Online Merker Logo

Die internationale Kulturplattform

Volkhard STEUDE – Konzertmeister der Wiener Philharmoniker und des Orchesters der Wiener Staatsoper

„Gemeinsames Musizieren ist ein starkes Band!“

18.04.2020 | Instrumentalsolisten

Interview mit Volkhard Steude

Konzertmeister der Wiener Philharmoniker und des Orchesters der Wiener Staatsoper

Wiener Philharmoniker > Homepage > Orchester > Mitglieder ...
Volkhard Steude. Foto: Wiener Philharmoniker

„Gemeinsames Musizieren ist ein starkes Band!“

Karl Masek (18.4. 2020)

Das telefonische Gespräch fand am 17.4. 2020 statt

Welche Vorstellung war Ihr letzter „Operndienst“ an der Staatsoper, wann war das letzte „Philharmonische“ vor der Corona-Pandemiesperre?

Ja, Staatsoper: Da müsste ich erst nachschauen. Auf jeden Fall noch im Februar. Das letzte Konzert in Wien war aber am 23. Februar im Konzerthaus, das sehr schön war. Dann war die Tournee mit Andris Nelsons nach Hamburg, Köln, Paris, Baden-Baden. Die Residenz in München musste dann nach 2 Konzerten abgebrochen werden und wir fuhren mit dem Bus nach Wien zurück. Bis heute gibt es keinen einzigen im Orchester, der positiv getestet wurde. Es sind alle gesund, Gott sei Dank.

Der Vorstand der Wiener Philharmoniker, Daniel Froschauer, betonte kürzlich in einem Interview, wie sehr ihm das gemeinsame Musizieren  mit dem Orchester mittlerweile abgeht und dass er ein baldiges Ende der Zwangspause und der Home Office-Tätigkeit herbeisehnt. Geht es Ihnen ähnlich, oder gewinnen Sie dieser Zeit auch positive Seiten ab (Dinge zu tun, zu denen man sonst nicht kommt, „Entschleunigung“,…)?

Es ist furchtbar, nicht zu spielen, dass der Beruf, den man liebt, plötzlich nicht mehr ausführbar ist….Man verarbeitet viele Sachen. Der letzte Beweis, den man gebraucht hat! Dass man im Alltag die wertvollen Dinge nicht schätzt, und wenn die auf einmal weg sind… Es ist ein wichtiger Teil meines Lebens. Das geht jetzt bis in (absurde) Träume! Ich träume vom Orchester, von den Kollegen! In einer Zeit der Entschleunigung hat man auch Zeit zurückzublicken, in die Zeit der musikalischen Gemeinschaft…. Zum Glück bin ich nicht allein, habe Familie, meine Frau und 2 Jungs … aber die sozialen Kontakte und Bindungen, die positive Atmosphäre, die im Orchester herrscht … wenn das alles plötzlich nicht mehr ist? Gemeinsames Musizieren ist ein starkes Band, und wenn man das trennt,  sitzt man auf dem Trockenen und spürt erst, was das alles bedeutet. Dass man die wertvollen Dinge im Alltag zu wenig schätzt…

Die Möglichkeit, über Skype zusammen zu musizieren?

Die Klangqualität ist halt schlecht beim Skypen. Was man machen kann, sind Collagen, wie in Facebook, wo in unserem Fall die Ouvertüre zur Zauberflöte aus Versailles in einem Live-Konzert kommt. Das Bild wird quasi aufgeteilt in viele kleine Fernsehbilder, und immer mehr Kollegen kommen dazu und spielen „ihren“ Part dazu…

Sie wurden 1971 in Leipzig geboren und erhielten Ihren ersten Violinunterricht im Alter von 5 Jahren am Konservatorium in Cottbus. Man liest von baldiger Teilnahme an nationalen Jugendwettbewerben. Sind Sie in einer Musikerfamilie aufgewachsen? War da ein früher eigener Antrieb?

Meine Eltern (als Arzt bzw. im Lehrberuf tätig) waren musisch interessiert. Die Mutter hat Klavier gespielt, der Vater Blockflöte, und die haben Barockmusik gespielt. Gar nicht schlecht! Meine Schwester, die ebenfalls Ärztin wurde, die spielte Klavier … der eigene Antrieb und meine Beziehung zum Instrument war früh entwickelt … mit 11 Jahren spielte ich in einem landesweiten Jugendorchester, jetzt heißt das Ensemble, das es immer noch gibt, „Deutsche Streicherphilharmonie“! Da werden die besten von den Musikschulen angeworben. Dort ist die Liebe zum Orchesterspiel entstanden…

