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VLADIMIR SULIMSKY: Auf der Bühne die Bösen zu verkörpern ist sehr reinigend für die Psyche!

18.06.2019 | Sänger

Vladimir Sulimsky – Auf der Bühne die Bösen zu verkörpern ist sehr reinigend für die Psyche!

(Juni 2019 / Renate Publig)


Vladimir Sulimsky © Maria Torshina

Als letzte Premiere der Saison 2018/19 zeigt die Wiener Staatsoper Verdis Otello, unter der Regie von Adrian Noble. Als Iago ist Vladimir Sulimsky zu sehen und zu hören, der mit dieser Partie gleichzeitig sein Staatsoperndebüt gibt. Welchen Zufällen er den Beginn seiner Gesangskarriere verdankt, und welche Rollen er lieber verkörpert als andere, darüber gibt der Bariton im folgenden Interview Auskunft.

 

Herr Sulimsky, Sie wurden in Weißrussland geboren – wie sind Sie mit Musik in Berührung gekommen?

 

Meine Großmutter träumte eines Tages, ich würde eine Laufbahn als Musiker einschlagen. Nun spielte ich ungefähr neun Jahre Violine, doch das gefiel mir gar nicht. Wie fast jeder Junge wollte ich Fußball spielen! Meine Großmutter schubste mich dennoch in diese Richtung, was im Endeffekt ein Riesengeschenk von ihr war.

 

Und wie sind Sie dann von der Violine zum Gesang gekommen?

 

Im zweiten Jahr meines Violinstudiums am College hatte ich eine Prüfung, die alles andere als gut verlief. Danach ging ich sofort zum Heer, die Zeit der 90er-Jahre war keine einfache für Weißrussland. Der Direktor des Colleges riet mir dann, bei einem Vorsingen teilzunehmen. Ich hatte zuvor noch nie gesungen! Weder in einem Chor, noch daheim, gar nichts. Doch meine Großmutter hörte öfters eine Schallplatte, mit Alexej Ivanov als Onegin. An diesen Klang konnte ich mich erinnern, und ich imitierte diesen Gesang einfach. Danach ließ mich der Lehrer Vokalisen singen – und ich war irgendwie selbst beeindruckt, dass ich das machen konnte, und wie meine Stimme klang. Ich durfte sofort ein Jahr überspringen, ein unglaublicher Augenblick.

 

Welch Glück, dass die Prüfung auf der Violine nicht so gut ausging!

 

Allerdings. La Forza! (lacht)

 

Später studierten Sie am Rimski-Korsakow-Konservatorium in Sankt Petersburg.

 

Richtig, ich studierte dort drei Jahre. Nachdem ich 2002 den Rimski-Korsakow-Wettbewerb gewonnen hatte, stieg ich bei der Akademie des Mariinski-Theaters ein. Gleich im ersten Jahr bekam ich viele Aufgaben in der Akademie, die mir keine Zeit fürs Studium ließen. In dieser Zeit gab es Unstimmigkeiten zwischen den beiden Instituten, also entschied ich mich, meine Zeit in die Akademie zu investieren. In unserem Beruf geht es immer darum, besser als die anderen zu singen, der Wettbewerb ist enorm. Man braucht einen wachen Geist!

 

Seit 2004 sind Sie Ensemblemitglied des Mariinski-Theaters in Sankt Petersburg, und die Liste Ihrer Aufführungen liest sich wie das Who is who im Bariton-Fach: Rodrigo, Simon, Rigoletto, Macbeth, Iago, aber natürlich auch das russische Repertoire, Mazeppa oder Onegin.

 

Ich hatte das Glück, dass Valery Gergiev, der Leiter des Mariinski Theaters ein großes Vertrauen in junge Sängerinnen und Sänger setzt und diese unglaublich unterstützt und fördert. Er warf mich sofort in eine Produktion von Evgeny Onegin, da war ich gerade mal 24 Jahre alt. Das passte zwar sehr gut für die Rolle, doch für mich war es ein Riesenschock. Ich hatte panische Angst – eine derart große Rolle! Ich gab mein Bestes, jede Szene gut zu gestalten, doch ich gebe zu, nach wie vor gehört Onegin nicht zu meinen Lieblingsrollen. Ich vermeide diese Oper. Ich mag diese Rolle nicht, weil ich die Figur nicht „greifen“ kann. Ich singe gerne Verdi, Mussorgsky, auch andere Opern von Tschaikowksy – aber nicht Onegin.

Im Mariinski-Theater haben wir die Möglichkeit, in diesem unglaublichen Schmelztiegel von wunderbaren Sängern, Dirigenten und Komponisten unsere Erfahrungen zu sammeln. Von den Großen zu lernen. Ich sang rund 13 Verdi-Partien!

