VINYL THE ORIGINAL SOURCE – Neuerscheinungen; Deutsche Grammophon
Sensationelle Übertragungen von den quadrophonischen Originalmasters der 1970-Jahre
Vinyl ist quicklebendig. Die Musikindustrie in Deutschland macht gute Geschäfte. So sind die Verkäufe von Vinyl-Langspielplatten im Jahr 2024 um 9,4 Prozent gestiegen. Inzwischen werden 40,5 Prozent der Umsätze bei den physischen Tonträgern hierzulande mit Schallplatten gemacht. Weltweit sieht das so aus: 2023 stiegen die physischen Umsätze um 13,4 Prozent. Die Umsätze mit CDs und Vinylplatten erreichten 5,1 Milliarden US-Dollar und machten 17,8 Prozent des gesamten globalen Marktes aus, gegenüber 17,3 Prozent im Jahr 2022. Erstmals wuchs der Umsatz mit Tonträgern 2021 nach 20 Jahren wieder.
Natürlich ist das Vinyl-Phänomen nicht zuletzt darauf zurückzuführen, dass viele Youngsters das Medium für sich neu entdecken. Es dient als Mittel der Entschleunigung, der klanglichen Transparenz, Tiefe und Fülle. Die natürliche Wiedergabe von Stimmen und Instrumenten, die analoge Verständlichkeit, physische Schönheit und haptische Freude, nicht zuletzt die Gestaltung der Cover, die für sich schon oftmals Kunstwerke darstellen, tragen zur Attraktivität von LPs bei.
Die Deutsche Grammophon hat sich zu ihrem 125-jährigen Jubiläum im Jahr 2023 eines besonderen Archivschatzes entsonnen und hebt ihn jetzt nach und nach. Als Futuristic Retro kann diese audiophile Serie aus dem Vollen schöpfen. Unter den neuesten Veröffentlichungen finden sich das
- Mozart Requiem, dirigiert von Karl Böhm mit Edith Mathis, Julia Hamari, Wieslaw Ochman, Karl Ridderbusch, der Konzertvereinigung Wiener Staatsopernchor und den Wiener Philharmonikern (2 LP, 1970)
- Gustav Mahler: Sechste Symphonie mit den Berliner Philharmonikern unter Herbert von Karajan (2 LP, 1975/1977) sowie
- Peter Iljitsch Tchaikovsky: Romeo & Julia, Alexander Scriabin: Le Poeme de l’Extase mit dem Boston Symphony Orchestra unter Claudio Abbado
allesamt in gediegenem 180 g Vinyl als Deluxe-Gatefold Editionen mit Originalcover und -texten in limitierten, nummerierten Auflagen. Fotos und Faksimiles der Aufnahmeprotokolle und Bandkartons runden das Angebot ab.
Wie Rainer Maillard, Recording Producer und Managing Directory als auch Sidney C. Meyer, Vinyl cutting Engineer, betonen, wurden zum ersten Mal Wiederveröffentlichungen legendärer Aufnahmen aus den 1970er Jahren direkt von den 4-Spur-½-Zoll-Mastern und nicht von den Stereo-Kopien der ¼-Zoll-Bänder geschnitten. Dabei gilt es nicht zuletzt, die damals mangels entsprechender technischer Endgeräte im üppigen quadrophonen Surround-Sound eingefangenen Werke bislang nur als down-gemixte Stereo Platten erhältlichen Aufnahmen in neuem Glanz unter Verwendung der 4-Spur-Bänder mit linken, rechten, vorderen und hinteren Kanälen wie Phönix aus der Asche erstehen zu lassen.
Bei der Bearbeitung der analog aufgenommenen Takes im Studio in Hannover wurde mit Schere und Klebeband gearbeitet. Die Neuaufbereitung ist technisch ziemlich anspruchsvoll, als eine spezielle Bandmaschine gebraucht wurde, um das im Vergleich zu den üblichen 2-Spur-Band doppelt so breit 4-Spur-Band samt Preview-Signal manipulieren zu können. Dazu müssen die vorderen und hinteren Kanäle in Echtzeit auf Stereo mittels eines speziellen Mischpultes heruntergemischt werden.
Die Ergebnisse können sich sehen und hören lassen. Die klanglichen Atouts im Vergleich zu den Originalveröffentlichungen sind stupend und laden zum Innehalten und audiophiler Glückseligkeit ein: In 100% analoger Qualität gibt es eine nie dagewesene Klarheit, verblüffende Details, eine faszinierende Räumlichkeit und Tiefenstaffelung und jede Menge an Obertönen. Rauschen oder sonstige Verzerrungen gehören der Vergangenheit an.
Mein Favorit der neuen Staffel ist Mahlers für viele Musikfreunde unübertroffene Wiedergabe der „Sechsten“ mit den Berliner Philharmonikern und Herbert von Karajan am Pult, nach der „Fünften“ die zweite Mahler Veröffentlichung Karajans bei The Original Source. Vor allem das überirdisch zelebrierte ‚Andante moderato‘ kommt in der neuen Übertragung und Pressung erst so richtig intensiv zur Geltung. Auch Scriabins „Poème de l’extase“ und Tchaikovskys Fantasie-Ouvertüre „Romeo und Julia“ unter Claudio Abbados spannungsvoller, in Sachen Klangmagie Karajan nicht unähnlicher musikalischer Leitung und das von Karl Böhm für heutige Begriffe ungewöhnlich breit genommene Mozart Requiem (bringt ein Wiederhören mit der am 9.2. in Salzburg verstorbenen Schweizer Sopranistin Edith Mathis) erfreuen mit einem brillanten, durch die analoge Technik nichtsdestotrotz ruhig und natürlich atmendem Klangbild.
Fazit: Für Hifi- und Vinyl-Freaks unverzichtbar.
Dr. Ingobert Waltenberger