Mit 17 Jahren begann dann ihr Studium, noch zu DDR-Zeiten, in Ostberlin, an der renommierten Hochschule für Musik „Hanns Eisler“.  Da Sie nach der Wende Ihre Ausbildung in Berlin und Wien fortsetzten und abschlossen, können Sie sicher Vergleiche zwischen den musikalischen Ausbildungssystemen in beiden Welten ziehen. Wie war das damalige Musikschul-und Hochschulsystem in der DDR? Man hörte immer: optimale Förderung,  praxisorientiert, aber auch sehr streng. Ich selbst erinnere mich, dass ich bei einem Museumsbesuch (1985) im Bach-Geburtshaus in Eisenach sehr beeindruckt war, dass man dort jederzeit Livemusik hören konnte. Blutjunge Musiker spielten dort Bach auf phänomenalem Niveau … wie haben Sie als Jugendlicher Ihre Ausbildungszeit erlebt?

Streng – das kann man nicht sagen. Sehr professionell war das. Und es gab Spezialschulen in der DDR. Durchaus so ähnlich wie die Musikgymnasien  z.B. in Wien. Man wurde sehr gefördert. Die Musikschulen waren gut aufgestellt. Auch die „Nebenfächer“, Gehörbildung, Instrumentenkunde, Komposition,…! Fokus war die Instrumentalausbildung …. Es hing und hängt jedoch alles von den einzelnen Persönlichkeiten ab, die unterrichten! Wie in jeder Schule natürlich! Privatschule, öffentliche Schule: Man kann nicht sagen, die eine Schule ist an sich besser als die andere! Meine Söhne gehen in eine öffentliche Schule und in eine Städtische Musikschule. Beide lernen  Violine. Die haben eine fantastische Lehrerin, die sich „was antut“ – die kommt aus Russland, da kann man natürlich wieder sagen, das ist eine andere Mentalität und eine andere Arbeitsintensität! … Es gibt immer wieder Aktionen, wo man an Workshops oder Projekten teilnehmen kann – nicht nur mit dem „Stamminstrument!“. Das macht großen Spaß, und meine beiden Söhne sind da plötzlich auch leidenschaftliche Schlagzeuger…dass in der Ausbildung und der  Qualität der Lehrer her alles schlechter wird, würde ich nicht sagen. Es gibt viele Superlehrer … ein Problem  ist jedoch, dass immer wieder von Einsparungen die Rede ist!

1993 wurden Sie Konzertmeister des Gustav-Mahler-Jugendorchesters. Wer war damals Chefdirigent? Hatten Sie damals schon Kontakt z.B. zu Claudio Abbado?

Ich hatte damals zu Claudio Abbado Kontakt, und zu Riccardo Chailly. Es hat immer ein Ostercamp und ein Sommercamp gegeben. Da erinnere ich mich, zu Ostern 1993 waren wir in Oberschützen, das ja eine tolle Expositur der Musikhochschule Graz ist. Und die Gegend, die Thermenregion, die Buschenschenken, die Mostheurigen, das hab ich dort lieben gelernt! Damals war der Neville Marriner dort Chefdirigent, und Maxim Vengerov hat gespielt. Ein großartiger Geiger, ich bin sehr froh, dass er nach langer Pause nun wieder „da“ ist! Das war der erste Kontakt mit Österreich.

Dann ging alles ziemlich schnell, Studien beim Philharmoniker Alfred Staar…

… ich hab dadurch auch in Oberschützen studiert, weil Alfred Staar dort unterrichtet hat…

… eingetreten ins Orchester der Wiener Staatsoper 1994, „Erster Stimmführer/Konzertmeister“, aufgenommen in den Verein der Wiener Philharmoniker 1997, Konzertmeister 2000. Was genau ist ein 1. Stimmführer?

Es gab damals  5 Konzertmeister in der Oper und 4 philharmonische Konzertmeister. Der Gerhart Hetzel wollte das damals so. Der 1.Stimmführer (und „5. Konzertmeister“) war da so eine Art Zwitterwesen in der Verbindung vom Orchester zum Konzertmeister. Er sollte den Konzertmeister unterstützen, aber zugleich nicht zu viel Eigeninitiative entwickeln. Man kann sich das so vorstellen: Im Flugzeug wäre das der Co-Pilot, der das Recht hat, das Steuer zu übernehmen. Jetzt gibt’s diese Stelle nicht mehr.

Sie kamen zu einer Zeit ins Orchester, als es noch viele „beharrende Kräfte“ gab, die Frauen im Orchester strikt ablehnten. Der Violinist und Historiker Clemens Hellsberg, Philharmoniker-Vorstand ab 1997, schrieb in einem seiner Bücher, dass die Zeit für einen Paradigmenwechsel überreif gewesen sei, das Orchester auch für Frauen zu öffnen. Wie haben Sie als junger Newcomer damals diese Diskussionen erlebt?

