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Volker Mertens: DER RING DES NIBELUNGEN

09.04.2013 | buch

Volker Mertens:
WAGNER. DER RING DES NIBELUNGEN
Reihe „Opernführer kompakt“
216 Seiten, Verlag Bärenreiter HENSCHEL 2013

1958 stand Volker Mertens, damals 21 Jahre alt, am Stehplatz der Wiener Staatsoper und sah „Siegfried“, dirigiert von Herbert von Karajan, mit Wolfgang Windgassen und Hans Hotter. Die Faszination, die damals von der Bühne her für den jungen Mann ausging, hat in über einem halben Jahrhundert nicht nachgelassen. Wenn Mertens, später Germanist, Mediävist, Universitätsprofessor, publizistisch zwischen Hartmann von Aue und Thomas Mann, aber auch dem Gral und Puccini unterwegs, nun in der renommierten Reihe „Opernführer kompakt“ des Bärenreiter HENSCHEL Verlags den Band über den „Ring des Nibelungen“ herausbringt, gelingt ihm Besonderes: ein mit 216 Seiten verhältnismäßig schmales Buch, bei dem man das Gefühl gewinnt, dennoch alles Relevante über den „Ring“ zu erfahren.

Er ordnet das Werk zuerst in die Biographie Wagners ein und ist dann unermüdlich im Erforschen der Quellen, die Wagner herangezogen hat (und man kann dessen Fleiß, Intelligenz und Genie im Verschmelzen der verschiedenen Überlieferungen zu seinem ureigensten Werk nur grenzenlos bewundern). Wenn Mertens die Handlung in aller Ausführlichkeit schildert, beginnen jene Graphiken, die das Buch ebenso durchziehen wie Bildmaterial und Einzelbetrachtungen etwa über das „Ring“-Orchester oder höchst lesenswerte, wenn auch sehr persönlich interpretierte Psychogramme der wichtigsten „Ring“-Figuren (das ist dann in eigene Kästen gesetzt). In den Graphiken dividiert Mertens genau die Figuren, die Handlungsstränge, die interaktiven Beziehungen der Protagonisten auseinander (und auch, wenn man es gut kennt und ziemlich genau weiß, macht es immer wieder Vergnügen, hier im Geiste nachzuwandern).

Seine Analyse über die Musikgestaltung (mit Notenbeispielen) wird den Leser, der zu diesem Buch greift, nie überfordern, es ist, auch in seiner Handlichkeit, ein Nachschlagewerk, keine abgehobene wissenschaftliche Interpretation, die sich in nebulose Formulierungen verliert.

Ein farbiger Bildteil durchwandert verschiedene aktuelle „Ring“-Inszenierungen, und so, wie die Beispiele gewählt sind, ergibt sich optisch spannende Vielfalt, die Mertens auch in seinem Überblick über den Wandel der „Ring“-Inszenierungen in der Geschichte bietet.

Die klassischen Reizworte, die untrennbar mit dem „Ring“ verbunden sind (Gesamtkunstwerk, Leitmotiv, Mythos) kommen ebenso an die Reihe wie Wagner-Gesang und Wagner-Sprache, wie Revolution und die unvermeidbare Diskussion über Wagner und das Judentum (auch hier wird das angeblich „Jüdische“ an Mime und Alberich ebenso diskutiert wie Wagners nicht festzumachende, weil zeitlebens fluktuierende Stellung zu den Juden an sich). Auch an „Hitlers Wagner“ kann man nicht vorbeigehen, wobei in erstaunlicher Weise versucht wird, das ohne allzu große Emotionalität zu sehen, die diese Diskussion sonst meist prägt.

Nach einem kurzen Streifzug durch DVD und CD hat der Autor noch Statements von Künstlern (Evelyn Herlitzius, Michael Volle in Hinblick auf alle Wotane 2015 in Wien, Graham Clark, Intendant Dietmar Schwarz, Christian Thielemann, Nikolaus Lehnhoff) in Kurzinterviews angefügt.

Ein kleines „Ring“-Wörterbuch (wobei man davor schon erfahren hat, wie viel Wagner sprachlich dafür schlechtweg erfunden und neu gebildet hat) rundet einen Band, wie er überzeugender nicht sein könnte. Auch wenn der Autor sozusagen alle Fragestellungen kurz befriedigt, stellt sich der alte Wagner- und „Ring“-Effekt ein: Man ist nachher nur hungrig nach mehr.

Renate Wagner

 

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