 

Es will scheinen, als ob alle Partien, die Sie singen, tendenziell ernsthaft sind. Nun sagen viele Ihrer Kollegen, dass vor allem die „Bösewichter“ viel interessanter zu porträtieren sind. Stimmen Sie zu? Oder würden Sie auch gerne wieder eine heitere Rolle verkörpern?

 

Ich sang zwar Belcore und Gianni Schicci, doch in meinem Repertoire finden sich definitiv mehr böse Rollen. Im realen Leben bin ich kein Böser (lacht), und deshalb genieße ich diese Rollen. Es öffnet eine Tür in meiner Seele. Ich kann auf der Bühne anstellen, was ich im echten Leben niemals machen würde. Das ist sehr reinigend für die Psyche!

 

Nachdem Sie einige große Bühnen erobert haben, dürfen wir Sie nun an der Wiener Staatsoper willkommen heißen – obwohl, Ihr erster Auftritt in Wien ist es ja nicht. Davor haben Sie bereits am Theater an der Wien gesungen. Was bedeutet Ihnen Ihr Debüt an der Staatsoper?

 

Das ist ein wunderbares Gefühl. Vor dieser Produktion habe ich hier einige Male vorgesungen, und ich erinnere mich an jeden einzelnen meiner Schritte auf diesem Bühnenboden. Als wir die Bühnenproben starteten, ging ich über den Boden wie über einen „alten Freund“. Die Atmosphäre hier ist etwas Besonderes – im Zuschauerraum, auf der Bühne, da fühle ich mich einfach glücklich. Kein Druck, jeder ist so nett, alle zeigen ein Lächeln.


Sulimsky (Iago) / Antonenko (Otello) © Wiener Staatsoper / Michael Pöhn

 

Um zu Otello zu kommen: Es gibt wenige Rollen, die ohne jeglichen positiven Aspekt abgrundtief böse sind. Iago ist meiner Meinung nach eine davon. Wie sehen Sie diese Partie?

 

Tatsächlich ist Iago eine tiefschwarze Figur. Adrian Noble, der Regie führt, verfügt ein unglaubliches Wissen über Shakespeare – kein Wunder, als ehemaliger Leiter der Royal Shakespeare Company. So konnte er mir einige Details über Iago aufzeigen, die für mich neu waren. Vor allem, wie man diese Rolle auf der Bühne darstellt. Man lernt stets dazu, wenn man eine Partie in einer anderen Produktion singt. Doch jetzt meine ich, 80% mehr über diese Figur zu wissen, als bevor ich nach Wien kam. Iago ist nicht einfach böse, er ist durchtrieben – und dabei sehr intelligent. Seine Bösartigkeit spielt sich also in seinem Innersten ab, während er nach außen hin ganz „normal“ erscheint. Daher bedarf es wenig Gestik und Mimik, und vor allem, nicht den Schurken heraushängen zu lassen. Das zusammen ergibt eine subtile Gestaltung. Iago ist nicht Scarpia, der seinen miesen Charakter viel offener zur Schau stellt. Iago ist bis in den tiefsten innersten Kern schlecht, mit einer tragischen Komponente.

 

Und für das Publikum wird es interessanter, ihn sozusagen „zuvorkommend“ erscheinen zu lassen, das macht seine Handlungen noch bedrückender.

 

Genau. Verdi schrieb in seinem Brief an Boito, dass er für diese Rolle einen Darsteller braucht, der diese Bösartikeit verkörpern kann – mit dem Gesicht eines unschuldigen Knaben.

 

Auch wenn seine Handlungen sagen wir mal „fragwürdig“ sind, ist die Entwicklung von Iago fast schon nachvollziehbar: Otello ist für eine „Oberbefehlshaber“ ein erstaunlich leicht manipulierbarer Heißsporn!

 

In allen Geschichten von Shakespeare begegnet uns immer dieselbe Frage: Sein – oder nicht sein. Ob das Hamlet selbst ist, oder Otello, Macbeth. Iago möchte etwas für ihn Neues versuchen, und in seiner Arie „Credo“ erkennt bzw. erklärt er, dass seine Zeit gekommen ist. Er hat gelernt, wie leicht er Menschen manipulieren kann. Und je tiefer er hineingerät, umso mehr Spaß hat er daran, bis es kein Zurück mehr gibt von dem „Teufelswerk“, das er anrichtet.

 

Was können Sie uns über diese Produktion erzählen?

