Online Merker Logo

Die internationale Kulturplattform

Violinsonaten en vogue: Von Franz Schubert über Ludwig van Beethoven und Richard Strauss bis Avner Dorman

06.05.2018 | cd

Violinsonaten en vogue: Von Franz Schubert über Ludwig van Beethoven und Richard Strauss bis Avner Dorman

 

Diese ornamental rankenreiche, in der Barockzeit entstandene Form war zuerst dreistimmig, wobei die Geige und die rechte Hand des Cembalisten die Oberstimmen bildeten und von der linken Hand am Tasteninstrument begleitet wurden. In der frühen Klassik war die Violine eher Begleitinstrument, während sich bei Mozart und Beethoven in etwa Gleichgewicht anbahnte, bevor die Romantik den Spieß umdrehte und die Geige in den Vordergrund rückte. Derzeit erleben wir eine Renaissance der Violonsonate in den Konzertsälen und erst recht im Aufnahmestudio. Gleich drei neue Aufnahmen mit Beethoven-Sonaten gibt es am Markt. Das bei Volume 2 angelangte Projekt einer Gesamteinspielung mit Chloé Hanslip (Klavier) und Danny Driver (Violine), Label Rubicon,  lasse ich außen vor. Allzu kurz, gerade, kalt und scharf ist der Bogenstrich bei Hanslip, die offenbar Beethoven aus der barocken Spieltradition interpretiert wissen möchte. Ihr Partner am Klavier Danny Driver bliebt indes in der Harmlosigkeit stecken. Die Aufnahmequalität ist auch die am wenigsten brillante von allen drei neuen  Einspielungen.

 

Ludwig van BEETHOVEN: Sonaten für Klavier und Violine – Gesamteinspielung -Tedi Papavrami Violine, François-Frédéric Guy Klavier; evidence 3 CDs

 

Die im Arsenal in Metz entstandene Produktion aller zehn Violinsonaten Beethovens aus den Jahren 2016 und 2017 ist eine testosterongeladene Sache. Hemingway am Flügel und mit Bogen sozusagen. Der Hörer kann sich den tauben Beethoven vorstellen, wie er am Klavier in die Tasten hämmerte und eine Saite nach der anderen riss. Unbeschadet all der überbordenden Energie begeistert der  Violinpart mit wunderbar ausdrucksstarkem Strich und das Klavier durch  sensibel eingesetzte Muskelkraft, höchster Musikalität und einer rhythmischen Präzision am Anschlag. Von hoher dynamischer Dichte und intensivem Zusammenspiel, das nie die wettbewerbliche Komponente zwischen den Solisten verleugnet, trotzen die beiden jeder technischen Vertracktheit Beethovens. Hinter jeder noch so akademisch scheinenden Durchführung spüren sie das experimentelle Potential und die kompositorische Magie Beethovens auf. Man höre etwa den erste Satz der vierten Sonate und ist sofort von der Spielleidenschaft und dem kräftigen Farbauftrag gefangen genommen. Der albanische Geiger Tedi Papavrami spielt mit sattem Ton, Dramatik in Lyrik wandelnd und trotz sachlicher Grundierung gleichermaßen stets den Zauber im Ton nachspürend. Sein Partner auf dem Klavier,  François-Frédéric Guy mit weißer Prachtmähne, ist genuin Beethoven geeicht und setzt heuer die lange Liste seiner Auftritte mit dem Zyklus der 32 Klaviersonaten Beethovens, mit denen er schon in Washington, Paris, Rio de Janeiro, Monte Carlo, Norwich, Metz und Buenos Aires zu Gast war, mit Konzerten in Seoul fort. Ein kompletter Cellosonatenzyklus mit Xavier Phillips folgt in Tokio bei der Musashino Foundation. Große Klasse!

 

Dr. Ingobert Waltenberger

 

Ludwig van BEETHOVEN: Sonaten für Klavier und Violine Nr. 3, 7 und 10 – Baptiste Lopez Violine, Maude Gratton Hammerklavier; Mirare CD

 