Ich war 23, habe die ersten Jahre einfach schauen müssen, meinen Job gut zu machen. Es war meine erste Stelle überhaupt in einem Orchester, nachdem ich das Probespiel gewonnen hatte. Ich war voll damit beschäftigt, das riesige Opernrepertoire zu lernen und dankbar zu sein für die Hilfe und die Geduld, die man von Kollegenseite mit mir hatte. Und da war der erste Gedanke nicht, wie ist das mit dem Frauenproblem? Natürlich war das auch für mich komisch, dass es im Orchester (außer der Harfenstelle) überhaupt keine Frauen gab. Natürlich war die Zeit überreif, und es gab da auch den öffentlichen, auch internationalen Druck. Das musste auch so sein, denn sonst ändert sich gar nix…in den Diskussionen ging es damals darum, ob der spezielle Klang des Orchesters durch Frauen sich verändern würde. Das kann man nun wirklich nicht sagen, meine ich…Der Prawy hat sich in die Diskussion eingeschaltet und gesagt, dieses Orchester is‘ a Wunder, und an einem Wunder soll man nicht herummanipulieren … Aber rückblickend betrachtet, es war höchste Zeit und es war richtig so!

Hat sich der Klang des Orchesters in den Jahrzehnten seit ihrem Eintritt verändert?

Ja, aber nicht  w e g e n  der Frauen. Es geht um den gemeinsamen Musiziergeist, viele Dirigenten betonen, wie sehr der spezielle Klang dieses Orchester immer noch erkennbar ist. Es geht nicht nur um Klangfarben, es geht darum, wie man sich z.B. in der Oper durch Stromschnellen windet. Sachen, die kommen dann von allein … der Klang, den wir haben, ist nach wie vor verwandt mit dem Ideal, das immer angestrebt wurde…der Wunsch nach innerer Homogenität…und technisch werden wir mit jedem neuen Kollegen, jeder neuen Kollegin, noch besser…eine Mischung aus der Erfahrung und Weisheit der älteren Generation und der Energetik und Wildheit der Jungen macht auch die besondere Qualität aus…Eine Mischung, die zu Blütezeiten führt…

…durch die Verjüngung des Orchesters , so in den letzten 10 Jahren?

Es ist sicher schon länger als 10 Jahre, eher 20 Jahre! Es gab da (meine Theorie!) immer so Zyklen, etwa seit der Karajan-Zeit, als das Orchester deutlich vergrößert wurde mit vielen Jungen auf einen Schlag, mit besonderer Blütezeit in der Folge…Ich habe das dann selber deutlich erlebt: Es gab eine Zeit in der Oper, da haben die Leute Rosenkavalier im Schlaf und aus dem kleinen Finger gespielt. Die hatten das im Blut. Dann kam ein Generationenwechsel. Zuerst ging einmal „gar nichts“, man war verunsichert… jetzt ist es wieder so, die Erfahrung ist da, aber die Leute sind zugleich energetisch, voll im Saft, wieder die Mischung aus Erfahrung und Wildheit – und es ist ja durchaus auch Leistungssport, den wir da betreiben…Ich finde das derzeitige Niveau sehr erfreulich!

Ist man auch „bereiter“ als in früheren Zeiten, sich auf die „wirkliche Moderne“, auf Zeitgenössisches, auf Avantgarde einzulassen? Sind die letzten Ur-und Erstaufführungen an der Staatsoper da ein Gradmesser?

Ja, in der Staatsoper und auch bei den Salzburger Festspielen! Da war z.B. Reimanns „Lear“ ein riesiger Erfolg! Aber auch die Ur- und Erstaufführungen zuletzt in Wien! Ich sehe, mit welchem Geschick man inzwischen an die neuen und neuesten Werke herangeht. Man klebt nicht mehr bloß an der eigenen Orchesterstimme und rauft sich die Haare mit der Bemerkung, wie furchtbar oder hässlich das klingt, sondern sieht das Ganze und fühlt sich zunehmend als Teil des Ganzen. Man muss die Gesamtkonzeption der Bühne, die Dramaturgie, sehen. Wie bei einem Film, wo Musik auch oft schräg klingt, und dann sieht man das Gesamtwerk (oder schaut sich das nachher im Fernsehen an) und denkt dann: „Wow, das passt zusammen, das is‘ aber schon gut!“

Der Konzertmeister muss eine Autorität sein, musikalisch und als Mensch. Antizipationsvermögen, psychologisches Gespür muss er haben…

… er soll das Werk wenigstens so gut kennen wie die anderen. Man muss spüren, was als nächstes kommt. Fähigkeiten etwas vorauszuahnen, was als nächstes passiert. Zu erkennen, wann der Sänger einen „Auftakt“ vorher hat… etwas „abwarten“ zu können. Wir haben Zeit und haben’s nicht eilig!  Und nicht auf den Schlag zu spielen nach dem Motto  drei, vier, bumm! … Man hat eine soziale Funktion, was manchmal schwieriger ist als das Instrumentale. 16 Erste Geiger, die alle sehr gut sind, müssen trotzdem für sich selbst in eine Team-Einordnung kommen, homogen und nach Teamwork klingen … Mit gewisser Körpersprache bin ich dazu angehalten, „wenn etwas losgeht“ oder bei speziellen Übergängen oder abrupten Tempowechseln, Impulse zu setzen.