 

Ich habe schon einmal mit Adrian Noble zusammengearbeitet, im Bolschoi-Theater, in seiner Produktion von Don Carlo – eine der besten Produktionen, die das Bolschoi anzubieten hat, nicht nur meiner Meinung nach. Um ehrlich zu sein, bevorzuge ich traditionelle Produktionen, und ich bin sehr glücklich, dass das bei dieser Produktion der Fall ist.

Als ich die ersten Bilder dieser Produktion sah, war ich begeistert. Die Handlung spielt zwar nicht in der Originalzeit, sondern wurde in die Zeit vor dem Ersten Weltkrieg verlegt, aber die Inszenierung, die Personenführung ist sehr traditionell. Ohne etwas dazuzuerfinden. Ich bin sowohl über unseren Regisseur glücklich, als auch mit diesem wunderbaren Team, mit diesen KollegInnen zusammenarbeiten zu dürfen. Und unsere Dirigenten Myung-Whun Chung ist ein Magier mit dem Taktstock! Er macht nie zu viel, und er versteht die Musik bis ins kleinste Detail.

 

Und die Musik ist viel komplexer als zeitiger Verdi!

 

Otello und Falstaff sind musikalisch die schwierigsten, komplexesten Opern, die Verdi komponiert hat. Im Prinzip steht alles, was wir Sänger zu tun haben, was wir darstellen sollen, in den Noten!

 

Wie geht es Ihnen dabei, in die Rolle einer derart finsteren Figur zu schlüpfen, können Sie diese sofort ablegen, wenn sie von der Bühne gehen?

 

Das ist schwierig zu beschreiben. Solange ich an der Gestaltung der Rolle arbeite, „lebt“ diese Figur sozusagen in mir. Dann passiert es mir, dass ich mir meiner Frau und mit meiner Tochter im Park spazieren gehe, und ohne es aktiv zu wollen, kommt mir irgendein Teil der Oper, der Figur in den Sinn, über den ich nachdenke und manchmal dadurch zu einer neuen Erkenntnis gelange. Dann murmle ich vor mich hin und meine Frau fragt: „Was hast du gesagt?“ – „Nein, nichts, das hatte mit meiner Arbeit zu tun …!“ Einerseits finde ich es nicht gut, wenn dieser Charakter in meinem Kopf herumspukt (lacht), andererseits hat man durch diesen unbewussten Zugang oft die besten Einfälle. Und üblicherweise, nachdem ich die Partie auf der Bühne gespielt habe, ist dieses Phänomen vorbei.

Obwohl … einmal, ich sang gerade in Don Carlo das Duett mit Filippo, hatte ich plötzlich die Vorstellung, dass ich nicht auf der Bühne stehe, sondern dass ich mich tatsächlich am Spanischen Hof in der Zeit Filippos befinde. Na das war schaurig! Meine Pumpe ist ordentlich gegangen. Andererseits, wenn wir uns nicht in unsere Charaktere kippen lassen, bleibt die Darstellung oberflächlich.

 

Wenn man sich Ihr Repertoire ansieht, hört sich die Frage lächerlich an, dennoch: Gibt es noch Rollen, von denen Sie träumen?

 

Ich habe noch nie Scarpia gesungen, da erfolgt mein Debüt nächsten Jänner in Malmö. Das wird für mich darstellerisch ein nächster großer Schritt sein. Außerdem hätte ich vor einem Jahr Falstaff singen sollen, doch davon bin ich zurückgetreten, weil ich noch nicht bereit war. Ich hatte erkannt, dass ich vor Falstaff erst Iago gesungen haben muss. Für mich ist Otello der Übergang, die Brücke vom „früheren“ Verdi zu Falstaff. Und diese Brücke muss man erst gegangen sein, bevor man sich dieser Rolle nähert.

 

Weil Falstaff sowohl von der Musik, als auch von der Rolle ziemlich komplex ist. Scarpia und Iago sind die Bösen, Posa ist der Gute … aber wer ist Falstaff?

 

Ein realer Mensch! Es ist verhältnismäßig einfach, einen Schurken darzustellen. Aber wie skizziert man einen normalen Menschen? Dafür braucht es einen anderen Darsteller. Ich träume davon, und in ein paar Jahren wird das kommen!

 

Haben Sie jemals Ferien oder Freizeit, und wenn ja, wie verbringen Sie diese?

 

Da steht meine Familie im Vordergrund. Meine Tochter ist nun 2 ½ Jahre, und in zwei Tagen kommt die zweite Tochter nach – da bin ich ein glücklicher Vater! Und ich finde sehr gut, dass in Wien die Generalprobe zwei Tage vor der Premiere stattfindet, das gibt genug Zeit, dazwischen zu entspannen!

 

Herr Sulimsky, ein herzliches Toi, toi, toi für die Premiere!

 

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