Die Besonderheit dieser Aufnahme ist das Experiment, sich nicht für einen modernen Flügel, sondern ein zeitgenössisches Instrument gute 20 Jahre nach der Entstehungszeit der letzten Sonate, nämlich ein Instrument von Maximilian Schott aus Wien 1835, entschieden zu haben. Die junge Französin Maude Gratton nutzt alle Finessen des historischen Instruments,  um vor allem ganz unnachahmlich den „kleinen Noten“ eine koboldhafte Leichtigkeit zu entlocken. Alle Verzierungen werden so faszinierend hörbar und verleihen dem Klavierpart eine beredtere Expression und duftige Eleganz. Der hohe spieltechnische Anspruch an die Solistin scheint sich in ein Perlenspiel funkelnder Noten aufzulösen. Kongenial nimmt der mexikanische Geiger Baptiste Lopez – mit seiner großen Leidenschaft für Kammermusik und insbesondere das Quartettspiel – den federnden Ball auf. Mit rundem und proaktiv den Dialog vertiefenden Ton scheint der Geiger das Klavier umgarnen und verführen zu wollen.  Beide Solisten sind wie in ein geheimes Gespräch verwickelt, deren Emotion erkennbar, der letzte Sinn jedoch verborgen bleibt. Eine ausgewogene Temporegie vermag nicht die drängende Unruhe zu verhehlen, die in dieser Musik steckt (Allegro der Sonate Nr. 7, Scherzo der Sonate Nr. 10). In den langsamen Sätzen herrscht Poesie und Zutrauen. Die Geige erzählt die Geschichte, das Klavier akzentuiert in harmonisierender Zartheit. Innovativ, sensitiv, ein Spiel von großer Schönheit.

 

Dr. Ingobert Waltenberger

 

THE GRAND DUO (So Jin Kim Violine, David Fung Klavier): Richard Strauss, Avner Dorman, Franz Schubert – Sonaten für Violine und Klavier – Genuin Classics CD

 

Ein  Programm durch zwei Jahrhunderte Violinsonatengeschichte haben die zwei hervorragenden jungen Solisten So JIn Kim und David Fung auf dieser CD zusammengestellt. Die Violinsonate in Es-Dur, Op.18, schreib der 23-jährige Richard Strauss in einer Zeit, als er Pauline kennenlernte. Als letzte seiner nur drei Sonaten, die Strauss der Welt schenkte, ist sie das Werk eines verliebten heranreifenden Genies, das bereits den Keim zu aller komplexen Dichte, chromatischer Verspieltheit und überbordender Melodik der Reifezeit in sich trägt. Neben romantisch heroischem Duktus finden sich in dieser Violinsonate ebenso schon die Lust zu salonhafter Plauderei, eine filigrane Zartheit der Strukturen sowie überschwängliches Fabulieren.

 

Eine genuine Weltersteinspielung ist die zweisätzige Violinsonate von Avner Dorman. Der heute in den USA lebende israelische Komponist hat das Werk der Geigerin Sayaka Shoji gewidmet. Der erste Satz ist ein Liebesgedicht, das sich die beiden miteinander turtelnden Instrumente gegenseitig vorsingen. Der zweite Satz ist ein leidenschaftliches Gedicht. Die Liebenden sind nun Rivalen, Konflikt und Passion lassen die Instrumente einander imitieren. Final kollabieren die Stimmen im Gegensatz zu einer traditionellen Fuge, verschmelzen laut So Jin Kim zu einer einzigen und erreichen durch obsessive Wiederholung ihren Kulminationspunkt. Das 10-minütige Werk ist einfallsreich, voller lebendiger Kontraste und der eindringliche Beweis, dass sich auch heute noch klassisch und originell zugleich „für das Ohr“ komponieren lässt.

 

Die CD schließt mit der Violinsonate „Grand Duo“ in A-Dur von Franz Schubert, D 574. Die Komposition schlägt eine  Brücke zu Beethoven, enthält liedhaft Lyrisches und sprudelt über vor  melodischer Eingebung. Violine und Klavier scheinen bisweilen im Duett zu singen. Bei beiden Künstlern die ihre CD nach dieser Sonate The Grand Duo genannt haben, stehen das Ebenmaß im Ausdruck, eine harmonische Farbgebung und die Klarheit im gerundeten Tons im Vordergrund. So Jin Kim betont den romantischen Ursprung der Werke durch sachte, niemals larmoyante Portamenti und eine Feinzeichnung der horizontalen Linien. David Fung reüssiert ebenfalls im Mikrokosmos der Details und lyrischer Introspektion. Klar, dass dabei eine dichte Dynamik und extreme Farben ausgespart bleiben. Dennoch eine hervorragend musizierte, noble Interpretation auf sehr hohem Niveau.

 

Dr. Ingobert Waltenberger

 

 

Diese Seite drucken