Kommunikation mit dem Dirigenten am Pult

Die sind in der Oper beschäftigt, alles mit der Bühne zu koordinieren. Wenn sie dann noch Zeit haben, kümmern sie sich auch um uns. Aber vieles müssen wir schon selbst erledigen.

Welche Dirigenten nötigen ihnen Respekt ab? Eher die Weltstars, die Sternstunden ermöglichen, oder die Könner und Kapellmeister, die –„gewusst wie“ – auch Repertoire-Abenden oft Glanz verleihen können?

Es gibt die Weltstars, die nur ab und zu kommen – die sich kein Opernhaus der Welt ständig leisten kann –  und die dann durch den Glamour-Effekt auf größte Aufmerksamkeit stoßen, was vielleicht unfair ist. Aber auch sie sind vor Unabwägbarkeiten nicht gefeit, oder dass auf der Bühne was passiert. Da stehen die auch an. Da kann er noch so gut dirigieren, da ist man dann, wie Riccardo Muti gesagt hat, auch nicht mehr als ein Luftzerteiler. Und dann gibt es die nicht so weltberühmten Dirigenten, die aber sehr, sehr gute Arbeit leisten. Es kommt aber auf viele andere Faktoren an, die zusammenspielen müssen: Ein gut gelauntes Orchester, eine gute Sängerbesetzung, die zu glanzvollen Abenden führt. Wichtig ist vor allem, dass der/die Verantwortliche am Pult „uns lesen“, uns verstehen kann. Die Hauptaufgabe ist neben dem Handwerklichen vor allem das Energetische. Christian Thielemann ist da ein Beispiel: er weiß die wichtigen Dinge fürs Orchester uns „schon vorher“ zu vermitteln. Da hebt er die Arme, schaut die Instrumentengruppen, die das betrifft, mit seinem ganz konzentrierten Blick an, die Arme bedeuten: So, jetzt passt auf! – und dann gibt er die Verantwortung an die Spieler und lässt es laufen … Ich weiß nicht, ob das jetzt OK für sie ist als Antwort?

Kammermusikalisches findet ja seit einiger Zeit im MuTh statt. Was spielen Sie da besonders gerne? Verfolgen Sie ein besonderes Konzept?

Nein, eben kein besonderes Konzept! Frau Hesse lässt mir da alle Freiheiten. Es geht darum, sozusagen das zu spielen, was ich / was wir immer schon spielen wollte(n). In verschiedensten Besetzungen, so z.B. mit philharmonischen Kollegen wie dem Cellisten Peter Somodári oder dem Klarinettisten Daniel Ottensamer…

Die Saison im Haus am Ring ist ja betrüblicherweise  vorzeitig beendet. Kulturelle Großveranstaltungen sind bis Ende August abgesagt. In der Wiener Staatsoper wird es hoffentlich in der nächsten Saison plangemäß losgehen können! Was die Salzburger Festspiele 2020  betrifft: Haben Sie da noch Restoptimismus für eine Mini-Ausgabe zum 100-Jahr-Jubiläum?

Frau Rabl-Stadler will ja mit der endgültigen Entscheidung bis Ende Mai abwarten. Ich möchte nicht an der Stelle der dafür Verantwortlichen sein! Natürlich hoffen wir, dass es wenigstens eine kleine, reduzierte Form von Festspielen gibt, die zeigt: Wir sind trotzdem da!

Ich hoffe, dass die Hilfen, welche die Regierung für so vieles versprochen hat, auch bei den Künstlern landen! Lässt! Und es muss absehbar sein (gerade auch für die „Kleinen“), wie lange das noch weitergeht. Ein Vierteljahr durch zu tauchen, das wird vielleicht gerade noch gehen. Aber was ist dann??

Auch der neuen Direktion der Staatsoper muss man jetzt jede Unterstützung zukommen lassen. Ich halte den Neuen nicht nur aus Eigeninteresse die Daumen, dass Sie einen guten Start schaffen. Bogdan Roščić ist sicher der richtige Mann, der in vielerlei Hinsicht Kompetenz ausstrahlt. Der ganz genau weiß, was er will, aber das nicht „von oben herab“ angeht. Und auch bei Philippe Jordan bin ich sehr optimistisch und freue mich auf das, was kommt.

 

 

Diese Seite drucken