitverantwortlich für die ersten sorgenfreien Jahre der Ära Karajan war. So blickte man hoffnungsfroh dem Mai 1977 entgegen, aber es wäre nicht Wien, hätte es nicht kurz davor noch eine Schrecksekunde gegeben. Ein geltungsbedürftiger Mitarbeiter des damaligen Unterrichtsministers Sinowatz veröffentlichte 32 Reime gegen die sogenannte „Hochkultur“ und bediente sich bei einem Reim, der Karajan zum Thema hatte, einer besonders widerlichen Fäkalsprache. Da aber auch der damalige Bundeskanzler Kreisky sehr am Zustandekommen der Karajan-Rückkehr interessiert war, entschuldigte sich Sinowatz bei Karajan und entließ den Mitarbeiter.
Dann war es endlich soweit. Der 8. Mai 1977 war da und kein (Wiener) Verehrer des Dirigenten wird den Moment vergessen, als Karajan nach 13 Jahren wieder den Orchestergraben der Staatsoper betrat. Es war eine wunderbare „Trovatore“-Aufführung mit einem Besetzungsmix aus Sängern, die gerade zur Topgruppe gehörten (Pavarotti, Cappuccilli) und solchen, die schon szt. Publikumslieblinge waren (L. Price, Ludwig). Weiters gab es noch „Le nozze di Figaro“ in einer modifizierten Übernahme der Ponnelle-Inszenierung aus Salzburg und – vom Publikum besonders akklamiert – „La Bohème“ mit José Carreras und Mirella Freni, deren Wiederkehr nach ebenfalls 13 Jahren – von 2x Mimi im November 1969 abgesehen – besonders freudig aufgenommen wurde. Bei der letzten der 9 Vorstellungen – „La Bohème“ – geschah etwas, was es vorher und nachher nie mehr in Wien gegeben hat: Nach ca. halbstündigem Jubel wurde der „Eiserne Vorhang“ heruntergelassen, das Publikum wollte aber nicht gehen, sodass nach ca. 5 Minuten der „Eiserne“ wieder hochgezogen wurde und die Sänger – Karajan hatte nach den bei ihm üblichen zwei Verbeugungen längst das Haus verlassen – konnten sich noch einige Male verbeugen.
Im Jahre 1978 standen die gleichen Opern auf dem Programm und „Il trovatore“ sollte live im Fernsehen übertragen werden. Die Besetzung war – bis auf Cappuccilli – eine andere, wobei man gegen Fiorenza Cosotto statt Ludwig nichts einwenden konnte. Offenbar aus bildästhetischen Gründen sollten jedoch Raina Kabaiwanska und Franco Bonisolli statt Leontyne Price und Pavarotti singen. Nahm man Kabaiwanska noch mit einigen Tränen im Auge zur Kenntnis, so gingen bei Bonisolli einigermaßen die Wogen hoch. Bei einer auf Wunsch Karajans zur „öffentlichen Generalprobe“ umfunktionierten Abo-Vorstellung – er wollte ein „Netz“ für die TV-Übertragung, nachdem man seinen ursprünglichen Wunsch, erst die 2. Vorstellung zu übertragen, nicht erfüllte – entlud sich dann dieser Unmut. Nach einer wirklich schlecht gesungenen Arie gab es ein provokantes „Bravo“ von der Galerie, worauf ein Buh-Sturm losbrach. Bonisolli – das eherne Theatergesetz „the sohow must go on“ missachtend – zog seinen Degen, warf ihn auf den Boden und ging ab. Karajan – wie immer mit eisernen Nerven – dirigierte weiter und die Stretta gab es halt nur im Orchester. Mit einem markierenden Bonisolli ging die Vorstellung dann zu Ende. Für die TV-Übertragung konnte dann Placido Domingo gewonnen werden und unter den Bonisolli-Fans hält sich ja bis heute die Legende, wonach das Ganze eine Intrige von Domingo gewesen sei.
1979 gab es dann die Übenahme des „Don Carlos“ aus Salzburg, der auch 1980 am Programm stand. Auch hier war im zweiten Jahr eine TV-Übertragung vorgesehen, die jedoch knapp vorher aus nie wirklich geklärten Gründen abgesagt wurde. Da in der Zwischenzeit das Gesprächsklima zwischen Karajan und Robert Jungbluth frostiger geworden ist und über weitere Karajan-Vorstellungen nicht mehr gesprochen wurde sowie vom designierten Nachfolger Seefehlners, Lorin Maazel, in dieser Richtung nichts zu erwarten war, sollte das das endgültige Ende der Tätigkeit Karajans an der Staatsoper sein. Einmal schien sich jedoch das Blatt noch zu wenden. Als nach Maazel Rücktritt nach zwei Saisonen nochmals Seefehler interimistisch das Haus übernahm, war kurzfristig von einem nochmaligen Karajan-Comeback die Rede. Zum Jahreswechsel 1985/86 war von einer Übernahme seines Salzburger „Lohengrins“ die Rede, aber über erste Gespräche kam das Projekt nicht hinaus, womit tatsächlich der 19.5.1980 der letzte Abend Karajans am Pult der Wr. Staatsoper war.
Da sich das Verhältnis zu den Wr. Philharmonikern in der Zwischenzeit enorm verbessert hatte, konnte man wenigstens noch zahlreiche Konzerte erleben, deren Höhepunkte sicher das Silvester- und Neujahrskonzert 1986/87 und eine unglaubliche 8. Bruckner am 20. November 1988 waren. Und mit dem Umstand, dass Karajan am 23. April 1989 sein allerletztes Konzert (7. Bruckner) auch in Wien dirigierte, schloss sich der Kreis.
Lassen Sie mich zum Schluss nochmals auf das Jahr 1977 zurückkommen. In einer Umbaupause des „Trovatore“ konnte man Karajan beobachten, wie er seinen Blick durch den Zuschauerraum schweifen ließ. Da konnte man sich des Eindrucks nicht erwehren, dass er sich, obwohl er in den Tagen zuvor in Interviews immer wieder meinte, er könne sich an seine Zeit als Künstlerischer Leiter nicht mehr erinnern, doch daran erinnerte, dass er in diesem Haus die größten Triumphe seines Lebens gefeiert hat. Denn für mich steht es fest, dass er in Wien sein am meisten begeistertes und vor allen Dingen treuestes Publikum hatte.
Heinrich Schramm-Schiessl
Auf die, in diesem Artikel erwähnte Vorgeschichte, dem Boheme-Skandal im Herbst 1963, welcher das Ende der Ära Karajan einleitete, sei hier verwiesen. Zu finden ist dieser Artikel ebenfalls in den Reflexionen zur Wiener Staatsoper dieser Website.
Peter Skorepa